Schweiz:Fortschrittlich wie der Vatikan

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Seit ein paar Monaten ist eine Kinderärztin vor Ort, um sich in Notfällen um Neugeborene in der Ebersberger Klinik zu kümmern. (Foto: Sina Schuldt/dpa)
  • In der Schweiz gibt es eine Debatte über die Länge des Vaterschaftsurlaubs.
  • Das Parlament hat entschieden, Vätern künftig zwei Wochen bezahlten Urlaub zu gewähren. Gegner der Regelung nennen dies eine unzumutbare Belastung für Unternehmen.

Von Isabel Pfaff

Wer in der Schweiz Vater wird, darf sich über 24 Stunden Sonderurlaub freuen. So viel, wie es auch bei einem Umzug gibt. Der Schweizer Kabarettist Gabriel Vetter hat aus diesem Umstand einen satirischen Action-Thriller gemacht: "Ein Vater und ein Baby, im Kampf gegen die Zeit". Vetter versucht in dem Filmchen, innerhalb von 24 Stunden das Fläschchen auf die richtige Temperatur zu bringen, Wickeln zu lernen und seinem Baby alles Nötige beizubringen. Indes lacht sein Chef höhnisch ins Telefon: "Bis morgen im Büro!"

Nun sieht es so aus, als seien die Zeiten vorbei, in denen man solche Witze über die Schweiz machen konnte. Am Mittwochabend stimmte der Nationalrat nach sechsstündiger Debatte mit rund 60 Rednern dafür, Vätern künftig zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub zu gewähren.

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Die kleine Kammer, der Ständerat, hatte diesem Gesetzentwurf bereits im Juni zugestimmt. Damit steht dem Vaterschaftsurlaub so gut wie nichts mehr im Weg. Zwar ist noch eine Volksinitiative anhängig, die vier Wochen Urlaub für Väter fordert, und theoretisch kann das Volk auch gegen das neu geplante Gesetz noch das Referendum ergreifen.

Trotzdem: Die Zeichen stehen gut, dass künftig auch Väter nach der Geburt eines Kindes eine Weile zu Hause bleiben dürfen. Finanziert werden soll die Auszeit über Lohnbeiträge, je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen - genau wie die 14 Wochen Mutterschaftsurlaub oder die Auszeiten für den Militärdienst.

Hinter den Befürwortern der Väterzeit liegt ein langer, zäher Kampf. Schon 2016 lag der Zwei-Wochen-Vorschlag auf dem Tisch, doch das Parlament lehnte ab. Im gleichen Jahr formierte sich die Volksinitiative für eine vierwöchige Väterzeit. Als diese Idee im Parlament verhandelt wurde, entstand schließlich der jetzt verabschiedete Gegenvorschlag.

Zehn Tage, die ein Weltbild zum Wanken bringen

Dass dieser nun tatsächlich eine Chance hatte, ist ungewöhnlich. Denn eigentlich dominiert im Parlament eine bürgerliche Mehrheit aus liberaler FDP und rechtskonservativer SVP, die nichts von derlei Ideen hält. Und insbesondere die Vertreter der SVP zeigten am Mittwoch eindrücklich, wie sehr selbst zehn Arbeitstage Väterzeit ihr Weltbild angreifen.

Von unzumutbaren Belastungen für Unternehmen war die Rede, von staatlicher Überregulierung, und von Doppelmoral: Diejenigen, die eine Väterzeit forderten, seien doch die ersten, die die Kinder möglichst früh in die Fremdbetreuung steckten. Wirklich familienfreundlich seien Väter, die ihren Jahresurlaub verwendeten, um ihre Familie zu unterstützen. Der SVP-Hardliner Andreas Glarner stimmte sogar ein Loblied an auf die tüchtigen Frauen in seiner Familie, die ihre Aufgaben auch ohne staatlichen Vaterschaftsurlaub bewältigt hätten.

Doch offenbar bröckelt der harte konservative Kern der Schweiz. Man wolle familienpolitisch nicht länger ein Entwicklungsland sein, sagte eine Grünen-Abgeordnete. Die Karriererisiken von Elternschaft müssten fair auf beide Geschlechter verteilt werden, forderte eine Grünliberale. Und ein junger Sozialdemokrat rief in den Saal: "Sogar der Vatikan hat einen Vaterschaftsurlaub!" Jetzt darf sich auch die Schweiz zu diesem illustren Kreis zählen.

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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