Ende der Reise:Wärme aus dem Koffer

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Die Zukunft des Hotels soll digital sein, aber auch ziemlich kühl. Wie gut, dass man sich jetzt in Köln mit einem analogen Set aus Platten und Schreibmaschine trösten kann.

Von Jochen Temsch

Tourismuskonzerne und Technische Universitäten tüfteln seit Jahren am Hotelzimmer der Zukunft. Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht, die hoffen lässt. Zum Beispiel auf die größte noch zu machende Erfindung in Hotels überhaupt: den deutlich erkennbaren Hauptschalter, mit dem der Gast sämtliche Lichter ausknipsen kann, auch die Lampe im Bad, das Geflimmer in der Ritze zwischen Wand und Schreibtisch und sogar die LED an der Garderobe, die einen kurz vorm Schlafengehen noch zum Aufstehen zwingt und dermaßen aufregt, dass man bis morgens um drei Uhr kein Auge zumacht. Aber mit solchen Kleinigkeiten halten sich die Forscher erst gar nicht auf. Sie entwerfen ganze digitale Erlebniswelten, die sich per Wisch übers Smartphone-Display auf kleinstem Raum entfalten lassen: Lichtstimmung, Fernsehkanäle, Duftnote des Luftparfums, sogar der Härtegrad des Wasserstrahls in der Dusche ist gespeichert und in anderen Zimmern der gleichen Hotelkette wieder abrufbar. Minibars gibt es nicht mehr, ein Roboterwägelchen bringt Bier und Chips an die Tür. Selbst am Check-in sitzt kein Mensch mehr, das Buchungssystem wird vorab vom Gast mit persönlichen Daten und dem Wunsch nach einem Nichtraucherzimmer zum Parkplatz raus gefüttert. So bequem geht es zu im Hotel der Zukunft, so unkompliziert und so kalt.

Da wärmt die Nachricht das Herz, dass es noch Menschen gibt, die an Vorgestern festhalten. Im Kölner 25-Hours-Hotel "The Circle" kann man jetzt zum Aufpreis von 25 Euro einen Schrankkoffer aufs Zimmer rollen lassen, der Relikte aus einer analogen Vergangenheit enthält, die in der Jugend vieler Gäste noch Teil der Gegenwart waren: zum Beispiel Plattenspieler und Vinylalben, Polaroidkameras und mechanische Schreibmaschinen. Die archaischen Apparillos sollen, so steht es in einer Mitteilung des Hotels, zum "Agieren und Nachdenken inspirieren" sowie dazu einladen, "multidimensionale Erfahrungen" zu machen - der netteste Einfall seit Wiedereinführung des Siebzigerjahre-Stileises "Brauner Bär". Man darf sich lauter glückliche Gäste vorstellen, die mit Tränen der Rührung in den Augen im gemütlichen Schein einer Glühbirne vor dem Koffer kauern, am Farbband der Schreibmaschine schnüffeln, dem Knistern des Vinyls nachlauschen und dabei versuchen, ein Selfie mit der Polaroid zu schießen. Das schärft die digital verflachte Wahrnehmung. Aber ach, die LEDs im Zimmer, sie glimmen hinterher umso kühler.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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