Klimawandel:Es ist noch nicht zu spät

Klimawandel: Mitte September fiel die Ausdehnung des arktischen Meereises auf den zweitniedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen.

Mitte September fiel die Ausdehnung des arktischen Meereises auf den zweitniedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen.

(Foto: Nasa)

In einem Spezialbericht zu Ozeanen und Eis sagt der Weltklimarat IPCC dramatische Veränderungen in den Meeren voraus - es sei denn, die Emissionen sinken rapide.

Von Marlene Weiss

Noch ist es nicht zu spät zum Handeln - das ist die eindringliche Botschaft, die man aus dem Sonderbericht des Weltklimarats IPCC über Ozeane und Eisschilde herauslesen kann. Das ist fast schon überraschend positiv angesichts der erschreckenden Veränderungen, die bereits heute zu beobachten sind. Allerdings zeigt der Bericht auch: Wenn die Menschheit weiter so wenig tut, um die CO₂-Emissionen zu begrenzen, werden die Folgen schon sehr bald dramatisch sein.

Der Bericht, dessen finale Fassung die rund 100 beteiligten Wissenschaftler zuletzt in einer fast 48-stündigen Marathon-Sitzung in Monaco mit den Regierungsvertretern ausgehandelt haben, befasst sich mit den Folgen von Erwärmung und Versauerung der Meere, mit der globalen Eisschmelze und dem Meeresspiegelanstieg sowie mit den sozialen Folgen, die diese Prozesse für die Menschen haben werden. Wie üblich wurden nur bereits publizierte Studien ausgewertet.

Zentral ist dabei der Meeresspiegelanstieg. Im Vergleich zum jüngsten umfassenden Klimabericht aus dem Jahr 2013 wurden die Prognosen deutlich nach oben korrigiert. In den vergangenen Jahren hat sich der Anstieg beschleunigt, auf mittlerweile fast 4 Millimeter pro Jahr. Der Eisverlust in Grönland hat sich im Vergleich zur Jahrtausendwende verdoppelt, jener in der Westantarktis verdreifacht.

Für das Jahr 2100 kommen die Forscher nun, falls die Emissionen weiter ungebremst ansteigen sollten, auf einen Meeresspiegelanstieg von wahrscheinlich 0,61 bis 1,10 Meter im Vergleich zur Jahrtausendwende. Allerdings sind auch Werte von rund zwei Metern möglich. Sowohl für Grönland als auch für die Westantarktis befürchten Forscher einen vollständigen Kollaps; ob, wann oder wie schnell dieser eintritt, ist aber noch unklar. Zwar hat das Meereis in der Arktis keinen Einfluss auf den Meeresspiegel, da es schon darauf schwimmt. Doch es schwindet in atemberaubendem Tempo: In diesem September hatte es die zweitniedrigste je gemessene Ausdehnung. Laut dem IPCC-Bericht steigt die jährliche Wahrscheinlichkeit für eine meereisfreie Arktis bis zum Ende des Jahrhunderts selbst bei nur zwei Grad Erwärmung auf zehn bis 35 Prozent.

Korallen leiden schon heute, bei zwei Grad Erwärmung sind auch Seetangwälder gefährdet

Falls der Meeresspiegel-Anstieg am oberen Ende der Prognosen liegen sollte, würde das für viele niedrig gelegene Regionen das Ende bedeuten - es sei denn, sie wappnen sich. "Der Schutz vor dem Meeresspiegelanstieg ist nicht in erster Linie ein technisches Problem, sondern eines der Finanzierung und Verteilung", sagt Jochen Hinkel vom Global Climate Forum, einer der Autoren des Berichts. "Große Städte und auch reiche Inselstaaten können sich schützen, ländliche und ärmere Regionen können das nicht." Sie würden demnach entweder enorme Transferzahlungen benötigen. "Oder sie müssen versuchen, zu einer natürlichen Dynamik zurückzukommen, in der man beispielsweise Überschwemmung zulässt, um neue Sedimente abzulagern und so die Geländeoberfläche zu erhöhen", sagt Hinkel. Das findet teils schon statt, etwa wenn in Bangladesch Überflutungs-Polder angelegt werden, in denen sich neue Sedimente ablagern. Allerdings ist dieser Boden dann erst einmal versalzen, es dauert Jahre, bis dort wieder Landwirtschaft möglich ist.

