Duzen im Job:Du oder Sie?

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Freunde oder Kollegen? Ein kumpelhafter Umgangston im Job ändert nichts daran, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

(Foto: imago)

Unternehmen wollen eine lockere Arbeitsatmosphäre bieten und junge Fachkräfte gewinnen: Viele schaffen das Sie ab, sogar Vorgesetzte möchten neuerdings geduzt werden. Damit machen sie sich nicht unbedingt beliebt.

Von Viola Schenz

Wenn es um die Vertracktheit der deutschen Sprache geht, bietet sich immer an, bei Mark Twain nachzuschlagen. Der amerikanische Schriftsteller verzweifelte bekanntlich auf seiner Europareise an deren Grammatik, was 1880 in seinen vergnüglichen Essay "Die schreckliche deutsche Sprache" mündete. Twain plagte sich insbesondere mit dem Wörtchen "Sie" beziehungsweise "sie", weil es im Englischen für "she", "her", "you", "it", "they" und "them" stehen könne und man die richtige Bedeutung nie wisse.

Wäre Twain dieser Tage noch mal unterwegs in Deutschland, würde er vermutlich schon bei der Anrede kapitulieren und gar nicht mehr durchblicken. Das "Du" ist nämlich auf dem Vormarsch und macht dem "Sie" den Platz streitig. Das soziale Miteinander bringt das gehörig durcheinander, erst recht am Arbeitsplatz mit seinem oft undurchschaubaren Hierarchiegefüge. Man weiß nicht mehr, wem man das Du anbieten oder wann man beim Sie bleiben soll. Zu alten Regeln und Gewissheiten (die Oberen duzen die Unteren, die Jungen siezen die Alten) kommen inzwischen etliche Ausnahmen. Die Welt wird unübersichtlich, auch beim Adressieren.

Schuld an dieser Entwicklung haben natürlich die üblichen Schurken Globalisierung und Digitalisierung. Mit ihnen zog Englisch als Verhandlungssprache in Unternehmen ein, mit seinem simplen, aber im Endeffekt doch komplizierten "you". Und es entstanden all die lässigen Start-ups, mit ihrer sehr eigenen Firmenkultur - und die sozialen Medien mit ihrer Schwarm-Duzerei.

Alteingesessene Firmen wollen sich gerne etwas von den Emporkömmlingen abschauen, ja mitunter müssen sie es sogar. Wer auf einem leer gefegten Arbeitsmarkt junge Fachkräfte ködern will, konkurriert mit jenen Start-ups, ihren ungeregelten Arbeitszeiten, den Hoodies und Großraumbüros mit Lounge-Ecken, Bällebädern, Obstkörben und flachen Hierarchien, wo ein "Sie" nichts verloren hat.

Das alte "Sie" hatte eine Schutzfunktion, das neue "Du" hilft ausgebufften Chefs

Um mit all der Lässigkeit mithalten zu können, versuchen es Etablierte mit einem salopperen Image. Erst mit kostüm- und anzuglosen Casual Fridays, was sich freilich nicht wirklich durchsetzte. Dann mit Vorstandsvorsitzenden, die sich krawattenlos zu Bilanzkonferenzen und vor Fernsehkameras wagten. Und neuerdings mit der Ausrufung des "Du", weil Siezer als irgendwie gestrig gelten.

So tat es der Vorstand des Handelskonzerns Otto gegenüber seinen weltweit 53 000 Mitarbeitern. Wer die Vorstände duzen wolle, könne das tun, verkündete Vorstandschef Hans-Otto Schrader 2016, es gebe aber keinen Zwang. Ziel sei eine stärkere Einbindung der Mitarbeiter. Schraders Duz-Bedingung: der Kurzname Hos - für Hans-Otto Schrader, der klinge "frischer als Hans-Otto".

Stefan Oschmann, Vorstandsvorsitzender des Pharma- und Chemiekonzerns Merck, wechselte vergangenes Jahr zu Du und Vornamen. Die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) experimentiert inzwischen ebenfalls mit der vertraulichen Anrede. Und auch beim Polymerhersteller Rehau geht es seit zwei Jahren lockerer zu, allerdings mit dem Hinweis, dass "in der Regel der Vorgesetzte das Du anbietet", so der Leiter für die Berufsausbildung.

