Erziehung:Wischen und lernen

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Hrach, 6, und Martha, 4, drehen mit dem Tablet einen Igel-Film in „Stop Motion“. Umweltpädagogin Julia Fritzemeyer zeigt den beiden Kindergartenkindern, wie es geht. (Foto: Robert Haas)

Sollen Kindergarten­kinder wirklich schon mit Tablets hantieren? Die Caritas macht damit gute Erfahrungen, gerade bei schwierigeren Aufgaben erhöhen die Geräte die Lernbereitschaft. Nun wird der Versuch ausgeweitet

Von Jakob Wetzel

Der kleine Igel hat viel zu tun. Es ist Herbst, bis zum Winterschlaf ist es nicht mehr lange hin, vorher aber muss er noch ein Nest bauen. "Der Igel sammelt jetzt seine Blätter ein", sagt der sechsjährige Hrach. Wohin er sie bringt? "Nach Hause natürlich!" Und Hrach und die anderen Kinder in der Marienkäfer-Gruppe helfen ihm dabei.

Die Mädchen und Buben im Kindergarten St. Josef der katholischen Caritas am Luitpoldpark drehen an diesem Dienstagvormittag einen Film. Der Igel ist kein echtes Tier, sondern eine Kastanie mit aufgeklebten Augen aus Ton. Vor ihm liegen auf einem Tisch Ahornblätter bereit. Martha, 4, darf den Igel jetzt über die Blätter schieben, Schritt für Schritt. Umweltpädagogin Julia Fritzemeyer leitet die Kinder an. Und Yusuf, 6, darf die Kommandos geben, er ruft immer wieder "Foto". Dann drückt Martha auf das Display eines Tablets. Nachher, wenn sie die einzelnen Bilder zusammenfügen, wird es so aussehen, als würde der Igel selbständig viele Blätter zu einem Haufen zusammenschieben. Es geht rasch voran, die Kinder sind geübt. Nur einmal, ganz kurz, wird später auch eine Kinderhand zu sehen sein.

Gemeinsam kreativ sein, und eine Pädagogin steht daneben: So wie bei diesem Filmprojekt will die Caritas bereits Vier- bis Sechsjährigen den Umgang mit digitalen Medien beibringen. Am Dienstag hat der Verband sein Konzept vorgestellt. Die Digitalisierung biete Chancen, berge aber auch Risiken, davor verschließe sich die Caritas nicht, sagt Direktor Georg Falterbaum. Kinder hätten nicht zuletzt ein gesetzlich verbrieftes Recht auf digitale Bildung. Und neun von zehn Kindergartenkindern hätten zu Hause längst Zugang zu digitalen Medien. "Wenn die Kinder zu uns kommen, haben sie schon einen großen Erfahrungsschatz", sagte Falterbaum. Sie müssten lernen, die Geräte mündig und sinnvoll zu nutzen. Derzeit laufe die Pilotphase, zwölf der 60 Kindergärten des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising setzten bereits Tablets ein. Nach und nach wolle man das ausweiten, freilich stets in Rücksprache mit den Eltern.

Mit deren Bedenken werde sie immer wieder konfrontiert, versichert die Caritas: allen voran mit der Furcht, dass die Kinder lieber in einen Bildschirm starren anstatt sich zu bewegen, dass sie süchtig werden nach den digitalen Medien. Es kämen aber auch Fragen auf, welche Apps Kinder nutzen dürfen, oder wie lange sie überhaupt vor Smartphone oder Tablet sitzen sollten.

Im Kindergarten St. Josef ist das überschaubar. Es gehe um Blöcke von 15 bis 20 Minuten, erklärt Claudia Weiß, die zuständige Fachdienstleiterin der Caritas. Dabei seien die Kinder nie alleine mit den Geräten, sondern würden stets medienpädagogisch angeleitet. Die Kindergärten würden versuchen, die digitale Welt mit der analogen Umwelt der Kinder zu verbinden, sie sollten nicht nur konsumieren, sondern selber aktiv werden. Für die ganze Kindergartengruppe gibt es ohnehin nur zwei Geräte. Damit die anderen Kinder verfolgen können, was passiert, wird die Anzeige per Beamer an eine Wand geworfen.

Der Kindergarten mit seinen 120 Kindern hat vor etwa einem Jahr seine ersten beiden Tablets erhalten. Kita-Leiterin Julia Staufer schwärmt von den Geräten. "Sie sind bei uns kein Spielzeug, sondern Werkzeuge", sagt sie. Immer wieder gebe es Projekte. Die Tablets würden es den Erzieherinnen zudem erleichtern, mit ausländischen Kindern Deutsch zu üben. Bilderbücher würden sie auch verwenden, aber gerade bei schwierigeren Aufgaben, wenn es etwa um Singular und Plural gehe oder um die richtigen Artikel, sei die Lernmotivation der Kinder mit Tablet erheblich höher. Und derzeit sei ein Kind in der Einrichtung, das kommuniziere in Gebärdensprache. Auch hier könne das Tablet helfen.

Die Pädagoginnen nehmen die Tablets zudem zum Beispiel in den Garten und zu Ausflügen mit. Dann können sie vor Ort Vögel bestimmen oder auch recherchieren, welche Laute bestimmte Tiere von sich geben. Oder sie machen schlicht Fotos. In der Vergangenheit hätten sie dazu Digitalkameras verwendet, sagt Staufer. Mit dem Tablet gehe das aber einfacher und schneller. Und das Display sei so groß, dass mehrere Kinder gleichzeitig draufsehen und mit dem Gerät hantieren können.

Die Kindergärten der Caritas sind nicht die einzigen, die auf Medienpädagogik setzen; die Stadt etwa, der größte Kita-Träger in München, teilt mit, alleine sechs Einrichtungen seien Teil eines Medienkompetenz-Modellversuchs des Freistaats, und insgesamt etwa 80 Kitas seien mit Tablets ausgestattet. In naher Zukunft würden weitere hinzukommen.

Mit den Geräten freilich ist es nicht getan. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden vorab geschult, unter anderem in Medienpädagogik und Medienrecht, erklärt Staufer. Das kostet Zeit und Geld - und gerade finanziell würde sich die Caritas mehr Unterstützung wünschen. Wenn politisch ein Anspruch auf digitale Bildung formuliert wird, wäre auch eine entsprechende Förderung wünschenswert, sagt Falterbaum. Ein Gerät koste 350 Euro, dazu kämen 2500 Euro für weitere Technik und um alles einzurichten sowie laufende Kosten für das Internet und neue Geräte.

Immerhin: Tablets seien stabiler als etwa Digitalkameras, sagt Julia Staufer. Anders als eine Kamera könne man den Kindern ein Tablet ohne Bedenken in die Hand drücken. Die Geräte haben ein verstärktes Display und eine Hülle aus Moosgummi. "Bis jetzt hat das immer gehalten."

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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