In jedem Fall werden die Folgen für die Küstenregionen dramatisch sein. Bis 2050 dürften dort mehr als eine Milliarde Menschen leben. Hinzu kommen 65 Millionen Menschen in kleinen, meist armen Inselstaaten. Flutereignisse, die einst etwa einmal im Jahrhundert auftraten, dürften laut dem Bericht bis 2050 in vielen Regionen - etwa in Spanien und rund um die Tropen - selbst bei moderater Erwärmung jährlich auftreten. Höhere Windstärken von tropischen Zyklonen und stärkere Regenfälle verschlimmern das Problem.

Auch die Bergregionen, derzeit Heimat von rund 670 Millionen Menschen, stehen vor dramatischen Veränderungen. Kleinere Gletscher in Europa, Ostafrika oder den Anden dürften laut Prognose bis 2100 mehr als 80 Prozent ihrer heutigen Masse verlieren, falls die Emissionen weiter steigen. Das hat nicht nur Folgen für die Stabilität der Berge, sondern auch für die Wasserversorgung. Bis 2100 könnte das Schmelzwasser etwa im asiatischen Hochgebirge um zehn Prozent und mehr zurückgehen. Und nicht zuletzt droht große Gefahr aus den Permafrost-Gebieten. Jene Flächen, in denen der oberflächennahe Boden in bis zu vier Meter Tiefe gefroren ist, dürften bei hohen Emissionen um 69 Prozent schrumpfen. Die Folge wäre vielerorts ein plötzliches Absacken des Erdreichs. Es handelt sich um eine Klima-Zeitbombe, weil im Permafrost nach IPCC-Angaben rund 1500 Gigatonnen organischer Kohlenstoff gespeichert sind, fast doppelt so viel wie in der Atmosphäre. Wenn der Boden taut, kann ein Teil davon in Form von Methan und CO₂ entweichen.

Auch die marinen Ökosysteme werden gebeutelt. Warmwasserkorallen leiden schon heute unter häufigen Bleichen, sie dürften bei weiterer Erwärmung zu großen Teilen verschwinden. Bei zwei Grad Erwärmung sind auch Seetangwälder und Seegraswiesen, die Weiden der Meere, gefährdet; bei drei bis vier Grad wird es heikel für Kaltwasserkorallen, Mangroven und Flussmündungsgebiete. Sollte die Erwärmung ungebremst fortschreiten, dürften die maximalen Fischereierträge bis 2100 um rund ein Viertel zurückgehen, ungeachtet weiterer Probleme wie Überfischung und Verschmutzung.

Aber der Bericht zeigt auch eine ganz andere mögliche Zukunft. Die Forscher haben neben das extreme Szenario ungebremster Emissionen, im Fachjargon als RCP 8.5 bezeichnet, auch jenes gestellt, das für sehr ambitionierten Klimaschutz steht, RCP 2.6. "Wir haben diese beiden Szenarien betrachtet, um zu zeigen, wie groß der Bereich des Möglichen ist", sagt IPCC-Autorin Regine Hock von der University of Alaska in Fairbanks. "Das pessimistische Szenario ist im Moment wahrscheinlicher, aber wenn man es schafft, den anderen Weg einzuschlagen, ist der Unterschied sehr groß."

Sollten die Emissionen tatsächlich ab sofort radikal gebremst und das Paris-Ziel von 1,5 Grad Erwärmung eingehalten werden - was technisch durchaus möglich wäre - sehen die Prognosen des Berichts wesentlich rosiger aus: Nur 30 bis 60 Zentimeter Meeresspiegelanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts, nur ein minimaler Rückgang des Fischereiertrags, und eine Stabilisierung von Meereis, Permafrost und Meeres-Hitzewellen ab dem Jahr 2050. "Wir haben die Wahl", sagt Regine Hock.

Andere Forscher nehmen den Bericht mit einer Art gelassener Verzweiflung auf. "Für mich gibt es kaum etwas Überraschendes", sagt Mojib Latif vom Geomar-Forschungszentrum in Kiel. Der Bericht zeige, dass der Klimawandel in den Meeren und in der Eissphäre stattfinde und schon massive Auswirkungen auf das Leben auf der Erde habe: "Die Menschen sind auf Kollisionskurs mit der Erde, weil die weltweiten CO₂-Emissionen immer noch steigen." Julian Gutt vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven betont die Zusammenhänge mit anderen menschlichen Einflüssen. Der Bericht zeige, dass der Raubbau an Meeresökosystemen ähnlich schädlich sei wie der Klimawandel - und mit diesem verknüpft.

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