"Odyssee" an der Volksbühne:Gerechtigkeit für Helena!

Volksbühne Berlin 9/2019

Lächerliches Überwältigungstheater: Jella Haase in „Eine Odyssee“.

(Foto: Volksbühne)

Das breitbeinige Kraftmeier-Theater ist ungut in die Jahre gekommen: Der neue Hausregisseur Thorleifur Örn Arnarsson scheitert in Berlin krachend.

Von Peter Laudenbach

Thorleifur Örn Arnarsson, der neue Hausregisseur der krisenerprobten Berliner Volksbühne, ist ein ernst zu nehmender Künstler, auch wenn man das nicht unbedingt jeder seiner Arbeiten in jeder Szene ansieht. In seiner wagemutigen Homer-Variation "Eine Odyssee", mit der er die Spielzeit an der Volksbühne eröffnet, ahnt man seine Qualitäten in keiner einzigen Szene.

Der Regisseur verlegt sich hier auf ein etwas in die Jahre gekommenes Genre, das breitbeinige Kraftmeier-Theater.

Der Aufführung fehlen weder Lautstärke noch starke Zeichen oder martialische Vokabeln, nur wissen all diese Signale von Kampf und Krieg und Heftigkeit in keinem Moment, wohin sie wollen. Ein großer Plastikelefant schwebt vom Schnürboden und baumelt lustlos in der Luft. Dann wird er wieder hochgezogen, ohne größeren Schaden anzurichten oder bleibende Eindrücke zu hinterlassen.

Letzteres teilt er mit dem durchweg überforderten und bedauernswert ausstrahlungsarmen, mal tapfer brüllenden, mal hilflos piepsenden Schauspielerensemble. Riesige Abbildungen dreier nackter Männer mit altersgerecht teilerregierten Geschlechtsteilen und den Köpfen von Clinton, Kennedy und Trump hängen über der leeren Bühne (Bühnenbild: Daniel Angermayr). Auch sie verschwinden irgendwann folgenlos, ohne zum Bühnengeschehen weiter beitragen zu können. Ein Panzer fährt auf und richtet seine Kanone ins Publikum. Aber dann spritzt nur Konfetti in die vorderen Sitzreihen.

So funktioniert die gesamte Inszenierung: Es soll ordentlich knallen, doch all der Aufwand verpufft mit einem kleinen Plop. Überwältigungstheater, das leerläuft und bei seinen Muskelspielen lächerlich wirkt wie ein aufgepumpter Bodybuilder, der vor lauter Testosteron und Kraftbehauptung schwer atmend kaum durch die weit offene Tür kommt. Toxische Männlichkeit ist möglicherweise nicht nur eine politische und menschliche Belästigung, sondern auch eine ästhetische Zumutung. Wenn der Regisseur das beweisen wollte, ist es ihm gelungen.

Odysseus tritt in Form eines Bierbauchs auf, der von seinen Heldentaten schwadroniert

Die erste Stunde der Aufführung gehört den Schlusspassagen der "Ilias", der Eroberung und Zerstörung Trojas. Thorleifur Örn Arnarsson versucht hier etwas Ambitioniertes. Er will die kollektive Gewalterfahrung nicht nur berichten, sondern szenisch herstellen, wie das formstrengen Regisseuren wie Einar Schleef oder Ulrich Rasche in ihren Inszenierungen gelang. Leider verfügt Arnarsson nicht über deren Formbewusstsein. Also steht ein stimmlich präzise geführter Chor halb nackter Darsteller verloren im harten Gegenlicht (Chorleitung: Nils Strunk), während Bodennebel ihre Waden umschmeichelt. Mal wird er lauter, mal dreht sich sie Bühne ein wenig, mal geht das Licht an und aus, vermutlich zur Steigerung der dramatischen Spannung. Es sind sehr plumpe szenische Pathosformeln. Auf Dauer ist das ein wenig ermüdend, um es höflich zu sagen.

Die detailfreudigen Berichte vom Morden in Troja, "unerbittlich im Kampf", werden so zum Deklamations-Klangteppich, zum sinnfreien Ornament. Dass über der Bühne mit großen Buchstaben Zeilen aus Heiner Müllers "Traumtext" Bedeutung simulieren, ist wieder eines dieser zahllosen leeren Zeichen und etwa so angemessen, wie wenn eine Krankenkasse mit Kafka-Zitaten für sich werben würde. Vorangetrieben wird der Chor von einer stark rhythmisierten Musik von Klavier, Elektronik und Schlagzeug, die anders als der monotone Chortext erhebliche Sogkraft entfaltet (Musikalischer Leiter: Gabriel Cazes). Nach einer Stunde Chorexerzieren ist man erleichtert, dass Troja endlich zerstört ist.

Telemachos, den Sohn des Odysseus (Nils Strunk), lernen wir als jungen Mann in Jeans und Unterhemd kennen, der seine Zeit am liebsten mit groß an die Rückwand projizierten Computerspielen füllt: Krieg als Entertainment. Die Inszenierung spart nicht mit kulturkritischen Botschaften. Weil die Killerspiele möglicherweise nicht gut für seinen Charakter sind, blafft er seine arme Mutter Penelope (Johanna Bantzer) mit der Mitteilung an, er sei hier der Mann im Haus. Auch sonst neigt das vaterlos aufgewachsene Einzelkind ein wenig zum Kompensations-Mackertum, deshalb brüllt er irgendwann, dass er es allen zeigen werde. Wie alle Macker badet er gerne im Selbstmitleid, aber leider folgen seiner wortreichen Ankündigung, sich zu erhängen ("das wird jetzt schmerzhaft") nur Posen und keine Taten. Notfalls greift Gott persönlich mit golden bemaltem Gesicht (Zeus: Sarah Franke) ins sich zäh dahinschleppende Geschehen ein, auch wenn man seiner Behauptung, wir hätten es bei den Bühnenfiguren mit "komplexen" Persönlichkeiten zu tun, nicht so recht glauben mag.

Odysseus tritt in Form eines Bierbauchs auf, der gerne ausgiebig von seinen Heldentaten schwadroniert (Daniel Nerlich). Helena kommt natürlich auch vor. Die arme Jella Haase, eine möglicherweise nicht sehr theatererfahrene Darstellerin, muss sich als schönste Frau der Welt in Positur werfen, als wäre sie bei einem Modelcasting. Als sie erfährt, dass Zeus ohnehin Krieg wollte, ihre Entführung also nicht der Grund für die Massaker in Troja war, verlangt sie tapfer eine Neubewertung ihrer Rolle: "Gerechtigkeit!"

Silvia Rieger bepinselt Pappkartons mit launigen Parolen ("Eierlikör", "Zik Zak"). Zwischendurch geht es irgendwie um Atome, Afghanistan und Autoimmunerkrankungen. Weil wir im modernen Theater sind und weil die Selbstreflexion der Kunst das Gütesiegel der Moderne ist, liefert ein bühnenhoher, den Rundhorizont füllender Hinweis weiß auf schwarz die Information, um was für ein Genre es sich bei dem über gut vier Stunden dröhnenden Nichts, all dem Rumgerenne, Geschrei und Farbeimergespritze handelt: "Eine Burleske für unsere erniedrigte, irritierende Zeit, in der Clowns nachspielen, was Helden und Könige einst taten." Aha. Aber selbst diese Geste der Selbstironie ist nur ein Bluff. Von der Bosheit und dem Witz guter Clowns ist die Veranstaltung so weit entfernt wie ein Auftritt der Bösen Onkelz von den Gesängen des Homer.

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