Bayerischer Rundfunk:Alle unter einem Dach

Visualisierung Neubau Freimann - Copyright: Fritsch+Tschaidse Architekten GmbH

2022 sollen die Umbauarbeiten des Bayerischen Rundfunks im Münchner Norden fertig sein, so soll das Ergebnis aussehen.

(Foto: Jens Gehrcken/Fritsch+Tschaidse Architekten GmbH)
  • Beim Bayerischen Rundfunk werden die Redaktionen aus Radio, Fernsehen und Online zusammengeführt - realisiert durch einen langjährigen Umbau.
  • Trotz Budgetkürzungen wagt man sich an umfassende Reformen, an deren vorderster Stelle die "Trimedialität" steht.
  • Bis 2022 sollen die Umbauten in Freimann fertig werden.

Von Benedikt Frank

Ein Konferenzraum des Bayerischen Rundfunks in Freimann füllt sich frühmorgens. Auf einer Leinwand tauchen nach und nach Gesichter auf, zugeschaltet aus Franken, Schwaben, Ober- und Niederbayern und dem Funkhaus. Der Sportredakteur meldet sich von Zuhause, am Tag zuvor wurde bis spät gearbeitet. Sein Thema gestern wie heute: Gibt es ein Leben nach Uli Hoeneß? Pressekonferenz um 12 Uhr, Stream auf Facebook, die Rundschau bedienen, der Hörfunk ist unterwegs, Digital wird andauernd aktualisiert. "Wir versuchen heute, alle glücklich zu machen", schließt der Redakteur. Schnell geht es reihum weiter. Zur Diskussion um die Steuer auf Billigflüge könnte man nicht nur Reporter zur CSU-Zentrale schicken, sondern auch zum Memminger Flughafen, wirft einer ein. Andere Redaktionen sind interessiert, immer wieder fällt ein Satz: "Sagt einfach Bescheid, was ihr braucht." Nach 25 Minuten ist man fertig.

Vielleicht möchte man sich beim Treffen der Redaktion Bayern aktuell an diesem Morgen besonders routiniert geben, weil ein fremder Reporter am Tisch sitzt. Es habe lange gedauert, bis es so rund läuft, heißt es hinterher. "Trimedialität" lautet das Stichwort, unter dem sich der BR seit 2012 reformiert. Die Idee dahinter ist, dass nicht mehr jede Redaktion, jedes Regionalstudio, das Fernsehen und die Radiosender jeweils für sich arbeiten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wechselt das Publikum am Smartphone längst ständig zwischen Social Media, Video, Zeitungs- und Podcastapp. Was für die Nutzer so einfach ist, ist für den BR ein Triathlon in den Disziplinen Neuorganisation der redaktionellen Arbeit, Neubau eines Mediencampus und Budgetkürzung. Zehn Jahre hat man sich selbst Zeit gegeben, es bleiben noch drei. Die Zielgerade ist in Sicht.

Man sprach ehrfürchtig von Regionalfürsten, die fern von München herrschten

Intendant Ulrich Wilhelm sieht den BR dabei als Vorreiter. Am Anfang habe die Reform für viele noch wie eine "exotische Idee" gewirkt. "Mittlerweile gehört themenübergreifendes, trimediales Arbeiten in vielen Medienhäusern zum Standard", teilt Wilhelm auf Anfrage mit.

Zum Gespräch in Freimann schickt der BR Roland Scheble. Er ist als Leiter Strategie und Innovationsmanagement mit der Umsetzung der Reform beauftragt und bringt eine umfangreiche Präsentation mit, die er offenbar in den letzten Jahren schon oft halten musste. Auf dem Weg von der Redaktionskonferenz zur Präsentation verläuft man sich in Gängen, die Fotos aus analogen Rundschauzeiten zieren, bis einen der Leiter Bayern aktuell, Stephan Kirchner, wiederfindet. Eine gewisse Orientierungslosigkeit ist normal, denn noch wird in Freimann überall gebaut. Man sei im Zeit- und Kostenplan, bis 2022 will man fertig sein. "Das wird kein Berliner Flughafen", sagt Scheble. Teile des Hörfunks, der jetzt noch im Rundfunkhaus im Münchner Zentrum sitzt, sollen dann einziehen. Am Dienstag feiert man Richtfest.

Der Titel der Präsentation lautet "Warum wir uns verändern müssen." Dass der BR Veränderung nötig hat, bestreiten auch die meisten Mitarbeiter nicht. Nur die Umsetzung kann kaum alle glücklich machen. Wie radikal der Wandel ist, zeigt der Vergleich mit der Zeit davor. Sich wie in der Konferenz an diesem Morgen zusammenzusetzen, wäre vor zehn Jahren im BR undenkbar gewesen, und selbst bis vor drei Jahren kannten sich mitunter Redakteure unterschiedlicher Sender trotz gleichem Fachgebiet nicht. "Es gab Kolleginnen und Kollegen, die 25 Jahre im Hörfunk gearbeitet haben, aber noch nie am Fernsehstandort in Freimann waren", berichtet Roland Scheble. Man sprach ehrfürchtig von Regionalfürsten, die fern von München über ihr eigenes Reich herrschten, entsprechend bemüht waren die Redaktionschefs, ihre Kleinstaaten zusammenzuhalten. "Die Frage für uns als Führungskräfte ist, was unser Wert hier ist", sagt Stephan Kirchner heute: "Bemessen wir uns nach Etatgröße und wie viele Menschen wir haben? Oder am publizistischen Erfolg?"

