NSU-Ausstellung "Das Labyrinth":Hier treffen 40 Porträts auf 40 Gedächtnislücken

NSU-Ausstellung "Das Labyrinth": In seiner Änderungsschneiderei wurde Abdurrahim Özüdoğru im Juni 2001 in Nürnberg ermordet.

In seiner Änderungsschneiderei wurde Abdurrahim Özüdoğru im Juni 2001 in Nürnberg ermordet.

(Foto: Regina Schmeken)

So nahe wie in der Ausstellung zu den NSU-Morden im Nürnberger Kunsthaus kann man diesem historischen Prozess sonst nie kommen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Vielleicht beginnt man die Ausstellung "Das Labyrinth" im Nürnberger Kunsthaus im letzten Zimmer dieser Schau zum NSU-Komplex. Zur Rechten steht dort ein Fernseher mit Sitzbank, zu verfolgen ist ein Ausschnitt aus dem Film "Das Protokoll des zweiten Jahres. Der ganze Film". Dieser basiert auf den Aufzeichnungen, die der Bayerische Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung vom NSU-Prozess angefertigt haben. Von Schauspielern nachgesprochen werden Befragungen durch den Richter Manfred Götzl. Das deutsche Rechtssystem sieht Aufnahmen von Gerichtsverfahren bekanntlich nicht vor. So nahe wie in diesem Video wird man diesem historischen Prozess sonst folglich nicht kommen können. Es sei denn, man wäre Augenzeuge gewesen.

Das Ausstellungszimmer ist zweigeteilt, rechts der Bildschirm mit der Götzl-Befragung, links eine Arbeit von Katharina Kohl. Sie hat 40 Personen gemalt, die mit dem NSU-Komplex auf staatlicher Seite zu tun hatten. Die sogenannten Sicherheitsbehörden also: Staatsanwälte und Staatssekretäre, Polizeibeamte und Ministerialbeamte, V-Mann-Führer. Diese Porträts werden flankiert von einer Serie kopierter Dokumente, auf denen man zunächst wenig zu sehen scheint. Ein schmaler Vermerk an der oberen Seite der Blätter klärt auf, dass es sich um Protokollseiten aus einem NSU-Untersuchungsausschuss handelt.

Diese Blätter sind fast vollständig geschwärzt, einer Anklageschrift gleich, bei der das Wichtigste dem Auge des Betrachters verborgen bleiben muss. Lediglich an einzelnen Stellen sind in die allumfassende Schwärzung Lücken gerissen. Dort erfährt man, was im Ausschuss gesagt wurde. Zum Beispiel "Nein, soweit ich weiß, wussten wir nichts." Oder auch: "Nach meiner Erinnerung kann ich mich wohl nicht mehr konkret erinnern." So elegant, so subtil und doch scharf kann man als Künstlerin Klage erheben. Hier treffen 40 Porträts auf 40 Gedächtnislücken. Personifizierte Gedächtnislücken sozusagen.

Bedrückend sind auch die anderen Arbeiten. Die Gruppe Forensic Architecture hat den Tatort - ein Internetcafé - digital rekonstruiert, an dem Halit Yozgat 2006 ermordet wurde. Die Arbeit von Sebastian Jung ist weniger anklagend, aber nicht weniger relevant. Jung ist nach Jena-Winzerla zurückgekehrt, in jenen Stadtteil, in dem der Künstler in den Neunzigerjahren großgeworden ist. Und in dem auch Mundlos und Zschäpe, die NSU-Terroristen, aufgewachsen sind, und Böhnhardt kennengelernt haben. Jung bringt lakonische Fotos und Texte zusammen, die einen unwohl zurücklassen, ohne dass man exakt sagen könnte warum.

An einem der Bilder ist Folgendes zitiert: "Da unsere Wohnung im Erdgeschoss lag, konnten meine Eltern vor dem Balkon viele Gewächse anpflanzen. Darunter auch ein ansehnlicher Flieder. Als wir eines Tages nach Hause kamen, war er abgesägt. ,Wenn ich auf dem Balkon mein Honigbrötchen esse, möchte ich nicht von irgendwelchen Bienen gestört werden', sagt der Nachbar, der ihn absägte." Was das mit dem NSU zu tun hat? Wenig, auf den ersten Blick. Und doch bekommt man den beflissenen Fliederhenker aus Winzerla nicht mehr aus dem Kopf.

Konfrontiert ist diese Arbeit mit den Fotos, die Regina Schmeken von den Tatorten des NSU gemacht hat. Ihre Bilder sind dieser Tage parallel auch im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu sehen. Für die Ausstellung im Kunsthaus im Nürnberger KunstKulturQuartier hat sie die großformatigen Fotos anders angeordnet, wie ein komprimierter Fries laufen sie über Eck. Das verstärkt den Eindruck, dass jedes einzelne dieser Tatortbilder mit allen anderen zusammenhängt. Im Dokuzentrum taumelt man an ihnen entlang, wie in einem Film und mit zunehmend weichen Knien. Im Kunsthaus wirken ihre Bilder nun verdichtet wie ein Mosaik. Entkommen wird man diesen Fotos nicht können, so oder so.

Das Labyrinth, eine Ausstellung zum NSU-Komplex. Zu sehen im Nürnberger Kunsthaus im KunstKulturQuartier bis zum 17. November 2019. Am 10. Oktober diskutieren die Künstlerinnen Katharina Kohl und Regina Schmeken und der Künstler Sebastian Jung im Kunsthaus über das Thema "Arts meets Public: Möglichkeiten der Kunst im Angesicht aktueller rechter Bedrohungen."

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