Erzieher:Raus aus der Rolle

"Tabeki Hofgarten" in Eichstätt.

In der Kita Tabeki Hofgarten in Eichstätt ist Julius Ritter der einzige Erzieher. "Endlich mal ein männlicher Kollege", freut sich eine Erzieherin.

(Foto: Tabeki Hofgarten)

Männer, die sich in Kitas um Kinder kümmern, sind immer noch selten. Dabei ist die Freude am Erzieherberuf kein Frauenprivileg. Doch Geschlechterklischees und niedrige Gehälter sind ein Hemmnis.

Von Carlotta Smok

Julius Ritter greift nach einem weißen Blatt, knüllt es geräuschvoll zusammen und breitet es vor Anastasia* wieder aus. Die Augen der Fünfjährigen werden groß. Fasziniert schaut sie zu, wie der Erzieher mit ein paar schnellen Strichen eine Schatzkarte auf das Papier zeichnet. Als er ihr das zerknitterte Blatt überreicht, strahlt ihn das Mädchen begeistert an.

Julius Ritter lächelt. Der 27-Jährige ist der einzige Mann in der Kindertagesstätte Tabeki Hofgarten in Eichstätt. Vier Erzieherinnen und eine Kinderpflegerin arbeiten noch in der Kita, gemeinsam kümmern sie sich um zwölf Krippenkinder unter drei Jahren und 23 Kindergartenkinder, die bis zu fünf Jahre alt sind. "Ihre Entwicklung mitzuerleben, ist etwas ganz Besonderes", sagt Ritter. "Ich liebe es, ihnen Sachen beizubringen, Selbstbewusstsein zu vermitteln und den Grundstein fürs Erwachsenwerden zu legen." Als der kleine Elias* auf ihn zuläuft, sucht er ihm ein Spiel heraus, dann stellt er fest: "Als Mann bist du in dem Beruf eine Seltenheit. Ich fände mehr Vielfalt gut, deshalb sollten genauso viele Männer wie Frauen in Kitas arbeiten."

Das wünschen sich auch viele Erziehungswissenschaftler, denn männliche Rollenvorbilder sind für die kindliche Sozialisation auch schon in der Frühpädagogik wichtig. Doch die Realität ist von dem Wunsch noch weit entfernt. Im März 2018 waren von 46 215 Kitafachkräften in Bayern laut Landesstatistik nur 1571 männlich - keine 3,5 Prozent. Für ganz Deutschland nennt das Statistische Bundesamt einen Durchschnittswert von knapp fünf Prozent. "Im Vergleich zu anderen Bundesländern, in denen historisch und kulturell bedingt vielleicht nicht ganz so konservative Familienmodelle bestehen, ist der Männeranteil in bayerischen Kitas ziemlich gering", erklärt Jannes Boekhoff. Der Pädagoge ist Fachreferent der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin und arbeitet für deren Koordinationsstelle "Männer in Kitas", die vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Der Koordinationsstelle zufolge sind in Berliner und Hamburger Kitas sogar mehr als neun Prozent der Fachkräfte männlich.

Julius Ritter kann nachvollziehen, warum die Zahlen im traditionsverbundenen Bayern, aber auch im bundesweiten Durchschnitt so viel niedriger sind. "Als ich mich für die Ausbildung entschieden habe, haben sich einige Kumpels über mich lustig gemacht. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass es so wenig männliche Erzieher gibt. Manche Jungs würden vielleicht gerne, trauen sich aber nicht." Er selbst hat sich den untypischen Beruf dagegen ganz bewusst ausgesucht. "Meine soziale Ader habe ich schon früh an mir entdeckt. Als ältester Bruder hatte ich zu Hause immer mit kleineren Kindern zu tun." Er habe sich gern um seine jüngeren Geschwister gekümmert, berichtet der Erzieher, und als Schülerpraktikant im Kindergarten erfahren, wie viel Spaß ihm der Beruf macht. Jetzt hat er ein Büro, in dem eine grünblaue Plastikblume am Schrank klebt und eine Kiste mit bunt bemalten Steinen herumsteht. "Für mich ist klar, dass eine männliche Persönlichkeit ein Erzieher sein kann. Ein sozialer Mensch zu sein, sehe ich für mich als Stärke." Problematisch sei allerdings die gängige Erwartung, als Mann zugleich Haupternährer der Familie zu sein. Das sei mit einem Erziehergehalt "einfach nicht möglich".