Ein Drittel der Führungspositionen habe man bereits abgebaut, rechnet Roland Scheble vor. Im Juli 2020 soll Hörfunkdirektor Martin Wagner in den Ruhestand gehen, ohne dass sein Posten nachbesetzt wird. Der heutige Fernsehdirektor Reinhard Scolik soll dann die neue trimediale Programmdirektion Kultur leiten, zu der auch die Radiosender Bayern 2 und BR-Klassik wandern. Bayern1, Bayern 3 und der Jugendsender Puls werden dann der Programmdirektion Information zugeordnet werden, die 2014 für den Übergang neu geschaffen wurde.

Was mit Redaktionsleitern geschieht, die nun nichts mehr zu leiten haben? Wer im entsprechenden Alter war und nicht mitmachen wollte, ging früher in Rente. Andere arbeiten heute als normale Redakteure, beziehen aber weiter ihr höheres Leitergehalt. Und dann sind da noch unterschiedliche Gehälter und Honorare für TV und Radio, der Tarifvertrag hinkt den neue Aufgaben hinterher, es gibt Streit, wie der Honorartopf zu verteilen ist. "Kahlschlag beim BR" titelte darum das Mitgliedermagazin des Bayerischen Journalistenverbands 2018. "Wenn ein Chef vom Dienst, der vom Hörfunk kommt, weniger verdient als einer vom Fernsehen, dann brauchen wir mit einer gemeinsamen Bayernredaktion gar nicht erst anzufangen", sagt Stephan Kirchner, der die Verhandlungen mit den Gewerkschaften begleitet. Angefangen hat man bei Bayern aktuell trotzdem schon bevor eine fairere Regelung gefunden ist. Mitte September wurde der BR wie auch andere ARD-Sender bestreikt.

Für die News-WG auf Instagram strich man die Moderation der "Rundschau"-Nachtausgabe

Als der trimediale Prozess begann, verbreitete sich schnell die Vorstellung von einer neuen Art von Journalist, der nicht nur auf Fernsehen, Radio oder Internet spezialisiert ist, sondern alles beherrscht, am besten auch noch gleich gut. Zum Beweis, dass diese journalistische eierlegende Wollmilchsau nie erschaffen werden sollte, drückt Roland Scheble einem eine Broschüre aus dem Jahr 2014 mit Leitsätzen für trimediales Arbeiten in die Hand. Was allerdings nicht bedeutet, dass man die Multitalente nicht trotzdem gerne hätte. Scheble besteht zwar darauf, dass niemand gezwungen werde, alle Medien zu bedienen. Doch scheint Zwang wohl auch kaum nötig, wenn Freie und Nachwuchs um begrenzte Aufträge konkurrieren müssen.

Bayerischer Rundfunk: „Das wird kein Berliner Flughafen“: die Baustelle in Freimann.

„Das wird kein Berliner Flughafen“: die Baustelle in Freimann.

(Foto: BR)

Trotzdem ist es keine Frage, dass in der Produktion auch weiterhin Spezialisten unabdingbar sind. Die Vorteile der Reform sollen sich an anderer Stelle zeigen. "Als 2011 die Villa des Bayern-Spielers Breno brannte, haben fünf oder sechs BR-Redaktionen einzeln beim FC Bayern angerufen", sagt Scheble: "Das würde heute nicht mehr passieren." Es passiert nicht mehr, weil es eine zentrale Planung wie bei Bayern aktuell gibt. Doch auch die wurde nicht ohne Schmerzen geboren. "Wenn Sie als Fernseh-CvD in die Situation geworfen werden, auf einmal auch Hörfunk machen zu müssen, erleben Sie eine Kernschmelze ihrer persönlichen Kompetenz", fasst Stephan Kirchner die Situation zusammen. Für Abkühlung soll Zeit bei der Umstellung sorgen - und der Treffpunkt Trimedialität, die nächste Station der Führung in Freimann. In einem großen, hellen Gruppenraum sind Produktionssituationen mit Legosteinen nachgebaut. Im Nebenraum stehen auf rollbaren Tischen montiert Geräte für die Fernseh-, Hörfunk- und Onlineproduktion. Ein schon fast therapeutisches Begegnungsangebot für Redakteure mit ihnen fremden Medien.

Das ursprüngliche Vorhaben, bei der Zusammenlegung von Redaktionen frei werdende Dienste für Recherche zu nutzen, wird heute oft nicht umgesetzt. Denn der BR muss sparen. Der Rundfunkbeitrag - und damit das Budget - ist in zehn Jahren trotz Inflation nicht gestiegen. "Mir ist bewusst, dass wir unseren Beschäftigten dabei viel abverlangen. Knappe Mittel ändern aber nichts an den Erwartungen des Publikums und veränderten digitalen Nutzungsgewohnheiten", sagt Intendant Ulrich Wilhelm dazu. Trotz Sparzwang bemüht der BR sich, neue digitale Formate zu entwickeln, zwangsläufig, weil jüngere Menschen das Bayerische Fernsehen sonst kaum noch wahrnehmen würden. Doch dafür wandern Etats vom Fernsehen ab. Um die News-WG auf Instagram zu finanzieren, hat man etwa die Moderation bei der Nachtausgabe der Rundschau gestrichen. Noch kann der BR darauf verweisen, dass stolze zwei Drittel der Bayern sein Programm gut finden.

Schließlich erreicht man mittags den eigentlichen Redaktionsraum von Bayern aktuell. An einer Schreibtischinsel überträgt eine Redakteurin gerade Markus Blumes O-Töne, die Kollegen lieferten, in eine Onlinemeldung. Hinter einer Glasscheibe produziert man Einsprecher. Von den Problemen lassen sich die Planungsverantwortlichen im Gespräch nichts anmerken: Die Abläufe seien jetzt besser als zuvor. Es wirkt so, als sage man das nicht nur, weil die Chefs zuhören. Als trimediale Prestigeredaktion des BR soll Bayern aktuell von Kürzungen bisher weniger betroffen sein.

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