Schmuck als Symbol:Blingbling statt Blabla

Seit die Richterin Lady Hale den britischen Premier in die Schranken verwiesen hat, sprechen alle über die Brosche, die sie an dem Tag trug. Dabei wird Schmuck als politisches Statement seit jeher von mächtigen Frauen genutzt.

Von Violetta Simon

Es war ein beeindruckender Auftritt, als Richterin Brenda Hale den Antrag des britischen Premiers Boris Johnson auf Zwangsurlaub des Parlaments für unrechtmäßig erklärte. Beeindruckend nicht nur, weil Hale als erste Lordrichterin in der Geschichte des britischen Supreme Courts gilt. Oder wegen der unaufgeregten Art, in der die Vorsitzende den Premierminister in seine Schranken wies. Beeindruckend vor allem wegen dieser riesigen Spinne unterhalb von Hales Schulter - eine Brosche in Form eines schweren tropfenförmigen Körpers mit acht angewinkelten Beinen, rundum besetzt mit Edelsteinen.

Es ist bekannt, dass die Baroness einen Faible für auffällige Broschen in Tierform hat. Auf ihrem offiziellen Porträtfoto für den Supreme Court trägt sie einen juwelenbesetzten Tausendfüßler. Zu offiziellen Anlässen oder im Gericht steckt sie sich mal einen Schmetterling, mal einen Frosch oder Libellen an. Es gibt Fotos, die sie mit einem Fuchs zeigen oder einem Lebkuchenmann. Auch zum Käfer greift sie ab und zu. Eine große Auswahl also. Schwer vorstellbar allerdings, dass die 74-Jährige morgens wahllos in ihre Schmuckschatulle greift.

Und so rätselt das Netz, welche Botschaft wohl hinter der Spinne steckt - und warum Hale die Brosche ausgerechnet zur Verkündung dieses Urteils getragen hat. "What could Brenda Hale be telling us with her amazing giant spider brooch?" fragt @Anna_Girling auf Twitter. Und eine Userin namens Ann Louise Avery lobt Hales Geste als Beweis dafür, wie man mit einer passenden Brosche eine große, fast romanhafte Geschichte erzählt.

Die New York Times feiert in ihrer Überschrift die Brosche, die den Brexit fraß: "The Brooch That Ate Brexit". Die britische Presse bezeichnet Hale als "Schwarze Witwe" und "Königin der Gerechtigkeit", der Guardian titelt "Revenge of the Spider-Woman". Schnell reagiert hat ein Hersteller, der nun T-Shirts mit Spinnenprint auf Ebay anbietet, womöglich in der Hoffnung, ein modisches Kultobjekt zu schaffen. Immerhin, ein Drittel der Einnahmen soll einer Obdachlosen-Organisation zugutekommen.

Das Spinnennetz - eine Metapher für Diplomatie?

Warum aber die Spinne? Über ihre Symbolik gibt es zahlreiche Interpretationen. Faszination übt unter anderem ihre Fähigkeit aus, ein Netz zu spinnen, das nur zum Teil aus klebrigen Fäden besteht. Um nicht selbst in die Falle zu geraten, muss sie also genau wissen, wo sie sich sicher bewegen kann - womöglich eine Metapher für Diplomatie, die dem britischen Premier bekanntermaßen fehlt. In der nordischen Mythologie verkörperte die Spinne die drei weiblichen Nornen Urd, Verdandi und Skuld, die am Baum des Schicksals an der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschen webten. Hat Lady Hale mit ihrem Urteil also Boris Johnsons politisches Schicksal gesponnen?

Schmuck als Symbol: Prinz Charles trifft Baroness Brenda Hale mit einer funkelnden Libelle.

Prinz Charles trifft Baroness Brenda Hale mit einer funkelnden Libelle.

(Foto: Victoria Jones/AFP)

Als die Richterin 2004 ins britische Oberhaus einzog, wählte sie für ihr Wappen den Spruch "Omnia Feminae Aequissimae" (Frauen sind in allem gleich). Erst im März sprach sie sich dafür aus, mehr als die Hälfte der Richter am Gerichtshof mit Frauen zu besetzen. So gesehen könnte die Wahl ihrer Broschen durchaus auch als feministische Geste gelten. Zum Beispiel haben Spinnen, Frösche und Schmetterlinge gemeinsam, dass die meisten Weibchen größer sind als die Männchen.

Zweifellos bietet die Brosche eine elegante und zugleich publikumswirksame Möglichkeit, Haltung in der Öffentlichkeit zu zeigen. Vermutlich deshalb werden Schmuckstücke von mächtigen Frauen mitunter auch in der Politik eingesetzt. Bekanntermaßen trägt Königin Elizabeth II. zu jedem Anlass eine Brosche mit geschichtsträchtigem Hintergrund. So wie bei Trumps Aufenthalt in Großbritannien: Zum Empfang des US-Präsidenten im Juli vergangenen Jahres entschied sich die Queen für die Brosche, die sie 2011 von dessen Vorgänger Barack Obama geschenkt bekam.

Auch die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright beherrschte die Kunst, ihre Meinung per Brosche zu kommunizieren, ohne das Protokoll auch nur ansatzweise zu übertreten. So trug sie 1997 bei der Konferenz zur Nato-Osterweiterung eine goldene Brosche in Form einer Friedenstaube. Und seit der frühere irakische Machthaber Saddam Hussein sie in der Presse als Schlange bezeichnet hatte, erschien Albright zu jeder Konferenz, bei der Vertreter aus dem Irak anwesend waren, mit einer Schlangenbrosche. "An guten Tagen trage ich Blumen, Schmetterlinge oder Luftballons", sagte sie 2010 in einem Interview mit dem Onlinemagazin Smithsonian.com. "An schlechten alle Arten von Käfern und fleischfressenden Tieren".

Es heißt, dass Brenda Hale sich als junge Frau für das Jurastudium entschied, weil ihr damaliger Lehrer sagte, er halte sie nicht für intelligent genug, um Geschichte zu studieren. Welches Tier würde die Baroness, die heute als ranghöchste weibliche Richterin in der Geschichte der britischen Justiz gilt, wohl für einen Termin mit ihrem einstigen Lehrer aus der Schatulle holen - den Lebkuchenmann oder den Frosch?

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