Online-Handel:Mit Gruß aus China

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Fertig für den Transport: Container im Hafen von Qingdao. Nicht immer ist klar, wer der Absender ist. (Foto: Yu Fangping/dpa)

Fake-Produkte sind zu einem großen Problem für die Wirtschaft geworden. Der Zoll scheint machtlos. Bayern hat nun eine Gesetzesinitiative gestartet. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen.

Von Michael Kläsgen

Das Bundesland Bayern wird am diesem Freitag eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat einbringen, die zum Ziel hat, gefälschte Produkte zurückzudrängen. Meist kommen sie aus China. Viele Verbraucher werden das womöglich mit gemischten Gefühlen aufnehmen. Denn über das Internet kann jeder inzwischen leicht Ware am anderen Ende der Welt bestellen. In Internetforen kann man lesen, dass manche ganz bewusst gefälschte Produkte kaufen, weil diese viel billiger sind. Für hiesige Markenhersteller ist das ein Problem.

Laut dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft beläuft sich der jährliche Schaden für die deutsche Wirtschaft auf fast 55 Milliarden Euro. Die Forscher geben sich alarmiert. Produktfälschungen hätten bereits 500 000 Jobs in Deutschland gekostet, heißt es. Natürlich ist es schwierig, so etwas zu messen. Es steht nicht einmal fest, wie viele Fake-Produkte in Deutschland landen. Dem Zoll entgehe trotz verschärfter Kontrollen das meiste, bemängelt der Handelsverband HDE.

Fakt ist aber, dass sich bayerische Händler und Hersteller vor einiger Zeit an die Landesregierung wandten, mit der Klage, durch Plagiate Umsatz zu verlieren, beziehungsweise der Sorge, dass dies geschehen könnte. Nun wird das Wirtschaftsministerium in München aktiv. "Einige mittelständische Händler, stationär oder online, können diesem unfairen Konkurrenzdruck nicht mehr lange standhalten", sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Amazon und Ebay haften für Fake-Ware - Konkurrent Alibaba nicht

Für problematisch halten jedoch selbst Onlineunternehmen, die nicht mit Namen genannt werden wollen, dass Bayern über das hinausgehen will, was bislang in Europa und auf Bundesebene geplant war oder schon umgesetzt wurde. Seit Anfang des Jahres etwa gilt, dass von allen Händlern, auch von jenen außerhalb der EU, die Umsatzsteuer eingetrieben werden soll. Darüber herrschte breiter Konsens in Politik und Wirtschaft.

Ein ebenfalls von vielen gutgeheißener Vorstoß war, in Europa ansässige Onlinehändler wie Amazon oder Ebay dafür haftbar zu machen, wenn über ihre Plattformen Fake-Ware verkauft wird. Einzelne Kritiker meinen zwar, aufgrund dieser Kompletthaftung würde ein "Abmahnunwesen" entstehen. Aber Bayern geht mit seiner Gesetzesinitiative sogar noch einen Schritt weiter: Nicht nur in Europa ansässige E-Commerce-Plattformen sollen demnach für Produktpiraterie haften, sondern alle Online-Marktplätze weltweit. Konkret heißt das, Betreiber von Online-Shopping-Malls wie Wish oder Alibaba sollen mithelfen, gefälschte Ware schon im eigenen Land aus dem Verkehr zu ziehen. Nur: Kann Europa oder gar Deutschland allein das in China durchsetzen?, fragt der Leiter der Rechtsabteilung eines Onlinehändlers.

Der Antrag Bayerns sieht zudem vor, das Weltpostabkommen zu überprüfen. Bislang ermöglicht es Händlern in China, Ware günstig zu verschicken, wodurch sich ein weiterer Wettbewerbsvorteil gegenüber Händlern aus Industrieländern ergibt. Dabei fällt auf, dass diejenigen, die die Päckchen transportieren, also etwa Versanddienstleister wie DHL, völlig außen vor gelassen werden bei dem Versuch, Fake-Ware von Deutschland fern zu halten. Dabei hätten sie es ja im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand, die Waren zu kontrollieren.

