Nach der Präsidentschaftswahl:Das afghanische Desaster

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In Afghanistan sollen 1,5 Millionen Wahlzettel manipuliert worden sein. Amerika und Europa müssen nun entscheiden, ob sie Hamid Karsai als Präsidenten überhaupt anerkennen.

Tomas Avenarius

Dass Wahlen in Afghanistan keine Sternstunden der Demokratie sein würden, war klar. Was nun über die Präsidentschaftswahl vom 20. August bekannt wird, trübt das Bild von der sich entwickelnden "Demokratie am Hindukusch" allerdings noch deutlicher ein: Wahlbeobachter der EU gehen davon aus, dass bis zu 1,5 Millionen Stimmzettel manipuliert worden sein könnten. Das wäre ein gutes Viertel aller abgegebenen Stimmen. Die meisten davon gehen zugunsten des Amtsinhabers Hamid Karsai. Ein Teil soll aber auch seinem Herausforderer Abdullah Abdullah zugutegekommen sein. Gefälscht worden wäre demnach von Regierung und Opposition. Was eine weitere Eigenheit der afghanischen Demokratie wäre: Normalerweise fälschen nur die Regierenden.

Ihm wird Wahlbetrug vorgeworfen: Afghanistans Präsident Hamid Karsai. (Foto: Foto: dpa)

Die Kabuler Wahlkommission hat dessen ungeachtet nun ihr vorläufiges End-ergebnis mitgeteilt: 54 Prozent für den Amtsinhaber. Womit Karsai Präsident bliebe. Das stellt die im Land kämpfenden Nato-Truppen und ihre Regierungen in Washington, Berlin, London und Paris vor ein Problem: Erkennen sie das Ergebnis an? Die EU-Beobachter haben bisher nicht gesagt, dass alle beanstandeten Stimmen wirklich beweisbar gefälscht worden sind. Aber sie äußern begründete Zweifel. Sie wollen "nicht Teil eines gewaltigen Betrugs werden".

Den angeblich demokratisch gewählten Karsai als Präsident anzuerkennen, dürfte demnach schwierig werden. Sollte der Vorwurf millionenfacher Manipulation stimmen, hätte er seine Mehrheit rechnerisch knapp verfehlt. Es müsste zur Stichwahl gegen seinen Konkurrenten kommen. Angesichts der Sicherheitslage wäre dies ein Desaster. Eine Stichwahl würde einen enormen Aufwand für die an allen afghanischen Fronten unter Druck stehenden Nato-Truppen bedeuten. Zudem müssten weit mehr Wahlbeobachter sicherstellen, dass diese Abstimmung dann fair verläuft. Sonst würden gefälschte Stimmzettel sofort wieder paketweise in die Urnen gestopft.

Und die Taliban? Sie haben in jedem Fall kräftig dazugewonnen. Sie können Karsai nun als "Wahlfälscher" schmähen. Der seit 2001 amtierende Karsai ist damit vollends demontiert. Das Vertrauen in die Demokratie stärken kann er kaum noch. Zum Rückzug bewegen müssten ihn wohl die Amerikaner und die Europäer, deren Truppen im Land kämpfen. Karsai, von Anbeginn ein schwacher Präsident, galt schon beim Amtsantritt vielen Afghanen als Mann von Washingtons Gnaden. Jeder Ersatzkandidat hätte nun mindestens dasselbe Imageproblem. So ist diese Präsidentschaftswahl - und die ganze Hindukusch-Demokratie - diskreditiert.

Argumentationsprobleme nach der Wahl

Dies spült jede Menge Wasser auf die Mühlen der Islamisten mit dem schwarzen Taliban-Turban. Sie sehen im Koran das allgültige Handbuch für Politik und Gesellschaft, Steinigung und Handabhacken inbegriffen. Wer ihnen in Afghanistan widersprechen will, was jeder vernünftige Mensch tun sollte, hat nach dieser Wahl Argumentationsprobleme. Verantwortung dafür tragen nicht nur die afghanischen Politiker. Auch die Diplomaten all der Staaten, die Krieg gegen die Taliban führen, wussten ziemlich gut Bescheid. Sie hätten Karsai unter Druck setzen müssen, halbwegs saubere Wahlen zu garantieren.

Angesichts der verfahrenen Lage wäre es möglicherweise besser, die Entscheidung über das weitere Vorgehen einer Loya Dschirga zu übertragen, einer traditionellen Stammesversammlung. Diese hat in Afghanistan traditionell Legitimität. Aber die Ältesten tagen gerne unendlich lange. Bis dahin wäre es längst wieder Winter. Das hätte nur einen Vorteil: Im Winter wird am Hindukusch ein paar Monate lang nicht gekämpft - das eisige Wetter macht selbst den härtesten Taliban zum Teilzeit-Pazifisten. Damit bliebe den Entscheidern in den USA und Europa Zeit, über den Krieg und die Demokratie in Afghanistan noch einmal gründlich nachzudenken.

© SZ vom 17.09.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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