"Nacht der Forschung":Macht auf die Türen

In ganz Europa soll die Veranstaltung Wissenschaftler und Bürger ins Gespräch bringen. Doch lassen sich so auch die erreichen, die wissenschaftliche Fakten anzweifeln?

Von Fabian Busch

Der Weg in den Ozean führt über eine schmale Wendeltreppe. Oben angekommen finden sich die Besucher in einem runden Raum wieder, umgeben von einem Wasserbecken. Überall stehen Bildschirme und Messinstrumente, verlaufen Rohre und Kabel. Die Gäste nehmen auf zwei alten Sofas Platz, und Bernd Jähne lässt die Turbinen anwerfen. Der Wind schaukelt das Wasser zu unregelmäßigen Wellen auf. Wissenschaftler des Instituts für Umweltphysik der Universität Heidelberg erforschen hier Austauschprozesse zwischen Atmosphäre und Ozeanoberfläche. Normalbürger bekommen das "Aeolotron" in der Regel nicht zu sehen, jetzt aber kann Professor Jähne es vorführen. "Das ist öffentlich geförderte Forschung, da ist man Rechenschaft schuldig."

"Nacht der Forschung" heißt das Format, bei dem 15 wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen in Heidelberg und Mannheim einen Abend lang ihre Türen öffnen. Die Nacht findet einmal im Jahr gleichzeitig an mehr als 300 Orten in ganz Europa statt und wird von der EU-Kommission gefördert. Bei Kindern und Jugendlichen soll sie Interesse an Wissenschaft wecken, vor allem aber Forscher und Öffentlichkeit ins Gespräch bringen. "Wir können nicht mehr getrennt voneinander diskutieren und Entscheidungen treffen", sagt der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz, Forschung müsse in der Mitte der Gesellschaft stattfinden. Die Grundidee hinter dem Format ist nicht neu. Aber sie war vielleicht noch nie so nötig wie heutzutage, wo wissenschaftliche Forschung immer stärker unter Druck gerät. Weil Politiker Entwicklungen wie den Klimawandel anzweifeln - oder weil Bürger schlicht Angst haben vor immer neuen Möglichkeiten in Gentechnik oder Robotik.

"Wir merken mehr und mehr, dass es Wissenschaftsfeindlichkeit gibt."

Im Vergleich mit anderen Ländern stehe die deutsche Gesellschaft der Wissenschaft durchaus positiv gegenüber, sagt Eva Haas. Sie ist am Heidelberger Standort des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) für Bildungsarbeit zuständig und koordiniert die "Nacht der Forschung". "Wir merken aber mehr und mehr, dass es Wissenschaftsfeindlichkeit gibt." Das gelte nicht unbedingt für die Besucher an diesem Abend. "Von Wissenschaftlern hören wir aber immer wieder: Wir haben das Bedürfnis, noch besser zu kommunizieren, was wir machen."

Nacht der Forschung in Heidelberg und Mannheim

Bei Kindern und Jugendlichen soll die "Nacht der Forschung" Interesse an Wissenschaft wecken - zum Beispiel, indem sie selbst Cremes herstellen.

(Foto: Fred Engelbrecht)

Im weitesten Sinne um den Klimawandel geht es auch im Institut für Umweltphysik. Im Aeolotron erforschen Physiker, wie Wind und Wellen mit Klimagasen in Verbindung stehen. Unter den Besuchern sind einige Studierende. Sie nicken wissend, als Bernd Jähne seine für Laien recht komplizierte Forschung erklärt. Kritische Fragen von Menschen, die den Klimawandel anzweifeln, habe er hier noch nicht gehört, sagt Jähne. "Die würden wahrscheinlich gar nicht erst kommen."

Julika Griem, die Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), begrüßt es grundsätzlich, wenn Wissenschaftler ihre Türen öffnen. Diese Formate hätten sich bewährt. "Ob es damit aber gelingt, auch wissenschaftsferne Menschen anzusprechen, lässt sich bezweifeln", meint Griem. "Meist werden solche Angebote vor allem von jenen genutzt, die ohnehin einen Bezug zur Wissenschaft haben." Den Anspruch, wirklich alle Bevölkerungsschichten zu erreichen, hält sie aber auch für illusorisch. "Menschen, die Wissenschaftsfeindlichkeit mit perfiden Methoden verbreiten, sind nur schwer zum Umdenken zu bewegen. Ich glaube, dass bei kindlicher und schulischer Bildung mehr zu erreichen ist."

"Nacht der Forschung": In der "Science Lounge" sieht man Bilder, Videos und Animationen von Zellen, Geweben und Tieren, die durch die Linse eines Mikroskops betrachtet werden.

In der "Science Lounge" sieht man Bilder, Videos und Animationen von Zellen, Geweben und Tieren, die durch die Linse eines Mikroskops betrachtet werden.

