Deutsches Konsumverhalten:Furcht vor dem Pomp

Luxus ist den Deutschen peinlich. Was anderswo Bestandteil der Kultur ist, gilt hier als ihr Hemmschuh. Eine Bestandsaufnahme.

Rebecca Casati

Luxus ist das, was man kauft, wenn man Waschmaschine, Kühlschrank, Geschirrspüler schon hat. Der Automat, der - dann ganz wichtig - glasklare Eiswürfel aushustet. Ein sechsgeschossiger Unterbauweinkühler. Der Doppelbackofen, die Brotbackmaschine, der Käseklimaschrank. Oder aber, auf den Rest der Lebensbereiche verteilt: Seife aus Parma-Veilchen, die in den Midi-Pyrenäen geerntet wurden. Fleurs de Sel aus der Camargue. Oder die Wolle der nepalesischen Kaschmirziege.

Einkaufstüten Frauenbeine, istock

Der übermäßige Kauf von Luxusartikeln ist den Deutschen suspekt. Nur an Weihnachten schlägt die Kauflust durch.

(Foto: Foto: istock)

In ihrer Aufzählung klingen diese Dinge gleich sehr albern, zumindest in deutschen Ohren. Es sinnlos krachen zu lassen - den Wunsch nach dieser Art von Freiheit hatten die buchdruckerfindenden, weltliteraturschreibenden, symphonienkomponierenden, kriegeanzettelnden und schnellwagenbauenden Deutschen komischerweise nie. Die Verachtung von Luxus hat in diesem Land eine ebenso lange Tradition wie die Philosophie, die Theologie und die Ethiklehre. Naja, und außerdem wachsen hier ja auch gar keine Parma-Veilchen.

Extravaganz ist dem typischen Deutschen peinlich; dem Norddeutschen etwas mehr als dem Süddeutschen. Die Deutsche lässt im Sommer die Nylonsöckchen aus den Schuhen rausgucken, mit denen die Amerikanerin verschleiern will, dass sie überhaupt Strümpfe trägt. Chanel, in Frankreich bereits Bestandteil der Gymnasiastinnengarderobe, geht in Deutschland erst ab 50, und das auch nur dann, wenn die Haare ohrenkurz geschnitten sind.

Törichte Neigung

Was sie ab spätestens 45 Jahren ja sowieso sein sollten. Und ab 65 werden bittesehr Windjacken in den Schattierungen Haferflocke, Schilf und Telefonhörergrau getragen. Man ist ja nicht zum Spaß Rentner geworden, sondern auch, um die - in diesem Land sowieso sehr gewichtige - Stiller-Vorwurf-Rolle zu übernehmen.

Luxus galt hier nie als Sprengsel der Kultur, sondern wenn überhaupt als ihr Hemmschuh, eine törichte Neigung, die dringend überwunden werden müsste, und das gilt auch für alle Unterkategorien des Nichtnotwendigen. Prozentual aufs Gehalt gerechnet, gibt in Europa bekanntlich niemand weniger für Nahrungsmittel aus als die Deutschen. Das 30 Euro teure Olivenöl, über das ein Italiener andächtig staunen kann, löst bei dem Deutschen nur Kopfschütteln aus. Genau wie jener exklusive Käse, über den sich der Franzose fast zu Tode freuen kann.

Auch materielle Luxusgegenstände lassen den Deutschen kalt, beziehungsweise provozieren sie ihn bei anderen. Dabei waren die Argumente gegen Luxus früher soviel stichhaltiger. Der Niedergang Roms taugte jahrhundertelang als Abschreckung. Im Mittelalter konnte ein Hang zum Luxus sogar lebensgefährlich werden, er galt als Tumor geistigen und körperlichen Verfalls.

"Luxus muss sein"

Doch dann kam das 18. Jahrhundert, Industrialisierung und Bürgertum formierten sich, und die Ökonomen und Philosophen erkannten, wie entscheidend die Produktion von Luxusgütern für das Wachsen von Kapital, Nachfrage, technischem Fortschritt, Beschäftigung und Export war.

