"Bam Bam" von Seeed:Knallt immer noch so

Seeed - "Bam Bam" (Warner)

Fußballmannschaft mit nur noch zehn Spielern: Seeed.

(Foto: Erik Weiss/Warner)

Seeed waren der FC Bayern des Deutsch-Dancehall. Bis einer ihrer Stürmer starb. Jetzt haben sie noch mal ein Album gemacht, das man als großen Abschied hören sollte.

Von Jakob Biazza

Man muss das alles vom Ende her hören. Vom Anfang aus ergibt es keinen Sinn. Nichts davon. Demba Nabé ist schließlich tot, und der Fußballmannschaft, die die elfköpfige Berliner Band Seeed ja nicht nur zahlenmäßig immer war, sondern auch im Auftreten, fehlt damit, nun, da müsste man sich jetzt mit Spielerpositionen auskennen, aber: so ein krummbeiniger Hallodri halt, der wild im Strafraum herumstochert und jeden stört. Ein Thomas Müller, der Unruhe stiftet und irgendwie quer zu allem steht, was sonst auf dem Platz passiert. Aber eben so, dass die Robbens und Ribérys ihre zwei Tricks auffahren können und damit geradlinig und unbeirrbar wirken.

Ungefähr so haben Seeed funktioniert, als Demba Nabé noch da war, mit seinen krummbeinigen Melodien und verzogenen Phrasierungen. Mit seinem verbogenen Tanzstil und der Gesangsrhythmik, die sich gegen alles sperrte. Die seltsam eckig in den Playbacks stand, und damit aber eben die Räume geöffnet hat.

Klassisches Meister-Trio vorne an der Bühnenkante also: Einer gaukelt und sperrt und schnörkelt herum, die andern beiden kommen über die Flügel, irgendwer zieht zur Mitte, Flanke, Tor. Kein Schnickschnack. Keine ausgeklügelten Doppelpässe. Und um Gottes willen kein ewiges Klein-Klein-Gezockel. Hin und wieder ein Abstauber vom Krummbein, das war's.

Seeed, das werden sie womöglich nicht gern hören, waren der FC Bayern (Saison 2015/2016) des Deutsch-Dancehall. Und jetzt ist der Abstauber plötzlich weg, und weil man im Pop ja nie ganz weg ist, ist er natürlich trotzdem immer noch ein bisschen da. Auf dem letzten Song, "What A Day", den man eben dringend als ersten hören sollte. Ein dunkler Song. Was sollte es auch sonst sein, wenn einer aus dem Grab oder dem Himmel oder von wo auch immer noch einmal seine Liebe schickt. Und eben deshalb, weil da so viel Liebe mitklingt und weil das Hirn ein gnädiger Freund ist, der Hoffnung auch noch im größten Unheil findet, ist es natürlich auch ein strahlender Song.

Es heißt ja immer, "Seeed" hätten das Land einen Tick lockerer gemacht

Die Band hat die Rohversion auf einer Festplatte entdeckt und fertig produziert. Orchesterschwer. Viele Geigen und ein dumpf weinendes Klavier. Und dazwischen stemmt Demba Nabés Stimme ein letztes Mal die Räume frei, und wer das gehört hat und dann direkt weiterspringt, also beim ersten Stück der Platte landet, "Ticket", einer Art Dreampop-Afro-Beat-Groove mit sehr elegant gezupften Gitarren und synthetisch gefilterten Bläsern und wirklich enorm schön, bei dem wird sehr beseelt etwas kaputt gegangen sein. Und dann ist es vorbei mit Sommer-Sonne-Karibik-Assoziationen. Dann ist nur noch Herbst.

Wer das neue Album von Seeed also vom Ende her hört, für den kann "Bam Bam" (Warner) nichts anderes sein als eine Abschiedsplatte. Vom Freund, klar. Von der Liebe. Wahrscheinlich endgültig von der Jugend. Aber womöglich - das ist reine Spekulation, aber klingen tut es ein bisschen so - auch vom Fan.

Es ist nämlich vor allem ein überraschend friedliches Album, eines, das mit sich und der Welt versöhnt zu sein scheint. Kaum Kampf. Wenig Kraftmeierei. Und wer jetzt stutzt (Wieso Kampf? Was denn für Kraftmeierei?), der sitzt womöglich einem Irrtum auf, der die Band ungefähr seit der Gründung begleitet.

Es heißt ja immer, Seeed hätten das Land einen Tick lockerer gemacht, und das ist sicher nicht ganz falsch. Ein paar deutsche Hüften dürften beim Hören der Alben die Steifheit überwunden haben, und ein paar Gedanken womöglich auch. Und trotzdem sollte man die Aussage so nicht stehen lassen. Klar: Die Berliner Band war eine der sehr wenigen, denen es von ihrem Debüt ("New Dubby Conquerors", 2001) an gelang, Reggae und Dancehall für das hiesige Publikum wirklich gekonnt zu übersetzen. Aber da liegt ja schon das Missverständnis: Beim Dancehall geht es, zumindest in den härteren Varianten, ungefähr so viel um Lockerheit wie bei einer Versteigerung preisgekrönter Zuchtkampfhunde.

