Der Sport im Ort:So weit die Pferde tragen

Die 21-jährige Alessia Dollinger ist Bayerns erste Jugendmeisterin im Distanzreiten. Ausgebildet wurde die Anzingerin auf einem Hof bei Vaterstetten - nun will sie ihren Sport auch anderswo bekannter machen

Von Elisabeth Urban, Vaterstetten

Wenn Pferd und Reiterin in Sicht sind, stehen die Crewmitglieder mit großen weißen Wasserflaschen am Streckenrand. Alessia Dollinger nimmt von ihrer Schwester während des Reitens die geöffnete Flasche entgegen, Sekundenbruchteile später ist der Nacken des Pferdes klatschnass, die leere Flasche landet mit einem "Klonk" auf dem Boden. Um bei der Abkühlung Zeit zu sparen rennt ein weiteres Crewmitglied hinter dem Team her und kippt über den davoneilenden Pferdehintern eine weitere Wasserladung.

Distanzreiten, die Sportart für die Alessia Dollingers Herz schlägt und in der die Pferde im Vorbeireiten gekühlt werden, ist in Deutschland kaum etabliert, die Anzingerin ist die erste bayrische Jugendmeisterin überhaupt und will den Sport bekannter machen.

Ein Besuch auf dem Pferdehof "Sonnenland" in Neufarn bei Vaterstetten. Hund und Katz beäugen sich mit Misstrauen unter den Tischen des Hofcafés, ein Lama blinzelt neugierig über den Zaun. Die 21-jährige Alessia Dollinger springt vom Pferd, mühelos federnd landet sie mit ihren Turnschuhen auf dem Kiesboden. Wenn sie von Pferden oder ihrem 2013 gemeinsam mit ihrer Schwester und Freundinnen gegründetem "Endurance Team Unicorn" spricht, breitet sich ein Strahlen auf dem Gesicht der 21-Jährigen aus.

Der weiße Araber-Wallach Shaheen, der voller Tatendrang hin und her tänzelt wenn sie auf seinem Rücken sitzt, ist nicht ihr Pferd, sondern das ihrer großen Schwester, und Dollinger wohnt auch nicht mehr überwiegend in Anzing, sondern pendelt in ihrer beruflichen Selbstständigkeit als Reitlehrerin und Pferdetrainerin zwischen Anzing und dem Allgäu. Wenn sie aber über die Kieswege des Sonnenlands geht und von der Leidenschaft für ihren Beruf und dem Distanzreiten erzählt, merkt man, dass sie auch hier immer noch zuhause ist.

Der Sport im Ort: Alessia Dollinger mit Araber-Wallach Shaheen auf dem Reiterhof "Sonnenland" in Neufarn.

Alessia Dollinger mit Araber-Wallach Shaheen auf dem Reiterhof "Sonnenland" in Neufarn.

(Foto: Christian Endt)

In Anzing aufgewachsen, lernte Dollinger auf dem knapp drei Kilometer entfernten "Sonnenland" die Welt der Pferde kennen. Nach der ersten Reitbeteiligung folgt mit sieben Jahren das erste eigene Pony. Sie ritt Dressur und Freizeitouren, 2013 bekam sie die Stute Nouvelle, "die mittlerweile auch schon in Rente ist". Immer mit dabei war ihre fünf Jahre ältere Schwester Selina Dollinger, die sie letztendlich zum Distanzreiten brachte. Auch heute ist die große Schwester als Unterstützung mit auf dem Hof, zusammen mit ihrer besten Freundin Roxane de Temple, beide gehören zum "Endurance Team Unicorn", und kümmern sich jetzt weiter um Shaheen.

Beim Reiten als Wettkampfsport denkt man zunächst nicht unbedingt an marathonähnliche Ritte, bei denen schon ein zu hoher Puls des Pferdes das Ausscheiden aus dem Rennen bedeuten kann. Was also treibt einen dazu an?

"Das Ziel ist, dass man im Ziel noch weiterreiten kann", beschreibt Alessia Dollinger die Quintessenz des Distanzreitens. Zwischen Start und Ziel liegen 80, 120 oder sogar 160 Kilometer, Dollinger selbst hat bereits internationale Ritte über 120 Kilometer erfolgreich absolviert und sich für die 160 Kilometer qualifiziert. Intensive Kontrollen durch speziell ausgebildete Tierärzte vor, während und nach den Rennen sollen sicherstellen, dass kein überlastetes Pferd weiterreitet. Bei der insgesamt ersten bayerischen Jugendwertung in diesem Jahr galt es "nur" 80 Kilometer durch die Ebersberger Forstlandschaft zu bewältigen, die Anzingerin kam nach vier Stunden und 49 Minuten im Ziel an.

Eine Besonderheit bei der bayerischen Meisterschaft: Dollinger ritt nicht nur an der Spitze, sondern hatte den Wettbewerb auch im Vorfeld gemeinsam mit ihrem "Endurance Team Unicorn" auf einem Hof in Parsdorf in monatelanger Arbeit organisiert. Theoretisch könne man mit jedem Pferd ins Distanzreiten einsteigen "das ist eigentlich auch das Schöne daran", aber weil die Zeit während der Rennen erst angehalten wird, wenn das Tier für die Tierarztkontrolle ausreichend regeneriert ist, werden besonders bevorzugt Araber eingesetzt.

Der Sport im Ort: Abkühlung to go: Um Zeit zu sparen werden den Reitern unterwegs Wasserflaschen für ihre Tiere gereicht.

Abkühlung to go: Um Zeit zu sparen werden den Reitern unterwegs Wasserflaschen für ihre Tiere gereicht.

(Foto: Christian Endt)

Und wie bereitet man sich auf solche Ritte vor? "Ganz viele trainieren viel zu viel" sagt Dollinger, es sei enorm wichtig, zwischen den Trainingsritten Pausen einzuhalten, "pro gerittenen zehn Kilometern ein Tag Pause." Was Dollinger außerdem am Distanzreiten gefällt: Alles ist Teamarbeit. Im Wettlauf gegen die Zeit versucht die Crew, die mit dem Auto Pferd und Reiter zu den sogenannten Crewpunkten folgt, das Pferd beispielsweise mit Wasser zu kühlen. An den Pausepunkten zwischen den einzelnen Distanzen werden die Tiere in Windeseile abgesattelt und erneut gekühlt.

Das Crewauto ist vollgestopft mit Ersatzteilen, Sätteln, Gurten, Trensen, sogar Hufeisen können im Zweifel schnell ausgetauscht werden. Das ist unter anderem deswegen nötig, weil Dollinger sehr oft Besuch von Freundinnen bekommt, die dann ebenfalls reiten. Unter den Fittichen der erfahrenen Distanzreiterin Belinda Hitzler intensivierte Dollinger ihr Engagement im Distanzreiten, 2018 folgte dann der Einstieg in den internationalen Wettbewerb. Immer wieder stellt sie bei Veranstaltungen Pferde von Hitzlers Hof in Dillingen-Fristingen vor, der für die Dollinger mittlerweile ein zweites Zuhause ist.

Weil Dollinger mit ihren 21 Jahren an der oberen Altersgrenze der Jugendwertung liegt, wird der diesjährige auch ihr einziger Jugendmeistertitel bleiben - wahrscheinlich aber nicht ihr letzter Titel im Distanzreiten.

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