Was damals der französische Staatstheoretiker Charles de Montesquieu formulierte, hat heute ein Mann wie Patrick Thomas längst verinnerlicht: "Luxus muss sein. Wenn die Reichen nichts verschwenden, verhungern die Armen." Typisch, dass das nicht von einem Deutschen kam.

Auch nach dieser Umdefinition erschien den Deutschen Luxus suspekt, nunmehr eher im Sinne von: verweichlicht. Goethe, Nietzsche, Schopenhauer und Einstein äußerten sich verächtlich über ein Leben in Saus und Braus. In den Märchen von Hauff oder den Gebrüdern Grimm hat Luxus etwas Böses oder Bitteres, um ihn zu erfahren, muss der Held sich fast immer erniedrigen, hinterher ist dann alles gar nicht wie erträumt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Deutschen in der Krise weniger panisch sind als andere Völker - und wie es Leuten ergeht, die sich in Deutschland zum Luxus bekennen.

Sparsamkeit und Bodenhaftung

Die moderne Variante dieser Märchen lesen Deutsche immer wieder voll Genugtuung in der Zeitung, so auch dieser Tage: Die wahre Geschichte vom kleinen Fliesenleger, der auszog, um binnen fünf Jahren seine Lottomillionen zu verschleudern und am Ende im Knast zu landen.

Vielleicht sind die Deutschen jetzt, in der Krise, deshalb weniger panisch als andere Völker: Sie haben sowieso immer gespart. Nicht einmal im Wirtschaftswunder haben sie ihr Geld verprasst. Konsequenterweise sehen sie es auch nicht gerne, wenn andere im Luxus leben. Wer es in diesem Land trotzdem tut, hat besser gleich auch etwas vorzuweisen, das sein Leben weniger beneidenswert macht.

Er muss sich in regelmäßigen Abständen von der ganzen Nation ausbuhen lassen (Fußballer), sich ständig in akute Lebensgefahr bringen (Rennfahrer). Oder er muss sich - ja, die Deutschen sind recht perfide - jahrelang mit Falsettgesang, Prollgehabe und Penisbruch lächerlich gemacht haben, siehe Dieter Bohlen. Die Wohlstandskurve verläuft dabei idealerweise umgekehrt proportional zum elitären Nimbus.

Leute, die sich jeden Luxus der Welt leisten könnten, betonen in diesem Land tunlichst ihre Sparsamkeit und Bodenhaftung, wie Heidi Klum, die ständig von Tante Ernas Sauerkrautsuppe schwärmt. Wie Veronika Ferres, die gebetsmühlenartig ihre Kindheit auf dem elterlichen Kartoffelacker beschwört.

Weihnachten, die Domäne der Deutschen

Oder wie der Multimillionär Stefan Raab, der Tag für Tag im Sweatshirt vor sein Unterschichten-Publikum tritt. Die Deutschen wollen diese Bilder als Beweise, dass der oder die nicht längst über sie und Deutschland hinausgewachsen ist und sie dabei - deutsche Urangst! - in irgendeiner Weise übervorteilt wurden.

Es fragt sich nur: Wenn herkömmlicher Luxus für die Deutschen gar kein Luxus ist - was ist es dann? Es sind die sogenannten, schon zu Jahresanfang eingereichten Brückentags-Urlaubskonstruktionen. Die Wahl zu haben zwischen drei verschiedenen Baumärkten in der Nachbarschaft. Ein Fleckchen Garten.

Immer dann, wenn der Deutsche sich selber nicht mehr erträgt, fährt er sowieso schnell nach Spanien, Frankreich oder Italien. Und immer dann, wenn man in diesem Land sitzt und denkt: So geht es wirklich nicht mehr weiter mit der ganzen Vernunft, Rechthaberei und Sparsamkeit - immer dann kommt: Weihnachten. Die Domäne der Deutschen.

Besser als Käse, sinnstiftender als Olivenöl. Da wird das Geld rausgehauen. Da stechen Nachbarn einander mit den luxuriösesten Lichtkonstruktionen aus. Ah, in sechs, sieben Monaten: Da sind die Deutschen am Drücker. Und endlich muss die ganze Welt wieder ihr Lied singen.

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