Banken:Der Cum-Ex-Jongleur packt aus

Banken: Lange im Dunkeln, jetzt im Scheinwerferlicht der Justiz: Geschäftsleute, die insgesamt Milliarden Euro beiseite geschafft haben sollen. Illustration: Getty; Bearbeitung SZ

Lange im Dunkeln, jetzt im Scheinwerferlicht der Justiz: Geschäftsleute, die insgesamt Milliarden Euro beiseite geschafft haben sollen. Illustration: Getty; Bearbeitung SZ

  • Erstmals sagt vor Gericht ein Angeklagter aus, der im Cum-Ex-Steuerskandal eine wichtige Rolle gespielt haben soll.
  • Er sagt, dass die Cum-Ex-Geschäfte einen "industriellen Charakter" gehabt hätten.
  • Diese trickreichen Geschäfte liefen darauf hinaus, sich beim Kauf und Verkauf von Aktien eine lediglich einmal gezahlte Steuer mehrmals erstatten zu lassen.

Von Nils Wischmeyer, Bonn

Der große Auftritt von Martin S. im Bonner Landgericht beginnt nach einer halben Stunde. Seine Anwältin Hellen Schilling sagt "It's your turn" und Martin S. begrüßt die Richter erst einmal auf Deutsch. Leider, so sagt er, sei das alles, was er könne, wechselt ins Englische und beginnt mit der erste Aussage im ersten Cum-Ex-Strafprozess überhaupt. Alle paar Sätze wird der 41-Jährige mit dem schütteren Haar, der weißen Apple Watch und dem blauen Jacket unterbrochen, damit ein Übersetzer seine Worte noch einmal auf Deutsch wiederholen kann. Zeile um Zeile kämpfen sie sich durch mehrere Dutzend Seiten, immer erst Englisch, dann Deutsch, manchmal unterbrochen von Erklärungen und Nachfragen. Über mehrere Stunden geht das so und nicht alle, die als Prozessbeobachter hinten im Saal sitzen, dürften sich dabei wohl fühlen. Vor allem die von diversen Banken entsandten Anwälte nicht.

Es fallen die Namen von etlichen Geldinstituten. Angefangen beim alten Arbeitgeber von Martin S., der Hypo-Vereinsbank (HVB). Gefolgt von der Commerzbank, bis hin zu den Landesbanken wie HSH Nordbank, Helaba oder der mittlerweile insolventen WestLB und auch der Deutschen Bank. Sie alle, so sagt Martin S. an diesem Mittwoch, sollen Teil der "Industrie Cum-Ex" gewesen sein. Sie alle sollen über Jahre hinweg dazu beigetragen haben, den Fiskus auszunehmen. Denn die Cum-Ex-Geschäfte, das sagt Martin S. deutlich, hatten einen "industriellen Charakter". Mit trickreichen Geschäften, die darauf hinaus liefen, sich beim Kauf und Verkauf von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende eine lediglich einmal gezahlte Steuer mehrmals erstatten zu lassen. Die Geschäfte waren so kompliziert, so schwer zu durchschauen, dass es für den Fiskus so aussah, als ob gleich mehrere Beteiligte die auf Dividendenerlöse fällige Kapitalertragsteuer abgeführt hätten. In Wahrheit war das aber eben nur einmal geschehen. Den Schaden aus diesen Deals schätzen Steuerfahnder auf mehr als zehn Milliarden Euro.

Martin S., sein ebenfalls angeklagter Kollege Nick D. und mehrere Dutzend Banken, Investoren und Berater sollen dem Staat einen Schaden von 447,5 Millionen zugefügt haben. Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen, lautet der Vorwurf. Der Prozess in Bonn soll klären, ob diese Deals strafbar waren. Oder ob der Staat selbst schuld ist, weil die Cum-Ex-Industrie lange Zeit vorhandene Schlupflöcher in der Steuergesetzgebung legal ausgenutzt habe. Was das Bonner Landgericht entscheiden wird, gilt als wegweisend.

