Underdox-Festival:Licht, das aus den Bildern kriecht

Film

Der Regisseur und sein Kameramann drehten im Haus ihrer Protagonisten, ließen ihr Equipment dort und verwandelten es in ein Studio.

(Foto: Underdox)

Mit Pedro Costas grandiosem Locarno-Gewinner "Vitalina Varela" startet das Münchner Underdox-Festival.

Von Fritz Göttler

Dein Haus ist ein armseliger Job, murmelt die alte Vitalina, Fenster wie Abflussgitter, dauernd stoße ich mir den Kopf an diesen Scheißtüren. Sie spricht zu ihrem Mann, der sie verlassen hat, abgehauen ist aus Kap Verde, dem Inselstaat vor der Küste Afrikas, einst portugiesische Kolonie, nach Portugal, dort geblieben und gestorben ist.

Ein Dealer, ein Gangster. Eines Tages ist Vitalina losgezogen, ihn zu suchen und in tiefer Nacht in Lissabon angekommen. Zu spät, wird ihr am Flugplatz bedeutet, der Mann sei vor drei Tagen gestorben.

Man kennt Vitalina Varela, die Titelheldin des neuen Films von Pedro Costa schon aus seinem vorigen Film, "Horse Money". "Vitalina Varela" hat diesen Sommer beim Filmfestival in Locarno den Goldenen Leoparden gewonnen, an diesem Donnerstag eröffnet er in München das Underdox-Festival im Werkstattkino, Filmmuseum, Theatiner, das bis zum kommenden Mittwoch dauern wird.

Pedro Costa macht die schwärzesten Zombiefilme, aber andersherum als die aus Amerika. Seine Filme sind bevölkert von geisterhaft wandelnden Figuren, die gedrückt vom Erbe der Kolonialzeit, nicht zurechtkommen mit der Unabhängigkeit.

Man muss die Filme, die Pedro Costa im Viertel Fontainhas drehte, eigentlich hintereinander sehen, schwere Renaissancetableaus, in Bewegung gesetzt im Geist der Zombiefilme von Jacques Tourneur, "I Walked with a Zombie" und "Leopard Man".

Ein Programm, das keine Grenzen und keine Vorgaben kennt

Man muss erleben, wie, von Film zu Film, das Licht sich aus den Gassen und Zimmern zurückzieht und undurchdringliche Schwärze zurücklässt - ist das die natürliche Bewegung des Kinos? Eine Bewegung, der das Underdox-Festival auch diesmal sorgfältig und liebevoll nachspürt, in einem Programm, das keine Grenzen und keine Vorgaben kennt. Schon gar nicht die öde Unterscheidung zwischen Experiment, Fiktion, Dokument.

"From Tomorrow on I Will" von Wu Linfeng und Ivan Marković hat eine simple "Ich bei Tag und du bei Nacht"-Story, aber eigentlich bestimmt der Puls von Peking den Film. "The Load - Teret" von Ognjen Glavonić erzählt vom Lastwagenfahrer Vlada, der sich 1999 durch den Krieg vom Kosovo nach Belgrad durchschlägt, und in jedem Moment macht man aufregende Erfahrungen, wie Menschen sich in solch unsicherem Raum bewegen. Bruno Dumont aktiviert in "Jeanne" den Prozess der alten geistlichen Männer gegen Jeanne d'Arc, mit Popmusik und der tollen Lise Leplat Prudhomme.

Pedro Costa drehte seinen neuen Film im Haus von Vitalina, sie blickt also auf ihren eigenen Spiegel, ihre Wand, ihr Fenster. Aber: Costa und sein Kameramann ließen Stative und Scheinwerfer über Nacht im Haus, monatelang lebte Vitalina also in einem Studio. Ein Studio ist auch ein Gefängnis, räsoniert Pedro Costa, das meint er im kreativen Sinne - die Americanos wären sehr weit damit gekommen, dass sie ihre Stars in ihre Studios packten und abschirmten von der Wirklichkeit.

Im Underdox findet alles mögliche zusammen, von Film zu Film, oder auch in einem einzigen, und hier bildet die Filmgeschichte sich selbst immer wieder ab. Man muss einfach hinschauen, hat Godard mal gesagt, der im letzten Jahr den Underdox-Eröffnungsfilm lieferte, "Le livre d'image", "dann würde man ganz bestimmt etwas sehen ... Das wäre Arbeit. Man bedient sich der Augen aber lieber zum Vergnügen als zum Arbeiten."

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