Politische Akademie:Gauck freut sich über "Fridays for Future"

Tutzing: Joachim Gauck in der Politischen Akkademie

Gern gesehen in Tutzing: Im April wurde Joachim Gauck (Mitte) in der Evangelischen Akademie ausgezeichnet, nun sprach er in der Politischen Akademie.

(Foto: Nila Thiel)

Der frühere Bundespräsident spricht über den Mauerfall und lobt den Einsatz gegen den Klimawandel - auch wenn ihm Greta Thunbergs Auftritt vor der UNO nicht gefallen hat.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Tutzing

Mehr als 70 000 Menschen sind am 9. Oktober 1989 in der DDR auf die Straße gegangen, um Freiheit und Demokratie zu fordern. Einer von ihnen war der damalige Pastor aus Rostock und spätere Bundespräsident Joachim Gauck. Der Ruf "Wir sind das Volk!" ist für ihn heute noch "der schönste Satz in der Politikgeschichte", wie er im Akademiegespräch zum Thema "30 Jahre friedliche Revolution" am Freitag in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing verriet.

Das Interesse an dieser Veranstaltung sei sehr groß gewesen, sagte Akademieleiterin Ursula Münch. Es konnten aber nur etwa 200 Anmeldungen berücksichtigt werden, darunter Politiker und Studenten sowie Schüler der Gymnasien Starnberg und Penzberg.

In seiner freien Rede - Gauck hielt sich nicht an sein Manuskript - räumte er ein, dass die Unterschiede zwischen Ost und West bis heute nicht überwunden sind. Noch immer gebe es "Ossis", die sich als Verlierer der Wende fühlten. "Die Menschen hofften, dass die neue Freiheit ihnen neue Lebensmöglichkeiten bietet." Stattdessen habe es Arbeitslosigkeit und Desorientierung gegeben. Laut Gauck sind Ostdeutsche skeptischer als Westdeutsche, wählen anders und müssen mit kleineren Gehältern auskommen. Gauck führte die Mentalitätsunterschiede auf das jahrzehntelange Unterdrückungsregime während der Nazizeit und in der DDR zurück. Diese "langen Schatten der Diktatur", diese "beständige Niederhaltung" habe Angst erzeugt und die Menschen entkernt von ihrer Kraft. Laut Gauck ist eine "unüberzeugte Minimalloyalität" entstanden, die der Mensch nicht so einfach ablegen könne.

Während sich nach der Wende im Westen nichts geändert habe, außer dass der Soli gezahlt werden musste, habe sich für Ostdeutsche 80 Prozent ihres Lebens verändert. "Die Prägungen der Seele und die Wandlung der Mentalität ist unendlich langsam", so die Erfahrung des ehemaligen Präsidenten. Es gibt seiner Meinung nach Menschen, die nicht mit der Freiheit umgehen können; denn Freiheit bedeutet Verantwortung. Darüber hinaus gebe es Menschen, die das Gefühl hätten, beruflich im Schatten zu stehen. "Die Leute fürchten sich vor der Zukunft, vor den Epochenumwälzungen." Sie seien altmodisch und oft wertkonservativ. Für sie sei es tröstlich, wenn ein Verführer komme und sage, sie müssten sich nicht fürchten. Während diese Menschen früher links gewählt hätten, stimmen sie heute laut Gauck für die AfD. Er stellte allerdings klar: "Es ist immer noch eine Minderheit, die rechts wählt."

In der Diskussion wurde auf den Zusammenhang von Flüchtlingsproblematik und rechtspopulistischem Wahlverhalten hingewiesen. Nach Ansicht Gaucks rächt sich, dass heutzutage vor lauter Angst als fremdenfeindlich zu gelten, Probleme verschwiegen werden. Doch Kommunikation sei wichtig. Gauck sprach von "kämpferischer Toleranz". Die Demokratie in Deutschland sei so stark, dass sie eine Debatte durchaus vertragen könne. Man müsse die Verführer fragen, wo sie eigentlich schon etwas erreicht hätten.

Den aus dem Publikum vorgebrachten Vergleich der friedlichen Demonstrationen vor 30 Jahren mit den aktuellen "Fridays for Future"-Streiks erteilte Gauck eine Absage. "Es ist etwas anderes", betonte er. Greta Thunbergs Stil vor der UNO habe ihm nicht gefallen und wäre er ein Schuldirektor, würde er fragen, warum die Schüler nicht am Samstag demonstrieren können. Dennoch finde er es gut, wenn sich Jugendliche für die Erde interessierten und Erwachsene an ihre Pflichten erinnerten. "Bei aller Stilkritik - es ist eine Bewegung, über die wir uns freuen können."

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