Nationalratswahl in Österreich:Wie Kurz zu seinem Wahlsieg kam

Parliamentary election in Austria

Kurz vor neuer Kanzlerschaft: Die ÖVP ist klarer Wahlsieger.

(Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Wer hat die ÖVP gewählt? Wo haben SPÖ und FPÖ verloren? Und wem verdanken die Grünen ihren Höhenflug? Ein Überblick.

Von Felix Haselsteiner (Text), Christian Endt und Sara Scholz (Grafiken)

Wie so häufig in seiner politischen Karriere ließ sich Sebastian Kurz auch an dem Sonntag, an dem er das beste ÖVP-Ergebnis seit 2002 feiern durfte (37,2 Prozent), nicht in die Karten schauen. Kurz will jeden Schritt überlegen und "auf alle Parteien" zugehen. Ganz besonders wird sich Kurz auf jene drei fokussieren, die auf ein Angebot warten: Die großen Verlierer SPÖ (-5,1 Prozent) und FPÖ (-9,6) sowie die großen Gewinner: die Grünen (+9,7).

Wie jedoch kam der große Kurz-Triumph überhaupt zustande? Wo haben SPÖ und FPÖ verloren? Und wie erklärt sich das Comeback der Grünen?

FPÖ verliert vor allem in der letzten Woche

"Vor einer Woche lagen wir in Umfragen noch bei 20 Prozent", sagte FPÖ-Spitzenkandidat Norbert Hofer am Sonntag beim Spitzenkandidaten-Gipfel des Privatsenders ATV. In der Tat haben die Freiheitlichen bei den kurzentschlossenen Wählern viele Stimmen verloren, doch auch ihre Stammwählerschaft konnte die FPÖ bei weitem nicht so gut aktivieren wie bei den Wahlen zuvor.

So wenig die Studenten und Abiturienten in der Vergangenheit Zielgruppe der FPÖ war, so sehr waren es die unteren Bildungsschichten, die FPÖ wählten. Nun hat Kurz ÖVP den Freiheitlichen hier den Rang abgelaufen: 43 Prozent der WählerInnen mit Berufsausbildung und 45 Prozent der mittleren Schulabsolventen gaben der ÖVP ihre Stimme. Gleichzeitig erklärt sich das Phänomen des grünen Aufstiegs eindeutig beim Blick auf die Bildungsabschlüsse: 37 Prozent der Hochschulabsolventen wählten Grün.

Kurz gewinnt mit den Senioren

Kurz mag in seiner Karriere der jüngste Kanzlerkandidat, Kanzler und Kanzler a.D. gewesen sein: Seine Zielgruppe ist jedoch klar die älteste. Bei der Wählergruppe 60 und älter gewann Kurz 43 Prozent der Stimmen, auch und vor allem, weil er ihnen inhaltliche Angebote machte, was Renten- und Migrationsthemen anging.

Wie sehr die Post-Ibiza Nationalratswahl auch einen Generationenkonflikt im Land abbildet, zeigt sich auch daran, dass die Grünen den umgekehrten Weg gingen: 27 Prozent der WählerInnen unter 30 gaben ihre Stimme den Grünen - allerdings genauso viele Sebastian Kurz, der damit unter Beweis stellte, dass er den Umgang mit sämtlichen Wählergruppen zu beherrschen scheint.

Frauen wählen grüner und liberaler als Männer

Der deutlichste Unterschied im Wahlverhalten zwischen Männern und Frauen zeigt sich bei der rechtsnationalen Partei: 21 Prozent der Männer gaben der FPÖ ihre Stimme, nur 11 Prozent der Frauen - im Vergleich zu 2017 bedeutet das einen Verlust von acht (Männer) bzw. elf Prozent (Frauen) für die FPÖ. Dass allein das weibliche Wahlverhalten für die Verluste der FPÖ verantwortlich ist, stimmt also nicht.

Frauen wählen in Österreich deutlich grüner - und liberaler - als Männer: Sowohl die Grünen als auch die Neos profitierten davon, bei den Wählerinnen mit weniger konservativen Positionen und Forderungen nach mehr Ausgeglichenheit Stimmen zu sammeln.

Grüne gewinnen in Wien deutlich dazu

Eine wesentliche Problematik für die Grünen bei der Wahl 2017 waren die schwachen Ergebnisse in der Hauptstadt Wien. Zwei Jahre, eine türkis-blaue-Regierung und Klima-Protestwelle später profitieren die Grünen nun vor allem davon, dass sie in Wien mehr Unterstützung denn je erfahren: Ganze sechs Wiener Bezirke gingen an die Grünen, das ist im notorisch SPÖ-regierten Wien ein geradezu historisches Ergebnis und ist gleichzeitig ein Erklärungsansatz für das Absacken der Sozialdemokraten, die sich auf ihre Vormachtstellung in Wien bislang eigentlich immer verlassen konnten.

Was Sebastian Kurz wirklich will, weiß wohl aktuell nur Sebastian Kurz selbst - was die WählerInnen der ÖVP wollen, lässt sich jedoch aus der Statistik ablesen: Die liberalen Neos wären eindeutig der favorisierte Koalitionspartner, das Bündnis wäre jedoch nicht mehrheitsfähig. Eine Neuauflage der türkis-blauen Koalition genießt bei den ÖVP-Anhängern weiterhin hohes Ansehen - ein klares Indiz dafür, dass die konservative Politik von Kurz weiter favorisiert wird.

Ein Bündnis mit den Grünen wäre nach eigenen Aussagen sowohl für Kurz als auch für den Grünen-Spitzenkandidaten Werner Kogler nur schwer vorstellbar, auch die ÖVP-Wählerschaft sieht eine Zusammenarbeit zumindest kritisch - eindeutig ablehnen würden die Türkisen jedoch eine große Koalition mit der SPÖ.

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