Landkreis Dachau:Von der Gesellschaft vergessen

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Angehörige von Demenzkranken müssen damit zurecht kommen, dass ein von ihnen geliebter Mensch nicht nur seine Kraft, sondern auch seine Persönlichkeit verliert. Angebote für Pflegende fehlen - und oft auch Toleranz

Von Petra Schafflik, Dachau

Ein leises, kaum erkennbares Lächeln huscht über das Gesicht von Johann Maier, als er die Schokoladentorte auf dem Tisch entdeckt. Gleich wird er mit zwar zittrigen, unscharfen Bewegungen, aber sichtlich großem Genuss ein Stück vom cremigen Kuchen verspeisen. Es sind solch winzige Momente, für die seine Frau Elisabeth Tag für Tag rund um die Uhr im Einsatz ist. Und das schon seit vielen Jahren, denn ihr ehemals aktiver und tatkräftiger Mann leidet an Demenz, ist inzwischen auf umfassende Pflege angewiesen.

So wie den Maiers, die in Wirklichkeit anders heißen, geht es vielen Familien im Landkreis. Denn meist sind es die Angehörigen, die ihre an Demenz erkrankten Familienmitglieder betreuen und pflegen. Täglich einen geliebten Menschen zu umsorgen, der langsam nicht nur seine körperlichen Kräfte, sondern seine gesamte Persönlichkeit verliert, das ist eine psychisch wie physisch herausfordernde Aufgabe, die Elisabeth Maier ganz selbstverständlich und ohne viel Aufhebens angenommen hat, bei der sie sich aber mehr Unterstützung wünschen würde - von professionellen Einrichtungen wie auch von der Gesellschaft. Dass sich Bekannte zurückgezogen haben, alte Freunde nicht mehr reinschauen, schmerzt. "Die Leute haben vielleicht Scheu vor solchen Krankheiten. Aber Demenz ist doch nicht ansteckend."

Auch Menschen, die durch die Demenz beginnen, alles zu vergessen, können sich häufig noch lange an Lieder und Tanzschritte erinnern. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Schon seit sechs Jahren leben die Maiers nun mit der Diagnose, immer wieder mussten Pflege und auch das häusliche Umfeld an die schwindenden Kräfte von Johann Maier angepasst werden. Jede Phase hat ihre Herausforderungen: Als der demenzkranke Familienvater noch körperlich fitter war, sei er oft aufgestanden, losmarschiert und dann gestürzt. "Von der Straße habe ich mir gelegentlich Hilfe holen müssen, weil ich ihm alleine nicht mehr aufhelfen konnte." Inzwischen sitzt Maier im Rollstuhl, braucht oft Hilfe beim Essen, leidet an Inkontinenz, spricht nur noch wenig. "Schon das Anziehen ist schwer", erst recht der Wechsel vom Bett in den Rollstuhl. Was die Betreuung besonders anstrengend macht, ist die Angewohnheit von Herrn Maier, ständig den Namen seiner Frau zu rufen. Elisabeth Maier setzt da auf Geduld und freut sich über kleine Signale. Leuchtende Augen, wenn es eine Leibspeise gibt, ein Lächeln bei Trompetenklängen aus dem Radio, das sind solche Lichtblicke.

Bei allem persönlichen Engagement würde sich Frau Maier mehr Unterstützung wünschen. Das Richtige zu finden, ist schwierig. Die Nachbarschaftshilfe habe abgewinkt, weil mit Demenzkranken erfahrene Kräfte fehlten. Neben dem Pflegedienst, der bei der Morgentoilette hilft, besucht Johann Maier einmal die Woche eine Tagespflege. Eine erste Einrichtung sei nicht zurechtgekommen mit dem Rufen des Patienten, jetzt läuft es in einer anderen besser. Doch der Fahrdienst kommt morgens erst gegen 10 Uhr, bringt Johann Maier ab 16 Uhr wieder zurück. Eine knappe Zeitspanne, findet Elisabeth Maier, die immer viel zu erledigen hat an diesem einzigen freien Tag. Und jetzt wäre auch noch bei ihr selbst womöglich ein kleiner medizinischer Eingriff nötig, aber wohin mit ihrem Mann? Ein Platz in einer Kurzzeitpflege sei kurzfristig nicht zu finden. Auch die Bürokratie rund um die Pflege belastet. "Über den ganzen Papierkram macht sich ein Außenstehender keine Vorstellung." Auch an Informationen zu kommen, sei mitunter mühsam. "Weil ich ja erst einmal wissen muss, wonach ich fragen kann." Dabei gehört Elisabeth Maier zu den pflegenden Angehörigen, die sich um und Unterstützung aktiv kümmern. Regelmäßig besucht sie Gruppentreffen der Caritas-Beratungsstelle für pflegende Angehörige.

Dort berät Leiterin Madlen Hardtke Betroffene in allen Phasen der Pflege. Sie bestätigt Defizite, was die Angebote für pflegende Angehörige von Demenzkranken angeht. Kurzzeitpflege sei immer wieder ein Thema. Heime böten eine Unterbringung auf Zeit an, damit sich die pflegenden Angehörigen eine Auszeit nehmen können für einen Urlaub oder auch für eine eigene medizinische Behandlung. Doch gebe es einen Mindestaufenthalt von 14 Tagen, "lieber sind den Heimen drei bis vier Wochen, für kürzere Aufenthalte lohnt der Verwaltungsaufwand nicht." Ein Defizit gebe es bei Plätzen auf beschützenden Stationen für Demenzkranke, die ein herausforderndes Verhalten haben. Und die Suche nach einem Platz ist aufwendig. Denn anders als etwa in München fehlt im Landkreis eine Pflegebörse im Netz, wo auf den ersten Blick freie Plätze angezeigt werden. Angehörige müssen Heim für Heim abtelefonieren. Eine wertvolle Unterstützung, so Hardtke, sei die Tagespflege, die im Landkreis zwei Einrichtungen anbieten, dazu gibt es eingestreute Plätze in Pflegeheimen. Aber sie vermittle auch nach Allach oder Schleißheim. "Mehr Plätze im Landkreis würden nicht schaden, zumal viele Angehörige dieses Angebot noch gar nicht kennen." Entlastung bringen auch Betreuungsgruppen, wo Demenzkranke einmal die Woche einige Stunden in geselliger Runde verbringen. Angebote gibt es von Pflegediensten, Caritas und dem Landratsamt. Um die passende Form der Unterstützung zu finden, ist eine umfassende Information über alle Optionen entscheidend. Anlaufstellen hierfür ist neben der Caritas-Beratungsstelle für pflegende Angehörige auch die Seniorenfachberatung im Landratsamt. Wichtig für betroffene Familien wie die Maiers wäre aber neben professioneller Hilfe auch eine größere Toleranz der Gesellschaft.

© SZ vom 23.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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