Start-up-Gründer:Stark in der Provinz

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Fabian Silberer gründete sein Start-up in Offenburg. Es dauerte, bis Wagnisfinanzierer auf ihn aufmerksam wurden.

Von Dagmar Deckstein

Der Offenburger Fabian Silberer hat mit seiner Buchhaltungssoftware Sevdesk eine Erfolgsgeschichte in der südbadischen Provinz geschrieben. Derzeit werden immer mehr Finanziers auf ihn aufmerksam. Doch der Anfang war alles andere als einfach. Weil das Unternehmen nicht im hippen Berlin saß, fand der Start-up-Gründer zunächst keine Geldgeber. Ein Umstand, unter dem viele Gründer auf dem Land leiden.

Wer als Selbständiger oder Kleinunternehmer meint, die Digitalisierung von Geschäftsprozessen ginge ihn oder sie als Kneipenwirt, Fliesenleger, Friseur, Architekt oder Kosmetiker nichts an, dürfte diese Rechnung erst einmal ohne Fabian Silberer und dessen Firma Sevdesk gemacht haben. Und das im wortwörtlichen Sinne.

Der 28-jährige Jungunternehmer hat gemeinsam mit seinem Studienkollegen Marco Reinbold vor sechs Jahren aus der elterlichen Garage heraus eine Buchhaltungssoftware mit ausgeklügeltem Rechnungsprogramm entwickelt. Die Software, die sich besonders für kleinere und mittlere Firmen eignet, soll eine der wohl für alle Steuerzahler ungeliebtesten Tätigkeiten erleichtern: Belege sammeln und verbuchen, Rechnungen schreiben, Rechnungseingänge verzeichnen und ablegen, die Umsatzsteuervoranmeldung vorbereiten und das Ganze ans Finanzamt senden. Bei Sevdesk funktioniert das über eine App auf dem Smartphone, in die Belege eingescannt und darauf automatisch weitergeleitet werden. Mal als Beleg fürs Finanzamt, mal als Spesenunterlage für die ebenfalls automatisch erstellte Rechnung an den Kunden. Dank intelligenter Algorithmen und künstlicher Intelligenz fragt die Sevdesk-App auch sofort beim User nach, wenn noch etwas unklar ist: Welche Geschäftspartner waren bei dem Mittagessen noch dabei, das abgerechnet werden soll? Wie soll der Blumenstrauß verbucht werden, der für die Gattin des Kunden zu deren 50. Geburtstag geordert worden war?

KI - künstliche Intelligenz - macht es möglich. Inzwischen hat das Unternehmen 85 Mitarbeiter und mehr als 80 000 Kunden. Vor einem Jahr zählte die Firma erst 40 000 Kunden und 45 Mitarbeiter - ein enormes Wachstum für eine Firma, die mit zwei Mann begonnen hat.

"Wie, Sie sitzen in Offenburg? Nein, das tut uns leid", sagten Geldgeber immer wieder

Sevdesk sitzt im badischen Offenburg. Die 60 000-Einwohner-Stadt zwischen Freiburg und Karlsruhe in der Nähe zu Straßburg gilt bei Investoren als tiefste Provinz. Hier wuchs Fabian Silberer auf. Weder er noch seine beiden Schwestern wollten den elterlichen Hof in Schuttern bei Friesenheim im Ortenaukreis übernehmen, der sich auf Maisanbau und Schweinezucht verlegt hat. Die beiden Schwestern sind inzwischen in der Gesundheitsbranche tätig. Mit der Hofnachfolge des Sohns durften die Eltern auch nicht mehr rechnen, als sich dieser für ein Studium der Wirtschaftsinformatik in Karlsruhe entschied und danach mit gerade einmal 23 Jahren und mithilfe von 25 000 Euro an zusammengekratzten Ersparnissen seine eigene Firma gründete.

Nun kann das enorme Wachstum solcher Start-ups auch zum Bremsklotz werden, weil dieses Wachstum erst einmal finanziert werden muss. Wagnisfinanzierer, auf Neudeutsch Venture Capitalists, gibt es zwar inzwischen auch in Deutschland genügend. Aber anfangs holte sich Jungunternehmer Fabian Silberer immer wieder einen Korb bei potenziellen Geldgebern. "Wie, Sie sitzen in Offenburg? Nein, das tut uns leid", hörte der Unternehmer zu seiner Enttäuschung immer wieder. Die Business Angels kaprizierten sich lieber aufs hippe Berlin, das sich im Laufe der Jahre den Ruf eines europäischen Silicon Valley erworben hat.