(Foto: EMBL)

Immerhin: Europaweit besuchen der EU-Kommission zufolge rund 1,5 Millionen Menschen die "Nacht der Forschung", in Heidelberg und Mannheim gehen die Organisatoren von mehr als 7000 Besuchern aus. Besonders voll ist es im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Dort können die Gäste Mikroskope ausprobieren oder an einem Fotosimulator feststellen, wie sie nach jahrelangem Kettenrauchen aussehen würden. Sie sei gespannt, wie das DKFZ Wissen an Kinder und Jugendliche vermittle, erzählt eine Besucherin, die selbst Chemielehrerin ist. Auch Menschen, die in erster Linie Betroffene sind, informieren sich. Ihr Mann sei krebskrank, sagt eine Frau. Mit ihm und dem gemeinsamen Sohn ist sie ins DKFZ gekommen. Nun verfolgen die Eltern, wie der Junge an einem Stand seine DNA aus den Zellen der Mundschleimhaut extrahiert.

Auch umstrittene Themen kommen zur Sprache. Am Stand des Vereins Pro-Test wollen zwei Forscherinnen mit den Gästen über wissenschaftliche Tierversuche reden. Die seien nicht schön, sagt die Biologin Julia Heinze. "Aber wir sind davon überzeugt, dass sie nötig sind - für die Grundlagenforschung und um Menschen zu helfen." Die Besucher wollen wissen, wie Labortiere gehalten werden oder wie es sich anfühlt, Versuche mit ihnen zu machen. Für so ein emotionales Thema geht es erstaunlich sachlich zu. "Es fällt leichter, darüber zu reden, wenn man sich als Person hinstellt - und nicht nur ein gesichtsloser Forscher im weißen Kittel ist", sagt Heinze.

Nacht der Forschung in Heidelberg und Mannheim

Bei der "Nacht der Forschung" kann man auch selbstgebaute Mikroskope testen.

(Foto: Phillip Bodine (DAI))

Offensichtlich gibt es Gesprächsbedarf zwischen Wissenschaft und Bürgern. Für viele Forscher steige der Druck, sich zu erklären, sagt DFG-Vizepräsidentin Griem. Früher mögen sich manche noch in den sprichwörtlichen Elfenbeinturm zurückgezogen haben. Heute sei das kaum noch möglich. "Die jüngere Forschergeneration ist viel offener: Die reden sehr gerne über das, was sie machen", sagt Agnes Szmolenszky vom EMBL. Ihre Kollegin Eva Haas ist überzeugt: "Wenn man mit Wissenschaftlern ins Gespräch kommt, merkt man in der Regel schnell: Die denken sehr viel darüber nach, was sie machen und welche Folgen ihre Forschung haben kann."

"Citizen Science" ist wohl die unmittelbarste Form, sich aktiv an Forschung zu beteiligen

Um Technik, ihre Chancen und Risiken geht es auch in Eppelheim nahe Heidelberg. Experten für Elektromobilität der Dualen Hochschule Baden-Württemberg klären über die Brennstoffzelle auf. Doktorand Wilhelm Wiebe erläutert, wie sich damit Wasser, Strom und Wärme erzeugen lassen. Mit dem Strom ließe sich etwa der Elektromotor eines Autos antreiben - Wiebe zeigt den Wasserstofftank, der dafür verbaut wird. Der sehe aus wie eine Fliegerbombe, räumt er ein. Doch die Explosionsgefahr sei nicht größer als bei einem Benzintank. Wiebe ist von der Technologie überzeugt: Sie sei sauberer als die Produktion von Elektrobatterien. Die Besucher sind interessiert, stellen Fragen zu Tankdauer und Reichweite. "Warum kann man die Fahrzeuge nicht auf die Straße bringen?", will eine Frau wissen. Weil es in Deutschland derzeit nur 50 öffentlich zugängliche Tankstellen gebe, erklärt Wiebe. Offenbar hakt es also bei Politik und Industrie - Wissenschaft und Bürger scheinen sich hier schon einig zu sein.

Vielleicht können beide Seiten sogar noch enger zusammenarbeiten? Dafür wirbt jedenfalls Max Wetterauer im Foyer der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Citizen Science, "Bürgerwissenschaft", heißt sein Thema: "Normalbürger" nehmen dabei an Forschungsprojekten teil, etwa indem sie Daten liefern. Wetterauer erklärt das am Beispiel der "Apfelblütenaktion". Die Teilnehmer beobachten, wann Apfelbäume in ihrer Umgebung zu blühen beginnen, und liefern die Daten an die Geografen der Pädagogischen Hochschule. "Wenn Leute aktiv mitmachen, fällt ihnen vielleicht erst auf, dass die Apfelblüte immer früher beginnt." Wetterauer hofft, dass sich Forschung mit diesem Ansatz der breiten Bevölkerung näherbringen lässt - und Vorbehalte abbaut. "Man ist so eins zu eins dabei, wenn wissenschaftliche Hypothesen entstehen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: