EZB:Mario Draghi hat sich verrannt

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Mario Draghi bei der Pressekonferenz zur aktuellen Zinsentscheidung der EZB. (Foto: Getty Images)

Europas Zentralbankchef hat sich enorme Verdienste um den Euro erworben, doch er hat zu lange an der Politik des billigen Geldes festgehalten. Seine Nachfolgerin muss dringend umsteuern.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Es gibt eine Anekdote, die das deutsche Verhältnis zu Mario Draghi charakterisiert. Als der Italiener die Europäische Zentralbank übernahm, schenkte ihm die Bild-Zeitung eine preußische Pickelhaube. Viele Deutsche glauben ja, sie müssten andere Europäer zur Stabilität erziehen. Draghi nahm die militärische Kopfbedeckung an, er lachte für den Fotografen. Recht machte er es den meisten Deutschen trotzdem nie. Wer seine achtjährige Ära bilanziert, darf sagen: gottlob. Denn Draghi hat mit stark kritisierten Maßnahmen Großes geleistet. Die Beschlüsse von diesem Donnerstag zeigen jedoch, dass er sich nun verrannt hat. Seine Nachfolgerin, die Französin Christine Lagarde, muss umsteuern.

Draghi, der bald abtritt, ist in der 20-jährigen Geschichte des Euro erst der dritte EZB-Präsident. Auch für seine Amtszeit galt: Die Macht von Währungshütern ist groß, obwohl die Bürger so wenig über sie wissen. Notenbanker steuern mit ihren technokratischen Schachtelsätzen ganze Volkswirtschaften. Sie können Investoren ermutigen oder entmutigen, Arbeitsplätze ermöglichen oder vernichten, Finanzkrisen beruhigen - oder diese noch befeuern. US-Fed-Chef Alan Greenspan zum Beispiel, lange zum Helden verklärt, beschwor mit Billigzinsen den Wirtschaftscrash von 2008 herauf.

Misst man Draghi daran, war er lange ein Krisenberuhiger. Als der Euro zu kollabieren drohte, waren Europas Politiker uneins, also schwach. Es war der EZB-Chef, der die Währung rettete - indem er Spekulanten gegen den Euro mit der Finanzkraft entmutigte, die ein Gelddrucker eben hat. In Deutschland, dessen Exporte der Euro nutzt, erntete er kaum Lob - stattdessen Vorwürfe der CSU, er sei ein "Falschmünzer", die zur antieuropäischen Folklore der Partei gehören.

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Ebenso abwegig war die Kritik, Draghi lasse die Preise steigen. "Mamma mia, bei den Italienern gehört Inflation zum Leben wie Tomatensoße zur Pasta", warnte die Bild-Zeitung . Doch Inflation lässt sich nirgends erkennen. Als noch die heilige Bundesbank über die Mark wachte, gab es nie eine längere Phase niedriger Preise als heute unter dem Italiener aus Rom.

Falsch ist auch die Behauptung, niemand hätte den Deutschen je so etwas zugemutet wie der EZB-Chef. Ja, es stimmt, seine Nullzinsen schmerzen die Sparer. Es gab allerdings in der D-Mark-Epoche ebenfalls 15 Jahre, in denen der Ertrag von Bankguthaben bei Berücksichtigung der Inflation negativ ausfiel. Die Lehre: Die Bundesbürger sollten sich weniger auf klassische Sparformen fixieren. Sie sollten lieber mehr in Aktien und Immobilien investieren - und der Staat müsste ihnen helfen, dabei Vermögen aufzubauen.

Draghi jedenfalls kann für sich in Anspruch nehmen, dass er seine schmerzvolle Nullzinskur in einer historischen Notlage verordnete: als sich die Baufehler des Euro offenbarten und die Politik erneut versagte, das zweite Mal nach der Konstruktion der Währung in den 90er-Jahren.

Ein Vorwurf lässt sich Draghi allerdings machen, und der wiegt schwer: Er hat zu lange an der Politik des billigen Geldes festgehalten. Sein wahrscheinlich letztes Maßnahmenpaket - die höhere Strafgebühr für Banken und die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe - erscheint dafür symptomatisch. Draghi will den wirtschaftlichen Abschwung bremsen. Doch gut gemeint ist in diesem Fall schlecht gemacht. Der Meister hat sein Instrumentarium überreizt, sodass es wenig bringt, noch einen draufzusetzen. Andere können derzeit viel mehr bewirken. Die Bundesregierung etwa: Sie sollte die niedrigen Zinsen nutzen, um der Wirtschaftsschwäche mit Investitionen zu begegnen.

Auf Dauer verzerren Nullzinsen das Geschäftsleben

Draghi hat sich am Ende verkalkuliert. Er wollte den Euro-Staaten Zeit für die nötigen wirtschaftspolitischen Reformen und Umbrüche etwa in der Bankbranche geben. Doch die ließen teils auf sich warten, einige Politiker enttäuschten ihn erneut. So hielt er noch am billigen Geld fest, als die Konjunktur das nicht mehr erforderte. Europas Wirtschaft funktionierte wieder ganz gut, doch er drückte geldpolitisch weiter das Gaspedal durch. So schwollen die Gefahren seines Kurses an.

Auf Dauer verzerren Nullzinsen das Geschäftsleben. Und auf Dauer beschwören sie Spekulationsblasen wie vor der Finanzkrise herauf. Und, vielleicht am wichtigsten: Weil Draghi sein Instrumentarium überzogen eingesetzt hat, kann seine Nachfolgerin Christine Lagarde kaum noch handeln. Was ist, wenn Donald Trumps Handelskrieg die Welt wirklich in eine tiefe Rezession stürzt? Dann müsste man die Wirtschaft durch Zinssenkungen ankurbeln. Das geht aber nicht, wenn die Zinsen schon bei null liegen.

Christine Lagarde, die bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds, tritt kein leichtes Erbe an. Sie muss die Geldpolitik vorsichtig normalisieren, während die globale Konjunktur zu schwächeln droht. Falls ihr das gelingt, ist Mario Draghis Werk vollendet, den Euro zu retten und Europas Wirtschaft wieder in ruhige Bahnen zu führen. Aber nur dann.

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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