Martin S. will an diesem Mittwoch erst gar nicht leugnen, ein Teil dieser Maschinerie gewesen zu sein. Er erklärt, wie er in der Finanzindustrie vorangekommen und dort schließlich in die Cum-Ex-Aktiendeals hineingeraten sei. Vor allen Dingen aber sagt der Brite, wer daran beteiligt gewesen sei oder zumindest habe wissen können, was da lief. Besonders deutlich wird das an den Stellen, an denen er sagt: "Es gab keine Black-Box. Es wurde nie etwas verstellt." Vielmehr seien diese Cum-Ex-Deals unter Banken, Händlern und Beratern ein offenes Geheimnis gewesen und viele hätten die dabei angefallenen Gewinne nur zu gerne eingestrichen.

Der Brite Martin S. belastet auch eine Tochter der Deutsche Börse schwer

Nicht zuletzt auch deshalb, so der Brite, weil es immer wieder Berater gegeben habe, die das Ganze juristisch als wenig riskant beschrieben hätten. Einer von ihnen: Hanno Berger, ehedem selbst beim Fiskus beschäftigt, dann Steueranwalt in Frankfurt. Gegen ihn laufen mehrere Ermittlungsverfahren, es liegt auch schon eine Anklage vor. Berger, der als eine Art Mr. Cum-Ex gilt, betrachtet das alles aus seinem Exil in der Schweiz. Und wehrt sich seit Jahren heftig gegen den Vorwurf, illegal agiert zu haben. Einem möglichen Prozess in Deutschland würde er sich nach eigenen Angaben stellen.

Berger sei ihm als Steuerrechtsexperte vorgestellt worden, erzählt Martin S. Er berichtet auch von anderen Weggefährten, die mitgemacht hätten. Beispielsweise von dem damaligen HVB-Kollegen Paul Mora, mit dem er sich dann selbständig gemacht habe. Mora, gegen den in Deutschland ermittelt wird, weist alle Verdachtsmomente zurück. Ebenso wie die Hamburger Privatbank Warburg, die in den Erzählungen von Martin S. ebenfalls vorkommt. Von Warburg habe er den ersten Beratervertrag bekommen. In all den Abkommen mit Warburg sei zwar nie speziell von Cum-Ex-Geschäften zu Lasten des Fiskus die Rede gewesen, sagt der Brite. Aus dem Kontext wäre aber ersichtlich gewesen, warum es da gegangen sei. Um das alles etwas anschaulicher zu machen, steht Martin S. auf und schreitet in die Mitte des Gerichtssaals, Dort steht er dann und zeigt mit einem Laserpointer auf eine Präsentation. Bunte Kreise sind nach und nach zu sehen; verbunden mit Linien, darin Begriffe wie "Lender" (Leihgeber) oder "Int. Bank" (Internationale Bank). Und immer wieder Zahlen, wie das Geld von A nach B geflossen sei und wer wie viel Gewinn gemacht habe. Das Schaubild zeigt, dass es für solche Geschäfte gut ein Dutzend Akteure brauchte. Dies zu koordinieren sei seine Aufgabe gewesen, sagt Martin S. Was er als "Jonglieren mit vielen Bällen" bezeichnet.

Ein weiterer Akteur in diesem großem Zusammenspiel soll Clearstream gewesen sein, eine Tochter der Deutschen Börsen, die Aktien verwahrt. Viele Banken haben ein Konto bei Clearstream in Frankfurt. "Alle Aktien sind immer dort geblieben", sagt der Angeklagte. Die Papiere seien lediglich von Konto A zu Konto B und wieder zurück geschoben worden. Clearstream habe nicht nur von den Transaktionen wissen können, so der Brite. Die Tochter des Deutschen Börse habe nach 2007 Kunden sogar dazu bewegt, Konten bei der Clearstream-Filiale in Luxemburg zu eröffnen, um dem Fiskus weiterhin ein Schnippchen schlagen zu können. Hunderte Banken sollen diesem Ruf gefolgt sein.

2007 ist deshalb wichtig, weil die Bundesregierung da den ersten Versuch unternahm, Cum-Ex-Deals zu Lasten des Fiskus zu unterbinden. Dummerweise blieb aber ein Schlupfloch offen. Mit Einschaltung ausländischer Handelspartner war es weiterhin möglich, in die Staatskasse zu greifen. Ob Clearstream darin verwickelt ist oder nicht, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen. Die Deutsche Börse erklärte kürzlich nach einer Durchsuchung, man kooperiere mit den Behörden. Das tut längst auch Martin S. Er sagt heute, solche Geschäfte würde er nicht noch einmal machen.

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