Medienpreis:Augen zu und feiern

Die Emmy-Verleihung in Los Angeles sollte der Höhepunkt des TV-Jahres sein. Eigentlich. Wie sich eine verunsicherte Branche vor schwindendem Publikum selbst feiert.

Von Jürgen Schmieder

71st Emmy Awards

Ein Dutzend Trophäen räumten die Macher der Fantasy-Serie Game of Thrones bei der Emmy-Verleihung ab.

(Foto: Frederic J. Brown/AFP)

Zunächst die Fakten: Das Fantasy-Epos Game of Thrones ist das beste TV-Drama der vergangenen Saison. Beste Komödie: die Erfolgsserie Fleabag. Beste Drama-Schauspielerin: Jodie Comer aus der Thrillerserie Killing Eve. Bester Hauptdarsteller: Billy Porter aus der schillernden Seifenoper Pose. Beste Komödien-Darsteller: Phoebe Waller-Bridge, ebenfalls aus Fleabag, und Bill Hader aus der Profikillerserie Barry. Andere Gewinner in bedeutsamen Kategorien: der interaktive Bandersnatch-Film aus der Serie Black Mirror, das Katastrophendrama Chernobyl als Mini-Serie. Julia Garner (Ozark) und Peter Dinklage (Game of Thrones) gewannen als beste Drama-Nebendarsteller, Alex Borstein und Tony Shalhoub (beide für die Fünfzigerjahreserie The Marvelous Mrs. Maisel) bei den Komödien.

Die Ergebnisse der Emmy-Verleihung vom Samstagabend sind durchaus interessant: Denn ganz offenbar gibt es nicht die eine herausragende Serie, und damit auch nicht die eine Ausspielvariante, von denen sich in den USA derzeit vier - nämlich frei empfangbare Sender, Kabelkanäle, Pay-TV und Streamingportale - um Zuschauer bemühen. Die Branche feiert sich selbst, und sie will dabei offensichtlich niemanden verletzen. Jeder darf ein bisschen feiern, Award-Kampagnen kosten schließlich Geld. Das Interessanteste an dieser Dreistundenverleihung ist jedoch, dass der Pay-TV-Sender HBO (34 Preise) sowie die Streamingportale Netflix (31) und Amazon (15) mit Trophäen überhäuft wurden, während einer unfassbar öden, verkrampft um gesellschaftliche Relevanz buhlenden, bisweilen peinlich um Lockerheit bemühten Veranstaltung, die in den USA auf dem frei empfangbaren Sender Fox zu sehen ist und mit prognostizierten Zuschauern im einstelligen Millionenbereich einen neuen Negativrekord aufstellen dürfte. Die Branche feiert ihr eigenes goldenes Zeitalter, doch es gelingt ihr nicht, diese Fete so interessant zu gestalten, dass die Leute zuschauen wollen.

Die Probleme in Hollywood - die bedeutsamen Agenturen William Morris Endeavor, Creative Artists Agency und United Talent Agency haben ihre Partys wegen des noch immer nicht beigelegten Streits mit Drehbuchautoren ebenso abgesagt wie die Zeitschrift Variety - werden dabei unter den Teppich gekehrt. Der ist in diesem Jahr nicht rot, sondern lila, weil diese Farbe, nun ja, majestätischer sei. Es gibt auch Leute, die sagen, man habe den Teppich nicht vom Dreck befreien können.

Wer sich so eindringlich seiner Bedeutung vergewissern muss, hat ein Problem

Auch dem Streaming ist eine goldene Zukunft ja nicht sicher: Es heißt nun immer, dass es viel zu viele gute Inhalte gebe und viel zu wenig Zeit zum Gucken, doch bemerkt das Publikum langsam auch, dass ziemlich viele Abos abschließen muss, wer all die tollen Sachen sehen will. Und sich dann auch vor einer großen Zahl an schlechten Produktionen wiederfindet, die Lebenszeit kostet. Denn fast jede brauchbare Idee wird mittlerweile als Serie erzählt und über mehrere Folgen und Staffeln ausgebreitet. "Slow burning" heißt das, langsames Abbrennen, jedoch wird so manche Geschichte derart langsam erzählt, dass der Zuschauer wütend ein paar Stücke Holz nachlegen will.

Wer verstehen will, wie anstrengend diese Selbstvergewisserung der eigenen Großartigkeit im Stadtzentrum von Los Angeles gewesen ist, kann zum Beispiel den Anfang der Veranstaltung betrachten. Es gab keine Moderation in diesem Jahr, weil so ein Conférencier als Relikt aus dem vergangenen Jahrtausend gilt. Es kommt also erst die Comicfigur Homer Simpson auf die Bühne und wird von einem Klavier erschlagen. Schauspieler Anthony Anderson (Black-ish) eilt hinter die Bühne, klaut einige Trophäen, präsentiert ein paar gewollte Scherze auf die vergangene TV-Spielzeit (etwa, dass in Game of Thrones der Becher einer Kaffeehauskette zu sehen war).

Dann verkörpert Bryan Cranston, der Darsteller der Figur Walter White in Breaking Bad, das goldene Zeitalter des Fernsehens auf der Bühne. "Fernsehen war nie größer", sagt er, und wirkt ein bisschen, als hätte er Schmerzen dabei. "Fernsehen war nie so bedeutsam. Und Fernsehen war nie so verdammt gut." Wer sich seiner Bedeutung derart offensiv versichern muss, der hat ein gewaltiges Problem. Es dürfte Leute geben, die darauf hinweisen, dass bei dieser Eröffnung ausschließlich Männer zu sehen waren. Vielleicht muss man es anders sehen: Frauen wie Amy Poehler oder Tina Fey sind viel zu schlau, um bei so einem selbstverliebten Blödsinn mitzumachen.

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