"Ad Astra" im Kino:Eine Reise an die Ränder des Sonnensystems

Lesezeit: 4 min

Alltag im All - eine Dienstfahrt auf dem Mond. (Foto: Fox)

James Gray hat mit "Ad Astra - Zu den Sternen" einen ungewöhnlich zurückhaltenden Science-Fiction-Film gedreht.

Von Philipp Stadelmaier

Riesig ragt die Antenne in die oberen Schichten der Erdatmosphäre, viele Kilometer hoch. Wartungsarbeiten in diesen Höhen durchzuführen, das ist nur etwas für Leute mit Nerven und Berufsethos. Ohne psychologischen Test wird auf der Station am Gipfel der Anlage niemand durch die Luftschleuse ins Draußen gelassen, wo das Blau des Himmels und das Dunkel des Weltraums ineinander übergehen. So spricht der Ingenieur Roy McBride einige Sätze in den Computer, bevor er im Raumanzug aussteigen darf. Seine Stimme ist leise. Man könnte meinen, er sei traurig, doch in Wahrheit ist er einfach ruhig. Er ist der perfekte Mann für den Job. Ein Profi. Und natürlich schwindelfrei.

Schwindelfreiheit empfiehlt sich auch für den Zuschauer in diesen ersten Minuten von "Ad Astra - Zu den Sternen", dem neuen Film von James Gray, der gerade bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt wurde. Es ist Brad Pitts zweiter Großauftritt in diesem Jahr, nach Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood", wo er den Stuntman eines Schauspielers im Hollywood der späten Sechzigerjahre verkörperte. Stuntleute werden bekanntlich fürs Hinfallen bezahlt. Mit einem tiefen Sturz beginnt auch dieser Film. Denn während der von Pitt gespielte McBride auf dem Gerüst arbeitet, kommt es über ihm zu einer Explosion. Er verliert den Halt, fällt in die Tiefe, dreht sich mehrfach um die eigene Achse, bis er doch noch den Fallschirm öffnen kann.

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Unten angelangt wartet ein Auftrag auf ihn. In einem großen, leeren, grauen Raum erklären Offiziere des Weltraumprogramms, dass der Vorfall an der Antenne kein Einzelfall war. Überall auf der Welt kommt es zu elektromagnetischen Stürmen, ausgelöst von Energiewellen, deren Quelle am Rand des Sonnensystems lokalisiert wurde. Und da kommt McBride ins Spiel. Dessen Vater (Tommy Lee Jones) befehligte einst das sogenannte Lima-Projekt, eine Forschungsmission zum Neptun. Roy war zehn, als sein Vater fortging, er war neunundzwanzig, als jegliche Kommunikation mit dessen Raumschiff abbrach. Hat dieser am Ende etwas mit den Geschehnissen auf der Erde zu tun? McBride soll Näheres herausfinden, Kontakt zu seinem Vater herstellen, die Quelle der Schockwellen neutralisieren.

Der Film erinnert "Apocalypse Now" mit seiner Flussfahrt ins Reich der Dunkelheit

Der Plot hört sich nach dem Stoff an, aus dem viele Hollywoodfilme gemacht sind: Ein einsamer Held wird ausgesandt, um die Menschheit zu retten. Doch nichts fühlt sich hier nach einer heroischen Mission an. "Sind Sie einverstanden?", fragt man McBride. "Habe ich eine Wahl?", entgegnet er. Seine Stimme ist immer noch leise. Nun klingt sie doch etwas traurig. Die bevorstehende Reise wird eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit einer komplizierten Vaterfigur werden. McBride besteht noch eine Weile seine psychologischen Tests, denen er am Computer regelmäßig unterzogen wird. Bis er irgendwann durchfällt.

Für Hollywood-Verhältnisse ist nicht nur McBrides Mission, sondern auch Grays Film keine einfache Angelegenheit. James Gray ist kein anonymer Blockbuster-Regisseur, sondern ein renommierter Filmemacher, der die Filmgeschichte kennt und sein Handwerk als Ausübung einer Kunst begreift. Nun wurde im März das produzierende Studio, Fox, von Disney gekauft, dem Unterhaltungsriesen, der endlose Neuauflagen etablierter Marken bevorzugt: Lieber einen zwanzigsten "Star Wars"- oder Marvel-Film als ein kommerzielles Risiko eingehen, Brad Pitt hin oder her. Der Starttermin wurde verschoben. Man kann von Glück sagen, dass "Ad Astra" doch noch im Kino gelandet ist. Für solche Filme sieht es in Hollywood im Lichte des Disney/Fox-Deals düster aus.

