Skateboard:Wenn Kinder Olympiasieger werden

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Eine der besten Skateboarderinnen der Welt - und gerade mal elf Jahre alt: Sky Brown. (Foto: Carl de Souza/AFP)

Skateboarden wird bei den Olympischen Spielen 2020 erstmals olympisch sein. Das Internationale Olympische Komitee will neue Zielgruppen erschließen - und setzt dabei auf äußerst junge Aushängeschilder.

Von Raphael Späth

"Sie könnte den kompletten Sport und die Art und Weise, wie wir auf das Skateboarden schauen, neu definieren." Fast ehrfürchtig blickt Bob Boyle in die Kamera. "Ich glaube, sie wird die Maßstäbe setzen und alles auf ein neues Level heben." Solche Sätze fallen nur über absolute Ausnahmetalente des Sports ­­- Simone Biles etwa im Turnen, Michael Phelps im Schwimmen oder Usain Bolt in der Leichtathletik. Boyle spricht im Video des YouTube-Kanals "Whistle" aber von Sky Brown, einer der momentan besten Skateboarderinnen der Welt. Im Gegensatz zu den oben genannten Superstars hat die Britin aber ihre gesamte Karriere noch vor sich - sie ist gerade einmal elf Jahre alt.

Skateboarden wird bei den Olympischen Spielen in Tokio erstmals Teil des olympischen Programms sein. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) erhofft sich durch die Aufnahme neuer und junger Sportarten, eine neue Zielgruppe zu erschließen. Ähnlich wie manche Parteien in Deutschland hat auch das IOC das Problem, dass der Mythos der Spiele bei der sogenannten Generation Z der Jugendlichen verloren gegangen zu sein scheint, das Hauptpublikum besteht heute aus Menschen über 50 Jahren. Skateboarden ist bei weitem keine neue Sportart, bereits in den 1970er Jahren tricksten Jugendliche am Venice Beach in Los Angeles von morgens bis abends auf den schmalen Brettern mit Kunststoffrollen.

Allerdings entwickelte sich Skateboarden von einem Lifestyle in den letzten Jahren zu einem Sport mit professionellen Strukturen: Es gibt immer mehr Wettbewerbe auf der ganzen Welt, das Skateboarden gehört schon seit Jahren zum festen Bestandteil der sogenannten X-Games, einer Art Olympischer Spiele für Actionsportarten. Jetzt wurde auch der traditionelle Sportbetrieb auf die Sportart aufmerksam. In Tokio wird es insgesamt vier Wettbewerbe in zwei Skateboard-Disziplinen geben, sowohl Frauen als auch Männer treten auf der Straße und im Skatepark gegeneinander an. Zwanzig Athletinnen und Athleten können sich pro Wettbewerb für die Spiele qualifizieren, Sky Brown steht in der Disziplin "Park" in der Rangliste momentan an dritter Stelle. Den ersten Platz belegt nach der Weltmeisterschaft vergangene Woche im brasilianischen Sao Paulo die Japanerin Misugu Okamoto - sie ist gerade einmal 13 Jahre alt.

Lilly Stoephasius könnte die jüngste deutsche Teilnehmerin werden

Unter den besten 30 Frauen der Park-Rangliste befinden sich gleich neun Skaterinnen, die zum Zeitpunkt der Olympischen Spiele nächstes Jahr 14 Jahre oder jünger wären. "Der Grund, weshalb viele junge Skaterinnen an der Spitze stehen, liegt darin, dass das Frauen-Skateboarden über 30 Jahre lang stagnierte", erklärt Oliver Stoephasius. "Die ersten Wettkämpfe für Frauen gab es erst vor vier oder fünf Jahren, und seitdem haben viele Mädchen überhaupt erst mit dem Skaten angefangen." Der 57-Jährige skatet bereits seit 1976 und hat selbst eine Tochter, die momentan auf dem Sprung nach Tokio ist: Lilly Stoephasius belegte bei der WM in Sao Paulo den 15. Rang, wäre momentan aufgrund der Nationen-Regelung, nach der jede Nation nur maximal drei Teilnehmer zu den Spielen schicken darf, in Tokio dabei. Mit 13 Jahren und 61 Tagen wäre sie die jüngste Teilnehmerin in der deutschen Olympiageschichte.

"Wir sagen ihr permanent: Wenn sie es schafft - gut. Und wenn nicht, ist auch nichts passiert", erzählt Lillys Mutter Anne. "Wir versuchen ihr eher klarzumachen, dass sie die Zeit nutzen soll, um Spaß zu haben und Erfahrungen zu sammeln." Schon in jungen Jahren hat die heute 12-Jährige die halbe Welt gesehen: Sie nahm bereits an Wettkämpfen in den USA und China teil, in gut anderthalb Monaten geht es zu einem weiteren Contest nach Rio de Janeiro. Dafür verpasst sie aber auch eine ganze Schulwoche, wie schon bei der Weltmeisterschaft in Sao Paulo. "Auf der einen Seite finde ich es nervig, dass ich das alles nachholen muss", sagt Lilly. "Aber natürlich freue ich mich auch darüber, an solchen Wettbewerben teilnehmen zu dürfen." Mit dem 15. WM-Platz war sie "sehr sehr glücklich". Dass einige ihrer Kontrahentinnen doppelt so alt sind wie sie, stört sie nicht: "Bei einer WM ist es eher komisch, gegen die Profis zu skaten, die man sonst nur aus Videos oder Magazinen kennt."

Eine davon ist Sky Brown: Die Britin ist der jüngste Skate-Profi überhaupt, ihren ersten Sponsorenvertrag unterschrieb sie bereits mit sieben Jahren. Auch ihr siebenjähriger Bruder Ocean wird schon fleißig mit eingebunden, auf Instagram hat die 11-Jährige inzwischen mehr als 400 Tausend Follower. "Die Familie Brown ist ein sehr professionell gemanagter Familienbetrieb", weiß Oliver Stoephasius, der seine Tochter auf alle Wettkämpfe begleitet. "Sky Brown wird komplett vermarktet. Für uns ist das nicht der richtige Weg. Uns ist wichtig, dass Lilly noch zur Schule geht und eine vernünftige schulische Ausbildung bekommt." Auch sie hätten schon zahlreiche Anfragen für TV-Auftritte erhalten, die sie aber alle ablehnten. Sky Brown hingegen war mit zehn Jahren schon im US-amerikanischen Fernsehen in der Kinderversion der Sendung "Dancing with the stars" zu sehen, nächstes Jahr möchte sie nach eigenen Angaben nicht nur im Skateboarden, sondern auch im Surfen antreten und möglichst eine Medaille gewinnen. "Sky und Ocean verstehen nicht, was es heißt berühmt zu sein, und wir wollen auch nicht, dass das ihnen zu Kopfe steigt", sagt Browns Vater Stu dem britischen Guardian im März. "Aber als Eltern sind wir sehr stolz."

Das Internationale Olympische Komitee hat indes kein Problem damit, dass die Medaillengewinner im nächsten Jahr 12 Jahre alt sein könnten, was ein weiterer olympischer Rekord wäre. In der IOC-Charta steht, dass es keine Alterseinschränkungen gibt; alle Limitierungen obliegen den jeweiligen internationalen Sportverbänden. Paradoxerweise gibt es für die Olympischen Jugendspiele aber eine Altersvorgabe: Die Athletinnen und Athleten müssen im Jahr der Jugendspiele zwischen 15 und 18 Jahre alt sein, es sei denn, der Verband setzt andere Grenzen - der Großteil der Top-Skateboarderinnen dürfte also gar nicht bei der Jugendversion von Olympia antreten.

Auf Sky Brown "lastet sehr viel Druck"

Allerdings setzt der internationale Skateboardverband "WorldSkate", im Gegensatz zu anderen Sportverbänden, keine Altersbeschränkungen. "Mindestalter bestehen im Sport oft als Schutz der Athleten vor Verletzungen", argumentiert der Verband auf Anfrage. "Aus unserer Sicht ist jeder, der genug Talent hat, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, in der Lage, sich genauso wie Skater in jedem Alter mit den inhärenten Gefahren des Skateboardens auseinandersetzen." Dazu sei das Skateboarden nicht mit dem Ansatz "traditioneller" Sportarten zu vergleichen. "Skater sehen Skateboarden als einen [...] Lifestyle an, der nicht traditionellen Trainingsmethoden und dem damit verbundenen Druck unterliegt." Viele WM-Teilnehmer inklusive der Gewinner hätten nach dem Finale gefeiert, indem sie in einen lokalen öffentlich zugänglichen Skatepark gefahren wären und einfach weitergeskatet hätten.

Ganz so locker scheint die Familie Brown das Skateboarden aber nicht zu sehen: "Sky Brown nimmt momentan nur an Wettkämpfen teil, die zur Olympia-Qualifikation zählen", erzählt Oliver Stoephasius. "Das ist also eine hundertprozentige Konzentration auf die Spiele, dementsprechend lastet auf dem Kind natürlich auch sehr viel Druck." Das britische Fernsehen sei schon jetzt ständig präsent. "Sie liefert ihre Leistung bisher auch immer ab, aber dieser Druck auf einer Elfjährigen ist schon auch erheblich." Eine normale Schule besucht Sky Brown nicht, sie konzentriert sich voll und ganz auf den Sport. "Sie macht momentan eine rasante sportliche Entwicklung, aber man muss sehen, wie nachhaltig das ist", sagt Stoephasius. "In meinen Augen hat sie ja keine normale Kindheit", ergänzt seine Frau. "Das kann ganz cool sein, aber es kann einen auch irgendwann wurzellos machen."

Den Druck, Ergebnisse liefern zu müssen, verspürt Lilly Stoephasius nicht. "Ich habe Olympia natürlich schon einmal im Fernsehen gesehen und weiß, wie groß dieses Event ist", erzählt sie. "Aber dieses Jahr ist es für mich nicht so wichtig, dass ich mich qualifiziere. Ich will mich eher darauf konzentrieren, mich für Paris 2024 zu qualifizieren, weil es einfach realistischer ist, dass ich es da schaffe." In fünf Jahren würde sie dann schon zu den betagteren Skaterinnen im Feld gehören - mit 17 Jahren.

© SZ vom 22.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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