Nicht immer ist die Reaktion auf männliche Pädagogen in Kindertagesstätten positiv

Laut Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit verdienten staatlich anerkannte Erzieher 2018 in Deutschland ein mittleres Gehalt von 3305 Euro brutto. Nicht viel für eine voll qualifizierte Fachkraft. Hinzu kommt, dass die Ausbildung meistens nicht bezahlt wird und an manchen Schulen sogar noch Gebühren anfallen. Der Standardweg zum Erzieher mit mittlerer Reife dauert in Bayern fünf Jahre, in anderen Bundesländern ähnlich lang. "Viele junge Männer wählen unter diesen Umständen lieber eine duale Ausbildung, die vergütet wird", erklärt Jannes Boekhoff. Einige Länder erproben bereits Ausbildungsmodelle mit Bezahlung, aber eine bundesweite Vergütung fehlt. Zwar unterstützt das Bundesfamilienministerium neuerdings bezahlte Ausbildungen, mehr als 5000 Plätze sind in dem Förderprogramm jedoch nicht vorgesehen.

Auch die Aufstiegschancen für Erzieher sind begrenzt. Wer mehr machen möchte, als eine Kita zu leiten, kann eine Trägerschaft übernehmen und selbst Einrichtungen eröffnen. Für eine Karriere in der Verwaltung muss man den Umweg über die Kita gar nicht erst nehmen, eine pädagogische Ausbildung ist dort nicht notwendig. Die Stelle als Leiter bringt Julius Ritter im Monat nur 67 Euro mehr ein, er schätzt an ihr vor allem die größere Entscheidungsfreiheit. Da er bald umzieht, wird er zunächst wieder reiner Erzieher sein. Aber er freut sich darauf, die direkte Arbeit mit Kindern gefällt ihm zehn Jahre nach Beginn seiner Ausbildung immer noch.

Als Ritter an einem kleinen Kindertisch sitzt, hält ihm die dreijährige Alina* stolz eine gelbe Holzente hin. "Ja, da ist es, endlich gefunden!", sagt der Pädagoge anerkennend und schaut zu, wie das Krippenkind das Puzzleteil in die richtige Lücke setzt. Ritter fühlt sich akzeptiert als Erzieher, auch von den Eltern. Nur in der Ausbildung habe er sich manchmal unsicher gefühlt. "Damals war die Angst vor Kindesmissbrauch gerade groß, und ich sollte die Kinder nicht auf den Schoß nehmen, haben mir Kolleginnen geraten. Um mich vor Vorwürfen zu schützen. Mir ist es schwergefallen zu verstehen, warum ich 18-jähriger Bub denn gefährlich sein soll."

Ritters Kollegin Larissa Kießling findet, dass ihr Kitaleiter mit dem heiklen Thema vorbildlich umgeht: "Er schaut ganz genau, dass die Eltern nichts falsch verstehen können." Trotzdem spaße Ritter viel mit den Kindern und könne sich auch gut durchsetzen. "Als ich gehört habe, dass ich endlich mal einen männlichen Kollegen bekomme, habe ich mich gefreut", sagt sie.

Nicht immer ist die Reaktion auf männliche Erzieher in Kindertagesstätten so positiv. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums zeigt, dass ihnen fünf Prozent aller Eltern skeptisch gegenüberstehen. Jannes Boekhoff berichtet von Auszubildenden, aber auch von gestandenen Fachkräften, die sich an die Koordinationsstelle "Männer in Kitas" wenden, weil sie sich dem Generalverdacht ausgesetzt sehen, sie könnten Kinder sexuell missbrauchen. "Wird ein Verdachtsfall geäußert, muss das thematisiert werden, die Leitung hat dann eine besondere Verantwortung", sagt Boekhoff. "Aber Erziehern zum Beispiel das Wickeln von Krippenkindern zu verbieten, verstößt gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Das Wickeln ist in der Kita Teil der pädagogischen Profession", betont er. Der Studie des Ministeriums zufolge hat die Mehrheit der befragten Eltern auch kein Problem damit, dass Männer den Beruf ausüben: 60 Prozent der befragten Eltern gaben an, sie würden ihr Kind "ohne Bedenken männlichen Erziehern anvertrauen".

Das sieht auch die Mutter von Anastasia so. Als sie nachmittags in die Kita kommt, um ihre Tochter abzuholen, spricht sie aus, wie froh sie darüber ist, dass wenigstens eine Fachkraft in der Kita männlich ist: "Viele trauen es einem Mann ja nicht sofort zu, so liebevoll und professionell mit Kindern umzugehen. Aber Julius beweist das Gegenteil."

*Die Namen der Kinder wurden geändert.

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