Wagner an der Oper Köln:Wunder an Hörbarkeit

Wagner an der Oper Köln: Das Wiedersehen mit dem Sänger Peter Seiffert als Tristan kann sensationell genannt werden. Auch Ingela Brimberg als Isolde meistert alle Anforderungen.

Das Wiedersehen mit dem Sänger Peter Seiffert als Tristan kann sensationell genannt werden. Auch Ingela Brimberg als Isolde meistert alle Anforderungen.

(Foto: Bernd Uhlig)

"Tristan und Isolde" wird in Köln mit Peter Seiffert, Ingela Brimberg und dem Dirigenten François-Xavier Roth zu einem kammermusikalischen Fest.

Von Egbert Tholl

Ausweichquartiere können auch etwas sehr Positives haben. Seit knapp vier Jahren residiert die Oper Köln nun bereits in einer riesigen, ehemaligen Messehalle gegenüber der Altstadt; mindestens vier weiter Jahre wird sie dort wohl noch bleiben. Der recht flüchtig in die Halle hineingebaute Opernbetrieb mag für manche Mitarbeiter eine Bürde sein, fürs Publikum hat er tolle Effekte: Der Zugang ist extrem niederschwellig, sogar im Wortsinn, und für Oper in der Messehalle braucht niemand Abendgarderobe. Zudem bietet die Halle eine völlig flexible Raumgestaltung. Hier verschwindet der Gedanke an Repräsentation von allein, Oper wird viel mehr zu einem Gemeinschaftserlebnis.

So nun auch bei Richard Wagners "Tristan". Darko Petrovic hat eine Bühne gebaut, die an sich die herkömmliche Aufführungssituation bedient, also die Zuschauer auf der Tribüne platziert und die Künstler vorne. Aber es gibt keinen Guckkasten im engeren Sinn, viele Dreiecke, die wie kleine Zelte wirken oder auch, dank Video, wie Wellen, sind um das Orchester und die eigentliche Spielstätte verteilt. Da "Tristan" mit einer langen Schiffsreise beginnt, gibt es auf der einen Seite eine Kommandobrücke, auf der anderen einen grünen Hügel oder auch König Markes Chefbüro, in der Mitte einen Kasten mit vier Kabinen. In diesen leben die Solisten, meist sorgfältig voneinander getrennt, aber mit einem fabelhaften, akustischen Fokus nach draußen.

Unter diesem Kasten befindet sich das Orchester. Das führt dazu, dass man sich den Sängerinnen und Sängern unglaublich nahe fühlt, und dass der Orchesterklang selbst fast ein wenig an Bayreuth erinnert. Zwar sieht man hier die Musiker - schwarz gekleidet, kein Frack -, aber das, was sie spielen, fließt unter der Bühne hervor. Das wirkt im Ergebnis so, als habe sich François-Xavier Roth die Bühnensituation selbst ausgedacht. Der Kölner Generalmusikdirektor ist ein radikaler Dirigent, der Direktheit im Ausdruck ebenso schätzt wie eine extreme Genauigkeit. Er dirigiert den "Tristan" über weite Strecken so, als wäre die Oper ein Kammermusikstück. Er verlangt vom Orchester allerfeinste Abstimmungen im Leisen, bis an die Grenze der Hörbarkeit. Aber mit dem Gürzenich-Orchester funktioniert das bestens. Roth kann aber auch herrlich expressiv werden, bleibt aber auch dabei stets kontrolliert, so dass in einer Hinsicht ein kleines Wunder entsteht: Bei dieser "Tristan"-Aufführung versteht man jedes gesungene Wort. Von jeder und jedem.

Die Besetzung ist bemerkenswert, Karl-Heinz Lehner ist ein souveräner, viriler König Marke, Claudia Mahnke eine wunderbare Brangäne, Samuel Youn ein wilder, wüster, großartiger Kurwenal. Ingela Brimberg gibt ihr Rollendebüt als Isolde mit außerordentlicher Direktheit, meistert gelassen alle Anforderungen. Roth dirigiert sehr flott, braucht schätzungsweise dreieinhalb Stunden, kostet dabei aber dennoch den Klang aus wie etwa zu Beginn des dritten Aufzugs, wenn aus unendlich weiter Ferne das Englischhorn singt. Sein Tempo schafft eine enorme Plausibilität in den Dialogen, nur beim "Liebestod", da möchte man ihm Einhalt gebieten und Ruhe verordnen, da muss Brimberg doch arg eilen, so dass die haltlose Verzückung ausbleibt.

Sensationell ist das Wiedersehen mit Peter Seiffert. Der Mann ist 65 und singt den Tristan mit einer Jugend in der Stimme, die völlig verblüfft. Selbst im dritten Aufzug zeigt er keinerlei Ermüdungserscheinungen, er kann da noch laut und hochemotional. Seiffert wirkt wie in einer zweiten, dritten Jugend, und er verfügt über die ungeheure Souveränität, auf der Bühne mit kleinen Gesten und Nuancen der Mimik eine dem Publikum nahegehende Figur irgendwo zwischen Sehnsucht und Verzweiflung zu erschaffen. Diese Präzision ist leider auch nötig, denn Regisseur Patrick Kinmoth macht einen Akt lang fast nichts, dann verfällt er auf reichlich blödsinnigen, leicht surrealen Psychokram, lässt die Figuren somnambul aneinander vorbeischreiten, bietet diverse Doubles und ein rätselhaftes Statistenballett auf, was alles keinen Sinn stiftet und von Bedeutung lediglich raunt - ein krasser Gegensatz zur musikalisch-sängerischen Theaterwucht des Abends.

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