Digitalisierung:Der Mensch bedient die Maschine

Es braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag, denn durch die künstliche Intelligenz, die selbst Entscheidungen trifft, wird aus dem Werkzeug Maschine ein Begleiter. Die Tech-Konzerne müssen deshalb beizeiten verpflichtet werden, ihre Kreationen zu kontrollieren.

Von Andrian Kreye

Wenn Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) Digitalkonzerne dazu verpflichten will, Straftaten in ihren sozialen Netzwerken den Ermittlungsbehörden zu melden, ist das zunächst einmal nur eine vernünftige Idee. Wenn Wirtschaftszweige sich weigern, Verantwortung zu übernehmen, muss man sie eben dazu zwingen. Auch wenn vernünftige Ideen nicht immer realistisch sind.

Es drängen sich in solchen Fällen immer schnell die vielen Fragen auf, was passiert, wenn Recht und Gesetz Konzerne dazu zwingen sollen, gegen ihre eigenen Geschäftsinteressen zu handeln. Mark Zuckerbergs Auftritt vor dem US-Kongress war vergangenes Jahr ein Beispiel dafür, wie sich ein Digitalkonzernchef dann hinter einer Nebelwand aus bürokratischen Ausreden und technokratischem Geschwafel versteckt. Und wie wirkungsvoll sind Gesetze, wenn Firmen global agieren? Wie das EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessen vergangene Woche vorgeführt hat, nicht sehr viel, wenn so ein Recht nur in Europa gilt.

Und trotzdem ist jeder legislative und juristische Schritt gegen die inzwischen so destruktiven Handlungsspielräume der digitalen Industrie nicht nur ein Versuch der Zivilgesellschaft, ein Machtmonopol zu brechen. Es sind kleine Schritte auf dem Weg zu einem neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Mensch und Maschine. Der ist von existenzieller Bedeutung und dramatischer Dringlichkeit. Denn mit der neuen Phase der Digitalisierung durch künstliche Intelligenz (KI), die gerade beginnt, verändert sich das Verhältnis von Mensch und Maschine ganz grundsätzlich.

Ausgerechnet die Zukunftsindustrien verdrängen das noch. Denn wenn es um Verantwortung geht, denken die Konzernlenker dieser Industrien gern in der Tradition der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts. Sie hängen einer mechanistischen Techno-Philosophie an, die behauptete, dass Technologie grundsätzlich wertneutral sei. Damit erklären sie ihre digitalen Welten zu Maschinen. Zu Ende gedacht, läuft das allerdings auf das Argument hinaus, mit dem die amerikanische Waffenlobby NRA ihre Produkte verteidigt. Deren Sprecher behaupten, dass ja nicht Waffen Menschen töten, sondern Menschen Menschen töten.

Aber spätestens mit der Marktreife künstlicher Intelligenz funktioniert dieses Argument eben nicht mehr. Seit Urzeiten beruht das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine auf dem Prinzip, dass der Mensch einen Hebel umlegt und die Maschine diesem mechanischen Befehl folgt. Da unterscheidet sich der Holzknüppel, mit dem man einen Stein den Hügel hinunterrollt im Prinzip nicht vom Touchscreen, auf dem man in die App hineinwischt.

Künstliche Intelligenz aber fällt selbst Entscheidungen und handelt danach. So wird aus dem Werkzeug Maschine ein Begleiter. Soziale Netzwerke sind schon einfache Formen solcher KI. Man muss die Konzerne also frühzeitig in die Pflicht nehmen, ihre Kreationen zu kontrollieren. Dazu könnte auch gehören, dass sie nicht nur einzelne Posts, sondern auch die Algorithmen den Gesetzen und dem Wohl der Menschen unterwerfen. Und auch für unbeabsichtigte Folgen Verantwortung übernehmen. Mit künstlicher Intelligenz wäre die Umsetzung von Christine Lambrechts Forderung technisch übrigens sehr leicht machbar.

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