Komplex ist "Ad Astra" allein wegen seiner Zwischentöne. Die Zukunft ist weder dystopisch noch besonders strahlend, sondern eine Zeit, in der die Menschen begonnen haben, ernsthaft Raumfahrt zu betreiben und den Weltraum zu kolonisieren - aus rationalen, wirtschaftlichen Motiven. Raketenflüge wie der, mit dem McBride zunächst zum Mond gelangt, sind mittlerweile Routine. Es gibt Weltraumbahnhöfe wie Flughäfen. Auf der Mondbasis springen Filialen von Subway und DHL ins Auge. Das Product Placement vermittelt den Eindruck von Alltäglichkeit. Die Mondbasis empfängt einen mit den Worten: "Wo die Welt zusammenkommt." Währenddessen gehen die Kämpfe um Ressourcen weiter, gerade auf dem Mond. Fährt man, wie McBride, mit einem Mondrover von einer Basis zur anderen, riskiert man, von Piraten überfallen zu werden.

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In dieser "Zeit von Hoffnung und Konflikt", die eine Texteinblendung anfangs ankündigt, hat die Menschheit jedoch auch in die Idee investiert, nach außerirdischem Leben zu suchen, daher die Weltraumantenne, daher die Neptun-Mission von McBrides Vater. Es gibt Zeichen für Hoffnung, für Forschergeist, für Fortschritt. Doch wo die Grenzen des Bekannten übertreten werden, lauern auch Hybris und Wahnsinn. Sein Vater, so findet McBride heraus, ist über seiner Suche nach Aliens offenbar verrückt geworden. Der Film erinnert darin an Coppolas "Apocalypse Now", in dem Martin Sheen im Vietnamkrieg einen Fluss hinauf ins Reich der Dunkelheit fährt, errichtet von einem von Marlon Brando gespielten Colonel, der den Verstand verloren hat.

Andere haben den Film mit Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" verglichen. Aber "Ad Astra" hat nicht wirklich etwas gemein mit diesen bildgewaltigen Phantasmagorien der Filmgeschichte. Die Kraft von Grays Film besteht in seiner visuellen Zurückhaltung. Dies zeigt sich vor allem im Vergleich mit einem jüngeren Weltraumspektakel, Christopher Nolans "Interstellar". Dort wurden die Wunder des Alls in majestätischer Weise ausgestellt, etwa der Saturn mit seinen Ringen. Gray arbeitet zwar mit Nolans Kameramann Hoyte van Hoytema, doch gerade der Saturn, an dem McBride auf seiner Reise vorbeifliegt, bleibt hier ganz unscheinbar. Das Endziel der Reise ist der bläulich-fahle Gasplanet Neptun, der fast mit der Dunkelheit um ihn herum zu verschmelzen scheint. Es gehört zu Grays Handschrift, sich Orte wie diesen auszusuchen, denen jede Opulenz abgeht.

Denn was McBride erwartet, sind weniger die letzten Geheimnisse des Universums, sondern es ist das Allzuvertraute. Wie immer bei Gray ist die Familie das bestimmende Thema. In seinem letzten, großartigen Film "Die versunkene Stadt Z" verließ ein Entdecker immer wieder seine Heimat, um eine geheimnisvolle Stadt im Amazonas zu suchen. In "Ad Astra" reist ein Sohn bis an die Ränder des Sonnensystems, um den Entdecker-Vater wiederzufinden, der einst alles hinter sich ließ. Man mag nach außerirdischem Leben suchen, nach der Ferne streben - vor den eigenen Wurzeln gibt es kein Entkommen. Man fällt immer wieder auf die Erde zurück.

Ad Astra, USA 2019. - Regie: James Gray. Buch: Gray, Ethan Gross. Kamera: Hoyte Van Hoytema. Mit Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Donald Sutherland. Fox, 124 Min.

© SZ vom 18.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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