Einig sind sich hingegen alle darüber, den Zoll mithilfe von künstlicher Intelligenz besser in die Lage zu versetzen, Pakete aus dem Verkehr zu fischen, ehe sie beim Endverbraucher landen. Mehr als fünf Millionen Päckchen hat der deutsche Zoll zwar vergangenes Jahr aussortiert. Das waren 50 Prozent mehr als 2017, aber nach Ansicht von Stephan Tromp, dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des deutschen Handelsverbandes HDE, nur ein Bruchteil dessen, was tatsächlich zu beanstanden gewesen wäre. 2017 belief sich die Zahl der allein aus China eingeführten Pakete auf etwa 100 Millionen, geht aus dem bayerischen Entschließungsantrag hervor. Natürlich befanden sich nicht in allen Sendungen Fälschungen. Die Gesamtzahl der aussortierten Päckchen dürfte bei einer gründlichen Prüfung trotzdem deutlich höher ausfallen als gut fünf Millionen.

Tromp hat genaue Vorstellungen darüber, wie der Zoll mit ein bisschen besserer Technik viel effizienter arbeiten könnte. Besonders kompliziert klingt sein Vorschlag nicht. Im Moment ist es so, dass jeder Onlinehändler auch aus einem Nicht-EU-Staat verpflichtet ist, eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu haben, wenn er in der EU etwas verkaufen will. Allerdings hapert es bei der Kontrolle. Tromp schlägt daher vor, eine zentrale Datenbank zu schaffen, auf die alle Behörden und Plattformen zugreifen können, um zu ermitteln, ob ein Händler eine gültige Identifikationsnummer hat. Diese Nummer müsste auf jedem Paket maschinenlesbar zu erkennen sein.

Der Zugriff auf dubiose Webseiten ließe sich sperren

Pakete, die diese Nummer nicht aufweisen oder die von Absendern stammen, die noch Steuerschulden in Deutschland haben, würden automatisch aussortiert. Der "digitale Zoll" steht schon seit Jahren auf der Agenda der EU. Seine Umsetzung ist aber auf 2025 verschoben worden. "Da freut sich die Fake-Industrie", sagt Tromp. Und vielleicht auch der ein oder andere Onlinekäufer in Deutschland. Denn er kann weiter direkt in China einkaufen.

Bei den Verbrauchern könnte das Bewusstsein, dass mit den Fake-Produkten Markenrechte verletzt und der Gesundheits- und Umweltschutz mitunter missachtet werden, nach Ansicht des HDE und der bayerischen Landesregierung durchaus geschärft werden. Für viele Käufer ist der Preisvorteil das ausschlaggebende Argument, wissentlich zu Fälschungen zu greifen, das verdeutlichen unter anderem Online-Kommentare zu einem aufwendig recherchierten Artikel über die chinesische Fake-Industrie in der Wochenzeitung Die Zeit. "Ob ich Hugo Boss oder einen ehemaligen Reisbauern unterstütze, ist mir doch egal", schrieb ein Leser. Er dürfte mit dieser Meinung nicht allein sein. Kein Wunder, dass Tromp deswegen sagt: "Als Bürger muss man bei sich selber anfangen." Auf der Seite von Amazon etwa seien es nur zwei Klicks mehr, um herauszufinden, woher die Ware stammt. Aber klar, wenn der Preis entscheidet, ist die Herkunft zweitrangig.

Deswegen verwundert, dass weder der HDE noch die Politik versuchen, das Übel an der Wurzel zu packen. So könnte man zum Beispiel den Zugriff auf Webseiten mit Fake-Shops von Deutschland aus sperren. Technisch wäre das machbar. Die Politik könnte auch Internet-Suchmaschinen wie Google oder Social-Media-Netzwerke wie Facebook und Instagram, auf denen beispielsweise die chinesische Plattform Wish massiv wirbt, viel stärker in die Pflicht nehmen und sie auffordern, den Zugang zu Fake-Produkten zu unterbinden.

Der Grund könnte sein, dass die Herkunftsländer dieser Unternehmen dann ihrerseits genauer prüfen könnten, ob sich auch deutsche Händler im Ausland immer gesetzeskonform verhalten. Am Ende könnte Deutschland so unfreiwillig eine Entwicklung in Gang setzen, die weder die Industrie noch die Verbraucher gutheißen dürften: einen weiter zunehmenden Protektionismus, der die Produktion verteuern würde.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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