Rundgang durch Dachau:Orte der Erinnerung

Der Gastführer Matthias Schüßler geht mit einer kleinen Gruppe zu Ehren von Max Mannheimer durch die Dachauer Innenstadt und diskutiert über Erinnerungskultur. Im dritten Jahr nach Mannheimers Tod hält sich das Interesse aber in Grenzen

Von Angela Kress, Dachau

Die Blicke aller sind gesenkt, sie schauen auf etwas auf der Straße. Eine kleine Gruppe steht vor der Wieningerstraße Nummer 10 in Dachau und blickt auf das kleine Messingviereck, das hier im Boden verlegt wurde - der Stolperstein für Thomas Bleisteiner. Die insgesamt 15 Stolpersteine in Dachau wurden jeweils an den ehemaligen Wohnanschriften verlegt und erinnern an die Menschen, die den Nazis zum Opfer gefallen sind. Sie sind Teil der an einigen Stellen sichtbaren Erinnerungskultur in der Stadt. Zu einigen dieser Stellen führt an diesem Tag Matthias Schüßler vom Dachauer Gästeführerverein, fünf Personen haben sich angeschlossen.

Rundgang durch Dachau: Insgesamt 15 der sogenannten Stolpersteine wurden in Dachau verlegt.

Insgesamt 15 der sogenannten Stolpersteine wurden in Dachau verlegt.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Wetter meint es gut mit der Gruppe. Nur ganz am Anfang fallen ein paar kleine Tropfen, dann bleibt es trocken. Der Rundgang startet am Rathaus, wo zwei Tafeln hängen, die an die Reichspogromnacht erinnern sollen, in der auch 14 jüdische Bürger aus Dachau vertrieben wurden. Danach spaziert die Gruppe weiter zum Widerstandsplatz. An der Station an der Wieningerstraße kommt Schüßler dann auf Charlotte Knobloch zu sprechen. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München hatte sich klar gegen Stolpersteine in der Landeshauptstadt ausgesprochen. Man solle nicht darauf herumtrampeln können, lautete ihr Argument. Damit hatte sie für viel Diskussionsstoff gesorgt. Für Diskussionen und Fragen ist auch an diesem Sonntag in Dachau viel Platz. Warum man die Tafeln dann nicht auch hier einfach an eine Mauer montiert habe, möchte eine Teilnehmerin wissen und macht eine leichte Kopfbewegung in Richtung der Hauswand von Nummer 10. Schüßler argumentiert mit seiner Beobachtung, dass Tafeln oft nicht wahrgenommen werden. Es sei gewollt, dass man, wie der Name schon sagt, über die Steine "stolpere" und dadurch auch das Interesse geweckt werde. Für ihn sei das eine "positive Erinnerungskultur", wenn Menschen stehen bleiben und nachlesen.

Aus geschichtlichem Interesse sei sie zu der Führung gekommen, erzählt eine Teilnehmerin, als die Gruppe gemütlich weiterspaziert zum nächsten Erinnerungsort - der ehemaligen Bleibe von Ludwig Thoma an der Ecke zwischen Augsburger- und Klosterstraße. Und auch hier wird wieder diskutiert. Schüßler wird später sagen, dass es ihn freue, wenn durch die Diskussionen auch ein Austausch zustande komme. Es geht an diesem Punkt um die Wahrnehmung von Ludwig Thoma. Man müsse sein positives Erbe unterstreichen, das er als Schriftsteller der Stadt hinterlassen habe. Aber man dürfe nicht vergessen, sich auch mit der anderen Seite auseinanderzusetzen, mahnt Schüßler. Das jüdische Bürgertum sei in Artikeln von Thoma nicht gut weggekommen und er habe sich für Hitler instrumentalisieren lassen. Einer der Teilnehmer macht einen Schritt nach vorne, er wolle dazu auch noch etwas anmerken. Alle seine Verwandten und Freunde hätten später zugegeben, dass sie sich teilweise hätten mitreißen lassen. Man dürfe auch nicht "in jedem von uns ein Mitglied der Weißen Rose erwarten", sagt er. Aus der Perspektive von heute sei das natürlich einfach. Aber "was hätten sie machen sollen?", fragt er in die Runde.

Stadtführung

Gästeführer Matthias Schüßler diskutiert mit den Teilnehmern des Erinnerungsrundgangs unter anderem über den Sinn und Zweck dieser Steine.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Man solle nicht versuchen, alles nachvollziehen zu wollen, sagt Schüßler. Natürlich habe der Nationalsozialismus damals einen Nährboden gehabt, hätten viele aus Existenzangst geschwiegen. Später wird er ergänzen, dass es auch darum gehe, im Hier und Jetzt vernünftige Entscheidungen zu treffen und so eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern.

Als Mahner und Erinnernder, aber auch als Versöhner ist Max Mannheimer in der Stadt aufgetreten. Angekündigt wurde der Rundgang mit dem Titel "Das Erbe Max Mannheimers - Gegen das Vergessen, Erinnerungskultur in Dachau" und so verwundert es nicht, dass die letzte Station des Wegs schließlich der Max-Mannheimer-Platz ist. Schwester Elija Boßler aus dem Kloster Karmel erzählt auf dem Weg dorthin von ihrer engen Freundschaft zu Mannheimer. Es geht den Karlsberg hinunter, vorbei am Zugang zu einem Bunker, der niemals fertig gestellt wurde. Dachau sei Mannheimer sehr verbunden, genauso wie er der Stadt verbunden gewesen sei, sagt Boßler. Unter anderem deshalb habe sie sich zu der Führung angemeldet. Im September 2017, ein Jahr nach Mannheimers Tod, wurde der Platz in der Nähe der Münchner Straße nach ihm benannt. Der Platz hätte ihm gefallen, sagt Schüßler, so zwischen der Wirtschaftsschule und einem Studentenwohnheim. Mannheimer habe immer Kontakt zu jungen Leuten gewollt.

Für die Führung an diesem Tag hätte sich Schüßler noch mehr Besucher gewünscht. Auch mehr junge Leute bräuchte es, die sich mit der Erinnerung auseinandersetzen. Dabei sei es wichtig, sowohl die Nachkommen der Opfer als auch die der Täter mit einzubeziehen, betont er. Vor zwei Jahren, zu Mannheimers erstem Todestag, habe es noch viel Aufmerksamkeit - auch auf politischer Ebene - gegeben. Letztes Jahr zeigte das Cinema Dachau einen Film mit anschließendem Gespräch. Nach nunmehr drei Jahren, ebbe das Interesse bereits ab, sagt Schüßler. Am Montag, 23. September 2019, jährte sich Mannheimers Tod zum dritten Mal.

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