IG Metall:Wenigstens was mit sieben

Lesezeit: 3 min

Die IG Metall bestätigt ihren Chef Jörg Hofmann im Amt - allerdings mit deutlich weniger Stimmen als vor vier Jahren.

Von Detlef Esslinger, Nürnberg

Die Art, in der Parteien und Gewerkschaften Wahlergebnisse ermitteln, hat teilweise mit Mathematik und teilweise mit Gnade gegenüber den Bewerbern zu tun: Sie zählen Enthaltungen nicht mit. Aber auch das gnädige Verfahren machte an diesem Tag aus einem schlimmen Ergebnis nur ein mickriges. 320 von 476 Stimmen hat Jörg Hofmann erhalten, das wären 67,2 Prozent. Indem aber nur die 131 Nein-Stimmen bei der Berechnung berücksichtigt wurden, nicht aber die 25 Enthaltungen, konnte der Tagungsleiter verkünden: "Das sind 71 Prozent." Wenigstens was mit sieben.

Hatte das jemand kommen sehen? Und warum ist es so gekommen? Hofmann ist seit vier Jahren Erster Vorsitzender der IG Metall, und er durfte sich der Wiederwahl für eine volle zweite Amtszeit stellen, obwohl er im Dezember 64 Jahre alt wird. Dabei war dies lange ein ungeschriebenes Gesetz dieser Gewerkschaft: dass der Chef nicht im Rentenalter sein soll. Aber Hofmann macht einen seriösen Job, und in der Gewerkschaft war man sich noch nicht schlüssig, wem man die Nachfolge anvertrauen soll: der Zweiten Vorsitzenden Christiane Benner, 51, oder dem Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, 53.

Das Ergebnis ist eine Mischung aus Absicht und Panne

Für Benner spricht erstens, dass sie populär in der Gewerkschaft ist, und zweitens ein weiterhin geltendes ungeschriebenes IG-Metall-Gesetz: dass der oder die Zweite Vorsitzende stets aufrückt zum oder zur Ersten. Gegen sie spricht: das nächste ungeschriebene Gesetz, noch nie einen großen Tarifvertrag ausgehandelt zu haben. Für Zitzelsberger spricht genau dies; und gegen ihn: das ungeschriebene Gesetz, dass man nicht aus der Position eines Bezirksleiters Vorsitzender wird, ohne zunächst ein paar Jahre im Vorstand gedient zu haben. Also war klar, dass die Führungsfrage vertagt werden würde. Indes erhielt Benner am Dienstag 87 Prozent der Stimmen, womit sie sich eine gute Ausgangsbasis für die Zukunft organisiert hat. Bei der Aussprache am Montag mäkelte übrigens nur ein Delegierter an der Vertagung der Führungsfrage und der Wiederwahl eines demnächst 64-Jährigen herum.

Der Applaus für ihn: lau. Fragt man herum nach den Gründen für das Ergebnis, lässt sich festhalten: Es war wohl eine Mischung aus Absicht und Panne. Unter denen, die gegen Hofmann stimmten, waren Delegierte, denen das Tempo zu schnell ist, in dem er die IG Metall auf Mobilitäts- und Energiewende einzustimmen versucht. Andere beklagten, dass er nicht der große Redner sei; sein Schwäbisch verlange Zuhörern durchaus Konzentration ab. "Die Leute wollen nun mal einen Charismatiker, so sind sie halt", sagte einer. Dass er im kleinen Kreis freundlich, zugewandt und unautoritär ist, zählt wenig in einer Messehalle, die lang und breit wie ein Fußballfeld ist.

Die Panne bei dieser Wahl bestand wohl darin, dass niemand Hofmann stürzen wollte, es kamen halt nur mehr Nein-Stimmen zusammen, als womöglich von jedem Einzelnen kalkuliert worden war. "Ich bedanke mich, dass du die Wahl angenommen hast", sagte der Tagungsleiter zu Hofmann. Er selbst sagte, später, bei einem Pressestatement: "Das ist sicherlich 'ne Enttäuschung. Andererseits ein ehrliches Ergebnis."

Die IG Metall ist eine Organisation, die sich ganz grundsätzlich keine Mühe gibt, Sympathie und Antipathie zu verbergen. Wie sehr sie Redner schätzt, die in der Lage sind, Klassenkampf zu spielen, zeigte sie vor allem bei der weiteren Vorstandswahl: Hans-Jürgen Urban ist in dem Gremium seit zwölf Jahren für die Sozialpolitik zuständig. Außerhalb der Gewerkschaft hat er es nicht zu größerer Bekanntheit geschafft. Am Montag hielt er eine Rede, die inhaltlich eher routiniert war - im Vortrag aber saß jede Silbe. Stürmischer Applaus, immer wieder, am Dienstag 469 von 477 Stimmen, das mit Abstand beste Ergebnis von allen, und Gejohle, als er nur ans Mikrofon trat, um die Wahl anzunehmen, aber noch kein Wort gesprochen hatte.

Zu welcher Form von Antipathie die IG Metall fähig ist, führte sie ebenfalls vor. Am Montag gab es eine Debatte, was nach den neulich gescheiterten Verhandlungen mit den Arbeitgebern zur Einführung der 35-Stunden-Woche zu tun ist. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall heißt Oliver Zander. Also hielt ein Redner aus Zwickau es für eine Idee, dies zu sagen: "Ich bin Angler und weiß, was man mit einem Zander macht." Am Dienstag verwendete eine Rednerin für Arbeitgeber die Bezeichnung "Feind", als sie fertig war, bekam sie Standing Ovations. Das Publikum hielt in beiden Fällen heftigen Applaus für die angemessene Reaktion; niemand hielt es für eine gute Idee, dazwischenzugehen. Der Tagungsleiter sagte: "Liebe Hertha, danke für die klare Kante."

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: