Oktoberfest:Die Wiesn als Gradmesser der Macht

Wiesn-Auftakt im Schottenhamel-Festzelt: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Grünen-OB-Kandidatin Katrin Habenschaden auf dem Oktoberfest

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mit der OB-Kandidatin der Grünen beim Anstich im Schottenhamel-Festzelt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Den Münchnern steht die spannendste Kommunalwahl seit langem bevor - das könnte auch die Tischverteilung im Bierzelt auf den Kopf stellen. Vor allem die Grünen spekulieren auf mehr Platz.

Von Heiner Effern

Das Oktoberfest ist nicht nur ein gewaltiges Volksfest, sondern auch ein Gradmesser, wie das Volk die Macht in Stadt und Land verteilt hat. Blickt man am Tag des Anzapfens von den Bänken unten hinauf zur Polit-Galerie im Schottenhamel, sitzt seit vielen Jahrzehnten in der Mitte ein Oberbürgermeister von der SPD, links davon verspeisen dessen zahlreiche Getreue ihre Hendl und trinken ihre Massen. Mit ihm am Tisch hält als oberster Gast ein Ministerpräsident von der CSU Hof, seine Parteifreunde freuen sich rechts von ihm des Lebens und der Wiesn. Links am Rand hängen in der ersten Reihe dann noch ein paar Grüne rum. Doch das Münchner Volk wird in fünf Monaten bei der Kommunalwahl seine Gunst neu verteilen, und mancher oben am Balkon hofft oder fürchtet, dass nicht nur die Sitzordnung auf der Wiesn gewaltig durcheinandergewirbelt wird.

Vor allem die Grünen spekulieren darauf, dass sie mehr Platz auf der Galerie besetzen können. "Bei der SPD war eh ein Tisch leer, den haben wir schon gekapert", sagt die Bundestagsabgeordnete Margarete Bause. Übersetzt man das Wahlziel im März 2020, also die Sitze im Stadtrat, in wiesntaugliche Zahlen, dann wünscht sich die grüne OB-Kandidatin Katrin Habenschaden, dass für ihre künftige Fraktion zwei Biertische nicht mehr reichen sollten. Wobei sie schon selbstbewusst mit zehn Menschen pro Garnitur rechnet, was gut 20 Mandate im neuen Stadtrat bedeuten würde. Und so ganz weit links vom Geschehen wie auf dem Balkon sieht sie ihren Platz und den ihrer Parteifreunde künftig auch nicht. "Da wo wir jetzt sitzen, das wird unserem Platz in der Stadtgesellschaft nicht mehr gerecht", sagt Habenschaden.

Ihre CSU-Kontrahentin im Kampf um das Oberbürgermeisteramt, Kristina Frank, gibt zweieinhalb Wiesntische für ihre Fraktion als Ziel aus. Das würde dem Ergebnis von 2014 entsprechen, 26 Sitze hatte die CSU bei der Kommunalwahl erreicht. Mittlerweile haben sich allerdings drei einen anderen Platz gesucht (zwei bei der Bayernpartei, einer bei der SPD). Sie selbst fände auch den Tisch ganz in der Mitte auf der Galerie sehr attraktiv, an dem das Münchner Stadtoberhaupt traditionell als Gastgeber residiert. Und auch die Modediskussion in der Anzapf-Box würde Frank gerne bereichern, in der es zwischen Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und BR-Moderator Christoph Deumling hauptsächlich um Lederhosen ging. Da könnte man nächstes Jahr beim Anzapfen durchaus mal diskutieren, "welches Dirndl man trägt".

CSU-Chef Söder sieht einem Personalwechsel in der Anzapf-Box entspannt entgegen. Dort reicht traditionell der Münchner Oberbürgermeister dem Landesvater die erste Mass. Als frisch gewählter Ministerpräsident weiß Söder, dass er nun erst mal gesetzt ist. Letztes Jahr habe der OB noch gesagt, mal schauen, wem er heuer die erste Mass gibt. "Nächstes Jahr werden wir sehen, von wem ich sie bekomme." Das Münchner Stadtoberhaupt könne dann gerne ein Dirndl tragen. Ob das dann eher schwarz oder grün als tragenden Ton habe? "Wir von der CSU haben Dirndl in vielen verschiedenen Farben", sagte Söder. Fragt man bei CSU-Stadträten nach der Prognose für die künftige Sitzordnung, dann werden die eigenen Kollegen und die Grünen ihre Tische schon vollbekommen. Und die SPD? "Die muss beim Oberbürgermeister auf dem Schoß sitzen", sagte CSU-Stadtrat Johann Sauerer.

Doch denen fällt trotz schlechter Wahlergebnisse und einer veritablen Krise ihrer Partei nicht ein, dass sie nach Jahrzehnten an der Macht in München einfach so klein beigeben. Oberbürgermeister Dieter Reiter hat sich schließlich eine neue Lederhose gekauft, diesmal eine kurze, die er noch ein paar Mal beim Anzapfen vorführen will. Seinen Platz und den von seiner Fraktion sehe er weiter "in der Mitte" des Balkons, sagte er. Gut zwei Wiesntische sollten die Sozialdemokraten im Stadtrat weiterhin im Schottenhamel benötigen. Und dass nächstes Jahr ein Dirndl beim Anzapfen eine wesentliche Rolle spielt, das will er verhindern. "Die Lederhose wird dort auch nächstes Jahr das Thema sein."

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