Libyen:Den Untergang vor Augen

Libyen: Libyens Premier, Fayez al-Sarradsch, bat im vergangenen Mai in Berlin um Unterstützung. Nun geht Kanzlerin Merkel erstmals in die Offensive.

Libyens Premier, Fayez al-Sarradsch, bat im vergangenen Mai in Berlin um Unterstützung. Nun geht Kanzlerin Merkel erstmals in die Offensive.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Angela Merkel will eine Konferenz zu dem Land - es soll nicht so enden wie Syrien.

Von Daniel Brössler, Nico Fried und Dunja Ramadan, München/Berlin

Wenn es ein geeignetes Schreckensszenario für Libyen gibt, dann wäre das wohl Syrien: Hunderttausende Opfer, Millionen Flüchtlinge, ein Land in Schutt und Asche. Was als Bürgerkrieg begann, entwickelte sich zum Stellvertreterkrieg, in dem ausländische Regierungen ihre jeweiligen Partner mit Waffen versorgten. Vor ähnlichen Zuständen in Libyen warnte Angela Merkel diese Woche im Bundestag. Es müsse alles daran gesetzt werden, einen solchen Stellvertreterkrieg nicht eskalieren zu lassen. Es gehe darum, "wieder Staatlichkeit in Libyen herzustellen, so schwer das auch immer ist".

Seit der Parlamentswahl 2014 ist das nordafrikanische Land gespalten. Zuvor hatte der selbsternannte Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi mehr als 30 Jahre lang das Sagen in Libyen. Seine zentralistische Machtausübung steht im heutigen Kontrast zu den zersplitterten Interessengruppen im Land: Da wäre Fayez al-Sarradsch. Er ist zwar Premierminister der international anerkannten Übergangsregierung, seine Macht in der Hauptstadt Tripolis müssen aber lokale Milizen sichern. Unterstützt wird er von Katar und der Türkei. Ihm gegenüber steht General Khalifa Haftar, der von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Russland unterstützt wird. Hinzu kommt, dass die libysche Gesellschaft seit Jahrhunderten in Stämme aufgeteilt ist.

"Der Westen" konnte den Staat zusammenschießen, aber nicht stabilisieren, sagen Kritiker

Gaddafi folgte einst einem einfachen Prinzip: Zuckerbrot und Peitsche. Gehorsame Stammesführer konnten mit Privilegien rechnen, ungehorsame Stämme wurden mit Gewalt ruhiggestellt. Nach dem Sturz Gaddafis 2011 fiel das Land ins Chaos. Deutschland enthielt sich damals in der entscheidenden Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über ein Eingreifen in Libyen. Im eigenen Land geriet die Regierung damals massiv in die Kritik. Nun, acht Jahre später, verspricht Merkel, Deutschland werde "seinen Beitrag leisten".

Die Bundesregierung will die Voraussetzungen für eine Libyen-Konferenz unter Führung der Vereinten Nationen schaffen, an der neben den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates etwa auch Italien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate teilnehmen könnten. Bereits auf dem G-7-Gipfel in Biarritz Ende August führten die Staats- und Regierungschefs nach Merkels Worten "eine intensive Diskussion zu Libyen, die, meine ich, sehr wichtig war".

Erwartungen, so eine Konferenz könnte schon in naher Zukunft ausgerichtet werden, dämpft man in Berlin allerdings. Bis dahin, stellte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) klar, liege "noch viel Arbeit vor uns".

Vor Ort hat sich die Krise zuletzt verschärft: Die Offensive von Khalifa Haftar auf Tripolis Anfang April führte zur größten Mobilisierung von Milizen in Westlibyen seit der Revolution von 2011. Mittlerweile ist sie ins Stocken geraten. Keine der Milizen in Libyen ist stark genug, um das Land unter Kontrolle zu bringen. Als Haftar noch militärische Erfolge verbuchen konnte, war die Kanzlerin in den Nachbarländern der Sahelzone unterwegs. Dort sprach sie mit den Präsidenten aus Niger, Mali, Mauretanien, Tschad und Burkina Faso über die Sicherheitslage. Die Präsidenten legten ihr dar, wie sehr ihre Länder unter Milizen und Terroristen litten, die vor allem aus Libyen einsickerten. Merkel wirkte damals fast konsterniert von der Mischung aus Ärger und Spott der Präsidenten, dass "der Westen" in der Lage war, Libyen zusammenzuschießen, aber nicht, das Land wieder zu stabilisieren.

In Libyen werden regelmäßig Verstöße gegen das internationale Waffenembargo dokumentiert, unter anderem durch UN-Mitgliedstaaten wie Ägypten, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate, die ihre jeweiligen Milizen mit Waffen versorgen. Für die Staaten in der Sahelzone heißt das: Sie müssen 15 Prozent ihrer Etats für die Sicherheit ausgeben. Das Geld fehlt für Schulen, die Bekämpfung des Klimawandels und eine Strategie gegen die demografische Entwicklung. Und aus europäischer Sicht heißt das: Der Migrationsdruck bleibt bestehen. Für viele afrikanische Flüchtlinge ist Libyen eines der wichtigsten Transitländer. Die Zustände in den dortigen Lagern bezeichnete die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Freitag als "erbärmlich".

Nur eine Woche nach ihrer Afrikareise empfing Merkel damals Premier Fayez al-Sarradsch in Berlin. Der hatte zuvor mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gebrochen, er warf ihm eine zu große Nähe zu seinem Widersacher Haftar vor. Macron, der die Befriedung Libyens bereits kurz nach seinem Amtsantritt als erste außenpolitische Feuerprobe erzwingen wollte, hat seine Vermittlerrolle mittlerweile verspielt. Zwar schaffte er es im Juli 2017, die beiden Kontrahenten, Ministerpräsident Fayez al-Sarradsch und General Haftar in Paris zu einem Gipfeltreffen zusammenzubringen, doch die Vereinbarungen waren von Anfang an unrealistisch.

Die diplomatische Offensive der Kanzlerin ist deshalb ein ambitioniertes Unterfangen. Zwar gilt Berlin im Gegensatz zu Paris und Rom, die beide um Einflussnahme im libyschen Öl- und Gassektor ringen, eher als neutraler Vermittler. Auch sprach sich Merkel anders als zuvor Macron mit dem UN-Sondergesandten für Libyen, Ghassan Salamé, ab, der die Krise mittlerweile nur dann gelöst sieht, wenn man die Regionalmächte in die Verantwortung nimmt - und dennoch: Die Gräben zwischen Ägypten und VAE auf der einen Seite sowie Katar und der Türkei auf der anderen Seite sind so tief, dass ein Aufeinandertreffen nur schwer vorstellbar ist.

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