Doch wollen die Mitarbeiter das eigentlich? Und: Bringt es was? Macht das Du den Arbeitsplatz zu einem besseren Ort? Wirtschaftspsychologen der Hochschule Osnabrück haben gut 1300 Personen zu ihrer Einstellung in Sachen Duzen im Beruf befragt. Die Ergebnisse stellen Sinn und Zweck einer Duz-Kultur infrage. So findet verbindliches Siezen die geringste Zustimmung, verbindliches Duzen stößt immerhin auf etwas mehr Akzeptanz. Am populärsten war ein Modell, bei dem die Beschäftigten, egal ob Praktikanten, Mitarbeiter oder Führungskräfte, selbst und individuell entscheiden können, wen sie duzen und siezen - so wie es bereits in vielen Firmen der Fall ist.

Wer das amerikanische "You" mit "Du" gleichsetzt, missversteht es

Die Online-Jobbörse Stepstone wiederum hat zusammen mit der Personalberatung Kienbaum für eine Studie mit 17 000 Fachkräften untersucht, wie Mitarbeiter untereinander und gegenüber Chefs kommunizieren. Je nach Firmengröße und Branche fallen die Resultate unterschiedlich aus. In kleineren Unternehmen geht es eher informell zu, sie setzen häufig aufs Du, in Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern ist die Hälfte mit allen per Du.

Wenig überraschend: In der Kommunikations- und Digitalbranche duzen sich fast alle - Selbstverständnis und Unternehmenskultur bringen das mit sich. In der Metallindustrie dagegen duzen lediglich 21 Prozent ihre Kollegen und Vorgesetzte, in der Bankbranche tun das 20 Prozent, und im öffentlichen Dienst gaben gerade mal 15 Prozent an, vom Auszubildenden bis zum Amtsleiter alle zu duzen.

Bei Ikea, H&M, Apple oder Amazon ist das Du seit Anbeginn Teil der Firmenkultur, was hauptsächlich daran liegt, dass es sich um schwedische oder amerikanische Großkonzerne handelt. Schweden hat das Duzen vor einem halben Jahrhundert verallgemeinert, und mit amerikanischen IT-Firmen kam das "You", das hierzulande automatisch mit "Du" gleichgesetzt, damit aber missverstanden wird. Denn Amerikaner und Briten machen hier sehr wohl feine Unterschiede zwischen einem vertrauten Freund und einem Kollegen, Geschäftspartner oder sozial Höhergestellten.

Linguistisch entspricht "You" eher dem deutschen "Ihr" beziehungsweise "Sie" und "Du" eigentlich dem veralteten und nicht mehr verwendeten "Thou". Auch der unter Angelsachsen übliche schnelle Wechsel zum Vornamen führt noch nicht zu einer Nibelungentreue, die sich Deutsche von einem "Oh, call me Bob!" vielleicht erhoffen. Die Anredeformen anderer Sprachen richtig zu deuten, kann kniffelig sein, es kommt immer auch auf Gesten und Körpersprache an.

"Suzen" nennt sich das Rumgeeiere zwischen Sie und Du

So sicher den Konzernen bei ihren Duz-Coups die Aufmerksamkeit der Medien ist, so sicher sind die Fallstricke, die sie damit auslegen. Duzen klingt nach Vertrauensvorschuss, es fördert eine Erwartungshaltung, es legt Kumpanei nahe, wo oft keine ist und es keine geben sollte. Duzen einen die Vorgesetzten, müssen sie es gut mit einem meinen - so das gängige Missverständnis. Wo es persönlicher zugeht, wird vieles persönlicher genommen.

Aber auch das freundlichste Du ändert nichts daran, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Ein "Nein" beim anstehenden Auftrag oder gar in der Gehaltsverhandlung kann da verletzen. Das alte "Sie" hatte eine Schutzfunktion, das neue "Du" hilft oft ausgebufften Chefs. Sie können mit vermeintlicher Kumpelhaftigkeit weiter bestehende Hierarchien verschleiern, einen Befehl in Watte packen, unangenehme Aufträge geschickt kaschieren ("Das kriegst du schon hin!"). Selbst eine Entlassung mag weniger schlimm klingen, wenn sie mit einem "Nimm das bitte nicht persönlich" endet.