Aber Offenburg? Ortenaukreis, Schwarzwald, wo man gerade eben noch weiß, dass da auch das Traditionsverlagshaus Burda - neben einem Sitz in München - residiert? Nein danke! Doch so schnell gaben die Gründer nicht auf. Fabian Silberer und Marco Reinbold gelang es dann, außer den ersten Krediten von den badischen Hausbanken und einem Förderdarlehen von der baden-württembergischen L-Bank noch spezifisch baden-württembergische Investoren mit ins Boot zu holen. 3,1 Millionen Euro konnte Sevdesk vor zwei Jahren dadurch zusätzlich einsammeln. Die Hauptinvestoren sind der Karlsruher Technologiefonds Lea Partners und das Family Office Wecken & Cie von dem früheren Softwareunternehmer Klaus Wecken, außerdem engagierten sich der Wagniskapitalfonds Baden-Württemberg und die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg (MBG).

Was Fabian Silberer freut, ist die Tatsache, dass sich langsam immer mehr Investoren für sein IT-Unternehmen interessieren, seit sich die Erfolgsgeschichte unter ihnen herumgesprochen hat. Aktuell ist Global Founders Capital, der Investmentarm von Rocket Internet, bei dem Offenburger Unternehmen mit einer unbekannten Summe eingestiegen. Der Erfolg der Firma hat sich bis in höhere Finanzkreise herumgesprochen: jährlich zweistellige Wachstumsraten, ein Drittel der Neukunden werden durch Weiterempfehlung gewonnen. Jeden Monat investiert Sevdesk sechsstellige Summen in Marketing und Produkt. Zwar sei Sevdesk noch nicht profitabel, aber in drei bis sechs Monaten, so Silberer, sei diese Schwelle erreicht - und das habe auch die Neuinvestoren überzeugt.

Dennoch kann Silberer nicht verstehen, dass auch erfolgreiche Start-ups in Baden-Württemberg in der Prioritätenliste der Geldgeber nach wie vor unter "ferner liefen" rangieren. Vor allem Berlin ist gefragt. In die Hauptstadt fließt deutlich mehr Wagniskapital, dort würden zehnmal mehr solcher Deals abgeschlossen als im "Ländle". Der Unternehmensgründer aus dem Badischen weist dabei gerne auf den Erfolg vieler Unternehmen in der Provinz hin: "Gerade Baden-Württemberg lebt doch von der Vielfalt und der Innovationskraft seiner Mittelständler und ist damit sehr erfolgreich."

"Etwa 200 bis 300 Bewerbungen sichten wir pro Woche."

Doch allmählich bemerkt auch Silberer ein Umdenken bei den Finanziers mit den Wagniskapitaltöpfen, die inzwischen von ganz alleine bei Sevdesk anklopfen. Ebenso interessieren sich inzwischen immer häufiger potenzielle Mitarbeiter für das Unternehmen, die Sevdesk nach Offenburg locken möchte. Das gelinge ganz gut über Netzwerke, zum Beispiel IT-Entwickler-Plattformen. "Etwa 200 bis 300 Bewerbungen sichten wir pro Woche", sagt Silberer. Die letzten zehn neuen Mitarbeiter seien zum Beispiel über eben diese Plattformen rekrutiert worden. So wie neulich erst ein erfahrener Spezialist für eine Managementposition. Der wollte die eigenen Kinder nicht in der Großstadt Berlin aufwachsen lassen - und tauschte deswegen die Metropole, aus der er kam, gegen die Offenburger Provinz.

Und was plant Fabian Silberer für die nächsten fünf Jahre? Nichts Geringeres als eine Verdoppelung des Wachstums und tatsächlich eine Art von Finanzierung, die zwar flächendeckend immer wieder gerne unternommen wird, die aber für ein solch junges Unternehmen inmitten der badischen Provinz schon sehr ambitioniert klingt: "Ich denke, bis dahin werden wir unseren Börsengang in Angriff genommen haben."

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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