Dancehall ist in seiner ganzen DNA kompetitiv. Ein Wettstreit unter Sängern, wer aus einem bestehenden Playback, einem sogenannten Riddim, den Song mit dem größten Wumms macht. Seeed waren sehr gut darin, Songs mit Wumms zu machen, aus bestehenden Riddims und aus selbstproduzierten. Eigentlich noch mehr aus den selbstproduzierten. Alles sollte immer möglichst direkt sein, möglichst konkret, möglichst ehrlich. Wenig Kunstfiguren, null Schnörkel, quasi keine Metaphern.

"Eigentlich müsst's von Amts wegen / mal richtig was aufs Dach geben."

Deshalb geht es der Band auch da etwas wie dem FC Bayern: viele Fans, viel Hass. Wer meint, gute Kunst müsse sich beim Entstehen und Wachsen immer auch etwas selbst zusehen und reflektieren, müsse die eigene Metaebene erfassen und mitdenken, für den war Seeed vom Fleck weg eine große Scheußlichkeit.

"Eigentlich müsst's von Amts wegen / mal richtig was aufs Dach geben/ Puristen, Style-Polizisten mit 7:0 vom Platz fegen". So klang das auf dem ersten Song der ersten Platte.

Und es nahm sich schon damals sehr, sehr ernst.

Und im direkten Gespräch tut es das immer noch. Die meiste Zeit jedenfalls. Man trifft Pierre Baigorry, noch bekannter als Solokünstler Peter Fox, und den Saxofonisten Moritz Delgado dort, wo Berlin noch etwas von dem rauen Anstrich hat, den viele der Zugezogenen suchen, die sie hier gerade nicht mehr so gerne mögen: Nähe Görlitzer Park, zweiter Hinterhof, ein Aufzug fährt einen direkt ins Studio- und Proberaumstockwerk der Band rauf. Oben herrscht ein bisschen Unordnung und freundliche Plauderstimmung. Aber das Prinzip ist schon noch: im Zweifelsfall erst mal Angriff, dann erst dem Gesagten hinterherspüren, noch mal nachdenken und gegebenenfalls abmildern.

So zum Beispiel: Hat die Me-Too-Debatte die Art, Texte zu schreiben, beeinflusst?

Antwort Baigorry: "Das war schon immer ein Thema: Kann man einfach so über geile Ärsche singen? Aber dann denk ich mir: Wenn eine Frau einen geilen Arsch hat, warum soll ich das nicht sagen dürfen? Neun von zehn Frauen freuen sich da drüber." Pause, hinterherspüren: "Andererseits hab ich keine Ahnung, wie es ist, die zehnte Frau zu sein, die sich davon belästigt fühlt - haben aber bisher keinen Ärger diesbezüglich bekommen."

Ungefähr so geht das von Thema zu Thema, bis zur Frage, ob denn immer klar war, dass es überhaupt noch ein Seeed-Album geben wird?

Antwort Delgado: "Es war klar, dass wir was veröffentlichen wollen - es stand ja auch eine Tour an." Hinterherspüren.

"Hätten aber auch nur drei Songs werden können."

Antwort Baigorry: "Für mich waren die Fragen größer. Eher so: Haben wir noch was zu sagen? Soll man überhaupt noch Musik machen? Ich frag mich das jedenfalls immer. Bringt das noch was?" Hinterherspüren. Keine Ergänzung.

Die Antwort, die er selbst nicht geben kann, weil er dafür zu sehr Künstler ist, und wie sollte ein echter Künstler schon wissen, ob es das braucht, was er gerade gemacht hat, lautet: eher schon.

"Bam Bam" gehört nicht zum Allerbesten, was die Band bislang gemacht hat. Dafür aber ziemlich sicher zum Ehrlichsten. Ein warmes, wohliges Album zum Reinkuscheln. Wohlstandsbürger mit Häusern in Brandenburg singen über die Freiheiten, die Geld bringt. Sie loben (zusammen mit Mitgliedern von Deichkind) Sex mit Licht und allen Dellen und Röllchen, die das ausleuchtet. Sie streiten mit ihren Frauen. Sie nehmen Abschied. Keine Posen mehr, und noch weniger Metaphern: "Ich seh' die Welt in Cinemascope / Wunder gewohnt, doch es knallt immer noch so / Big Bang, Gott oder Simulation / So oder so, die Sache hat sich gelohnt!"

Und damit ist dann doch auch wirklich alles sehr direkt gesagt.

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Demba Nabé alias Boundzound von der Band Seeed beim Lollapalooza Festival am 13 September 2015 au

Seeed-Musiker gestorben
:Demba Nabé war ein sehr privater Popstar

Er gab dem Berliner Reggae- und Dancehall-Kollektiv "Seeed" seinen Klang und ließ am liebsten die Musik für sich sprechen.

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