Konjunktur:Kehrtwende der Knauserer

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Die niederländische Regierung will einen Fonds auflegen, der unter anderem in Infrastruktur investiert. Das Geld dafür soll am Finanzmarkt aufgenommen werden – offenbar bis zu 50 Milliarden Euro. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Die Deutschen sind Stolz auf ihre schwarze Null - und damit zunehmend allein. Weil die Konjunktur schwächelt, wird in Europa der Ruf nach höheren Ausgaben lauter. Nun verliert Olaf Scholz einen seiner letzten Verbündeten.

Von Björn Finke, Brüssel

Die Niederlande erhöhen den Druck auf ihren großen Nachbarn Deutschland: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hält bei seinem Haushalt an der berühmt-berüchtigten "schwarzen Null" fest. Von Forderungen, neue Schulden aufzunehmen und mit dem Geld die Konjunktur zu stützen, lässt er sich nicht allzu sehr beirren. Sein Amtskollege aus Den Haag gibt sich dagegen großzügig. Wopke Hoekstra legte nun den Budgetentwurf für das kommende Jahr vor und versprach den 17 Millionen Niederländern unter anderem drei Milliarden Euro an Steuerkürzungen. Außerdem will der Konservative einen Fonds gründen, der in Infrastruktur und Forschung investiert.

Das Geld soll sich der Staatsfonds leihen. "Die niedrigen Zinsen schaffen günstige Gelegenheiten für so etwas", sagt der 43-Jährige. Medienberichten zufolge könnte der Fonds 50 Milliarden Euro umfassen - fast 3000 Euro für jeden Niederländer.

Mit den Investitionen und seiner Spendierlaune wird Hoekstra Mario Draghi erfreuen, den scheidenden Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Italiener rief die Finanzminister dringend dazu auf, die schwächelnde Konjunktur in Europa zu stützen. Es sei "höchste Zeit, dass die Fiskalpolitik übernimmt", sagte er. Will heißen: Allein kann die Notenbank den Abschwung nicht bekämpfen. Vergangene Woche hatte Draghi die Strafzinsen, die Banken für Einlagen bei der EZB zahlen, auf den Rekordwert von 0,5 Prozent erhöht und verkündet, dass die Währungshüter wieder Anleihen kaufen werden. Das soll die Vergabe von Krediten und damit die Wirtschaft ankurbeln. Wenn Fachleute wie Draghi von Hilfe durch die Fiskalpolitik reden, meinen sie vor allem eines: dass die Regierungen in schlechten Zeiten mehr ausgeben sollten, um die Nachfrage anzuheizen. Läuft die Wirtschaft gut, ist dann wieder sparen angesagt.

Die niederländische Regierung war bislang sehr aufs Sparen erpicht, zuhause und in Brüssel. Sie kämpft etwa hart gegen eine Ausweitung des EU-Haushalts und war dagegen, dass sich die 19 Staaten, die den Euro eingeführt haben, ein extra Budget geben. Umso bemerkenswerter ist jetzt die Kehrtwende der Knauserer. Damit wird es im Kreis der Finanzminister langsam einsam um Olaf Scholz.

"Länder mit finanziellem Spielraum sollten diesen nutzen", sagt der Chef der Euro-Gruppe

Auch auf ihrem Treffen am Wochenende im finnischen Helsinki war die maue Konjunktur ein wichtiges Thema für die EU-Finanzminister. Mário Centeno, der Vorsitzende der Gruppe der Euro-Staaten, sagte, Länder "mit finanziellem Spielraum sollten diesen nutzen, um gegen den wirtschaftlichen Abschwung anzukämpfen". Tief verschuldete Staaten wie Italien haben keinen Spielraum, im Gegenteil: Bis zuletzt stritt sich die abgelöste populistische Regierung in Rom mit der EU-Kommission darüber, ob das geplante Budgetdefizit nicht zu hoch ist. Andere Staaten wie Deutschland oder die Niederlande verfügen dagegen über reichlich Spielraum im Budget - dank solider Haushaltspolitik und wettbewerbsfähiger Industrien. An sie richtet sich der Appel Centenos.

Und der Portugiese stand mit seinem Aufruf nicht alleine da. EU-Währungskommissar Valdis Dombrovskis sagte, er ermutige "jene Länder, die über die Möglichkeiten verfügen, diese zu verwenden". Der Mangel an Wirtschaftswachstum sei besorgniserregend, und die Europäische Zentralbank könne alleine nichts ausrichten. Auch Benoît Cœuré, Mitglied des EZB-Direktoriums, rief die Staaten mit Spielraum zum Handeln auf. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire nannte sogar ganz konkret einen Staat, der sich angesprochen fühlen sollte: "Ich denke, es gibt eine Notwendigkeit, mehr mit Deutschland zu reden. Allerdings beginnen die Dinge, sich zu bewegen." Die neue Ausgabenfreude der Niederländer dürfte den Wunsch vieler Partner verstärkt haben, mehr mit Deutschland zu reden.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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