Annäherungsversuch

Als Christoph Filser vor vier Jahren zum Autobauer BMW kam, musste er sich umgewöhnen. Im Kontakt mit Kollegen und Vorgesetzten irritierte ihn der ständige Wechsel zwischen Sie und Du. Zuvor hatte der Wirtschaftsinformatiker achteinhalb Jahre bei Telefónica Deutschland gearbeitet. Dort duzen sich alle Mitarbeiter, inklusive Vorstandsvorsitzendem. "Das war sehr angenehm, weil man nicht darüber nachdenken musste, mit wem bin ich per Du und mit wem per Sie," sagt Filser.

Gemeinsam mit seiner Kollegin Simone Geiger beschloss er, den Hashtag #gerneperDu an seine E-Mail-Signatur zu hängen. "Die Reaktionen waren unglaublich, fast alle haben den Hashtag auch in ihre Signatur gepackt", sagt Geiger. Vor einem Jahr gründeten sie die Initiative "Gerne per Du". Der Hashtag steht nun nicht nur in der E-Mail-Signatur vieler Mitarbeiter, sondern auch im Adressverzeichnis des Unternehmen, auf Schlüsselbändern und Aufklebern.

Zum Duzen gezwungen wird niemand. Weiterhin siezt man sich bei der ersten Kontaktaufnahme. Geht der Adressat nicht auf das Duz-Angebot in der Signatur ein, bleibt es bei der förmlichen Anrede. "Wir glauben fest daran, dass man auch mit kleinen Mitteln zu einem positiven Kulturwandel beitragen kann", heißt es auf der Website der Initiative.

Inzwischen ziehen andere Firmen nach, bei der BSH Group und der Deutschen Messe nutzt man denselben Hashtag. Bei der Daimler AG und Robert Bosch gibt es die Initiative "Just DU it", bei der Deutschen Telekom heißt es einfach "@DU". jup

Der verordneten Lockerheit haftet zudem mitunter etwas Verkrampftes an, besonders wenn selektiv geduzt wird. Ein Teil des Teams siezt die Chefin, ein anderer duzt sie, weil man sie noch von früher als Kollegin kennt. Da sind die einen schnell als Lieblinge verschrien, während sich andere ausgeschlossen fühlen. Den Teamgeist fördert das eher nicht.

Und: Wenn sich intern alle duzen, heißt das nicht automatisch, dass es extern ähnlich leger zugehen kann. Wie also verfährt man nach außen mit dem neuen Umgangston? Wie spricht man vor und mit Kunden, ist man da weiter "Thomas" und "Nina"? Wie viel Lockerheit ist hier angebracht? "Suzen" nennt sich solcherart Rumgeeiere mit Sie und Du. Es findet sich auch gerne in Kneipen, Fitnessstudios oder sozialen Medien, wo "Du" das Lockmittel ist ("Ein Klick, und du bist dabei!") und "Sie" ranmuss, wenn es ernst wird ("... finden Sie hier unsere Nutzungsbedingungen."). Schön ist dieses Durcheinander nicht.

In manchem Unternehmen hätte man sich vielleicht, gut geplant und wohlüberlegt, in das elegante "Hamburger Sie" retten können, also "Sie" plus Vorname, aber das klingt für manche wohl noch verzopfter als "Sie" plus Nachname. Das Problem ist nämlich: Ein Zurück vom "Du" gibt es nicht, da mag eine Firmenkultur noch so progressiv sein, eine Rücknahme bleibt ein Tabu. Moderne Anreden sind mehr als ein bloßer Sprachwandel, sie ändern eben auch das menschliche Miteinander. Der Du-Entzug bedeutet meist das Ende der Geschichte - privat wie geschäftlich. Mark Twain jedoch hätte dieses Dilemma sicherlich zu einem weiteren Essay inspiriert, zu einem vergnüglichen noch dazu.

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