Iran:Das "blaue Mädchen" wird zur Ikone des Protests

Iran: Im Oktober 2018 durfte eine ausgewählte Gruppe von Frauen zu einem Freundschaftsspiel ins Stadion - dies war eine große Ausnahme.

Im Oktober 2018 durfte eine ausgewählte Gruppe von Frauen zu einem Freundschaftsspiel ins Stadion - dies war eine große Ausnahme.

(Foto: Vahid Salemi/AP)
  • Die Selbstverbrennung der Iranerin Sahar Khodayari hat heftige Reaktionen ausgelöst.
  • Sie war im März verhaftet und wieder freigelassen worden, nachdem sie ein Fußballspiel im Stadion verfolgte - was Frauen in Iran verboten ist. Kürzlich erfuhr sie, dass ihr ein halbes Jahr Gefängnis drohen soll.

Von Thomas Gröbner

Die tragische Geschichte des "blauen Mädchens", das sich selbst verbrannte, beginnt im Azadi-Stadion in Teheran, dem "Stadion der Freiheit". Der Ort wird gerade zum Symbol dafür, dass eine Hälfte der iranischen Bevölkerung ausgeschlossen ist selbst von dieser kleinen Freiheit in ihrem Land: der Freiheit, sich ein Fußballspiel anzusehen.

Im März hatte sich Sahar Khodayari, 29, als Mann verkleidet, um sich in das Stadion zu schleichen. Sie wollte die Mannschaft von Esteghlal Teheran sehen und den deutschen Trainer Winfried Schäfer, den sie dort als "Dscheneral Almani" feierten. Die Verkleidung musste sein, weil Frauen in Iran der Stadionzugang seit der islamischen Revolution von 1979 verboten ist. Halbnackten Männern beim Spielen zuzuschauen, das sei eine Sünde, so argumentieren konservative Glaubensführer in der islamischen Republik. Khodayari postete noch ein Foto aus dem Stadion, ganz in Blau gekleidet, den Farben von Estheglal. Dann wurde sie enttarnt und verhaftet, drei Tage blieb sie im Gefängnis, ehe sie bis zur Verhandlung wieder freigelassen wurde.

Als sie bei einem Gerichtstermin am 2. September erfuhr, dass ihr ein halbes Jahr Gefängnis drohen soll, übergoss sie sich mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete sich an. 90 Prozent der Haut verbrannten, sie starb Tage später an ihren Verletzungen. Die Nachricht löste in Iran heftige Reaktionen in den sozialen Medien aus. Das "blaue Mädchen" wurde schnell zu einer Ikone des Protestes gegen die Verbannung der Frauen aus den Stadien.

Die Verhaftung Sahar Khodayaris hatte Winfried Schäfer nicht mitbekommen, er sei bestürzt gewesen, als er nun von ihrem Tod erfuhr, sagt er. Fußball habe eine große Bedeutung in dem Land, die Menschen "klammern sich daran", sagte Schäfer am Mittwoch am Telefon. Der Sport sei "die einzige Möglichkeit, sich hier politisch zu äußern". Wer Esteghlal unterstütze wie das Mädchen, der drücke auch eine Nähe zum alten Schah aus, vor der Revolution hieß der Verein Taj, Krone, erklärt Schäfer, der im April in Teheran entlassen wurde und nun in Abu Dhabi arbeitet.

"Courage zu zeigen, ist schwer. Am Ende unserer Zeit wurde es für unsere iranischen Mitarbeiter tatsächlich gefährlich", sagte Schäfer, der sich selbst gegen die Verbannung der Frauen ausgesprochen hatte. Schon während seiner Zeit in Iran seien zwei Spieler nach Kritik am Regime vorgeladen worden, darunter Esteghlals Kapitän Vouria Ghafouri, der auch nun wieder einer der Ersten war, die öffentlich ein Ende des Stadion-Banns forderten. Er nimmt auch die Fifa in die Pflicht, den Druck auf die Regierung zu erhöhen.

Ali Karimi, einst Bayern-Profi, ruft zum Stadionboykott auf

"Politik soll sich aus dem Fußball heraushalten, und Fußball sollte aus der Politik wegbleiben", hatte Gianni Infantino bei seinem Besuch in Teheran im November 2018 gesagt. Damals waren hunderte ausgewählte Frauen in einem abgetrennten "Familien-Bereich" im Stadion gewesen. Nachdem der Präsident des Weltverbands wieder abreist war, verschwanden auch die Frauen wieder aus der Arena.

Am Mittwoch erklärte die Fifa: "Wir fordern die iranischen Behörden erneut auf, die Freiheit und Sicherheit aller Frauen zu gewährleisten, die an diesem legitimen Kampf zur Beendigung des Stadionverbots für Frauen in Iran beteiligt sind." Da die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in den Fifa-Statuten steht, könnte der Weltverband Iran von der WM-Qualifikation ausschließen. Im Juni hatte Infantino in einem Brief den iranischen Verband aufgefordert, Frauen den Zugang zu WM-Qualifikationsspielen zu erlauben.

Zuletzt hatte es den Anschein, als sollten die Tore des Azadi-Stadions für Frauen beim Länderspiel gegen Kambodscha am 10. Oktober tatsächlich offen stehen. Zwar hatte der Stabschef von Präsident Hassan Rohani verkündet, dass "unter den derzeitigen Umständen die Präsenz der Frauen nicht ratsam" sei; die Atmosphäre in den Stadien sei für islamische Frauen nicht geeignet. Doch kurz darauf hieß es, die Regierung habe sich darauf verständigt, dass Frauen nun zu "allen nationalen Spielen" dürfen.

Das berichtete die Nachrichtenagentur ISNA. Immer wieder wurden Frauen in Iran bestraft, weil sie Sportveranstaltungen besuchten: 2014 war Ghoncheh Ghavami zu einem Jahr Haft verurteilt worden - weil sie ein Volleyballspiel sehen wollte. Im März 2018 waren 35 Frauen vorübergehend festgenommen worden, als sie beim Teheraner Stadtderby zwischen Persepolis und Esteghlal ins Stadion wollten. Amnesty International verurteilte die Haltung der Regierung. "Khodayari wäre noch am Leben, wenn es dieses Verbot, die drakonische Strafe und die Verhaftung nicht gegeben hätte", sagte Amnesty-Sprecher Philip Luther: "Ihr Tod darf nicht umsonst sein." Ali Karimi, der frühere Spieler des FC Bayern und eine einflussreiche Stimme in Iran, rief zu einem Stadionboykott auf. Wohlgemerkt: die Männer. Andranik Teymourian, der erste Christ, der Kapitän der iranischen Nationalelf war und Anfang des Jahres seine Karriere beendete, schrieb: "Eines Tages in der Zukunft wird das Stadion den Namen Sahar tragen."

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