Seehofer:Hauptsache, recht behalten

Bundesinnenminister stellt 'Masterplan Migration' vor

Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, nach der Vorstellung des Masterplan Migration im Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr

(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

Vor einem Jahr noch hat Horst Seehofer wegen des Themas Flüchtlinge die Koalition riskiert. Nun gibt sich der Innenminister demonstrativ flexibel. Warum?

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Horst Seehofer, der alte Mann der CSU, hat sich entschieden, als eine Art lonesome Cowboy dem Sonnenuntergang seiner politischen Laufbahn entgegenzustiefeln. Der Innenminister gibt in der Flüchtlingspolitik nicht mehr viel auf Einwände aus der Union, selbst wenn sie von deren Fraktionschef Ralph Brinkhaus kommen. Seehofer macht jetzt das, was er für richtig hält - und was seinem Seelenfrieden dient.

Wie hat Seehofer noch vor einem Jahr versucht, jeden einzelnen Sekundärflüchtling an der Grenze zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit zu stilisieren? Nun plötzlich sagt er, auf ein paar Hundert Migranten mehr oder weniger komme es im Namen der Menschlichkeit nicht an. Wie hat sich Seehofer mit Viktor Orbán solidarisiert, dem wichtigsten Saboteur einer europäischen Flüchtlingspolitik? Nun plötzlich betont er die Gemeinsamkeit der EU als wichtigstes Ziel. Wie hat sich Seehofer verbissen in Angela Merkels Politik? Nun reist der Innenminister eigens nach Ankara und Athen, um von der Politik der Kanzlerin zu retten, was noch zu retten ist.

Ein wichtiges Motiv für das Verhalten Seehofers dürfte in seiner Persönlichkeit liegen. Horst Seehofer hat politisch immer gern gerauft, er ist keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen und hat manche gewonnen. Aber wichtiger, als zu gewinnen, war für Seehofer immer etwas anderes: recht behalten. Dem dient nun auch seine neue Flüchtlingspolitik.

Nun, da die Zahl der Flüchtlinge niedriger liegt, kann er demonstrativ flexibel sein

Eine der schwersten politischen Niederlagen Seehofers war 2004 sein Rücktritt als Vizefraktionschef. Er musste sich in der Sozialpolitik dem damals noch ungebremsten Reformeifer Angela Merkels beugen. Seehofer aber sah in der Politik der damaligen Oppositionsführerin auch ein Symbol für einen ungehemmten Neoliberalismus, der sich den bewährten Sozialstaat westdeutscher Prägung unterwarf. Deshalb empfand er wenige Jahre später die Finanzkrise auch als Bestätigung, dass er mit seinen Warnungen vor einem entfesselten Kapitalismus recht behalten hatte. Er hat das jedem gesagt, auch denen, die es gar nicht hören wollten.

In der Flüchtlingspolitik seit 2015 war Seehofers wichtigstes Anliegen die berühmte Obergrenze. Diese Zielvorgabe sah er als notwendig an, um die Integration der Flüchtlinge zu gewährleisten und die Akzeptanz der Bevölkerung zu sichern. Anders gesagt: um die Flüchtlingspolitik zu ordnen und zu steuern. Dafür hat er sich mit Merkel ebenso angelegt wie mit dem Grundgesetz, den Unionsfrieden riskiert, die Koalition infrage gestellt, sich wegen seiner Hartleibigkeit zum Gespött gemacht und manchen Irrsinn erzählt, den er heute wohl selbst bereut. Die Obergrenze hat Seehofer nie bekommen, nur einen Korridor zwischen 180 000 und 220 000 Flüchtlingen, die Deutschland jährlich aufzunehmen bereit ist.

Jetzt, da die Zahl der Flüchtlinge, die pro Jahr nach Deutschland kommen, klar unter der von ihm geforderten Obergrenze liegt, kann er demonstrativ flexibel sein. Wenn Seehofer heute bei der Aufnahme von Geretteten aus dem Mittelmeer den Generösen gibt, wenn er beim deutschen Anteil an europäischen Kontingenten in Vorleistung geht, dann will er rückwirkend auch seinen Kampf seit 2015 legitimieren. Wenn die Härte von damals als Voraussetzung für die Großzügigkeit von heute akzeptiert würde, hätte Seehofer ihr endlich einen Sinn gegeben - und für sich das erreicht, was ihm am wichtigsten ist: recht behalten.

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