Hörenswert:Mozarts Schatten

Keine Filmmusik, trotz Preis: Enjott Schneiders jüngste CD

Von Egbert Tholl

Enjott Schneider, geboren 1950, lebt in der Münchner Au, schrieb bislang mehr als 600 Filmmusiken, darunter die für "Schlafes Bruder", "Herbstmilch" oder "Stauffenberg". Bis 2012 war er als Kompositionsprofessor an der Münchner Musikhochschule tätig, er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, vor drei Tagen mit dem Ehrenpreis des Deutschen Filmmusikpreises. Schneider schrieb weit mehr als Musik für den Film, er schrieb Opern, geistliche Werke und ziemlich geistreiche Sachen, von denen vier gerade auf CD herausgekommen sind, in Ersteinspielung durch die Jenaer Philharmonie unter ihrem Generalmusikdirektor Simon Gaudenz.

Das längste Stück auf der bei Wergo erschienenen CD mit dem Titel "Mozart & Beethoven meeting Yin & Yang" heißt "Mozart Ascending" und geht aus von dem Fragment gebliebenen Oboenkonzert Mozarts KV 293. Wobei: Bevor Mozarts Musik hier zum ersten Mal in unverbrüchlicher Schönheit (Solopart: Juliana Koch) erklingt, gibt es einen Satz lang eine eher dunkel gehaltene Annäherung. Dann erklingt reiner Mozart, dann folgen zwei Sätze, in denen immer wieder Derivate von Mozarts Konzert auftauchen, teilweise zitiert, teilweise schattenhaft amalgiert. Schneider interessiert hier Mozarts Zerrissenheit, das schwierige Verhältnis zum lange übermächtigen Vater, eben das Dunkle. Dieses breitet sich besonders im Jahr 1778 aus: Nach dem Bruch mit dem Salzburger Erzbischof, reist Mozart ohne Vater, aber begleitet von seiner Mutter nach Paris. Der berufliche Erfolg bleibt aus, die Mutter stirbt, das Oboenkonzert bleibt Fragment.

Ganz selten denkt man beim Hören dieser CD an Enjott Schneiders Filmmusiken, am ehesten noch bei "Yin & Yang" für Sheng und Orchester. Sheng ist eine chinesische Mundorgel, sie ist wichtig in der traditionellen Musik, wird von Schneider hier aber auch als Bindeglied zwischen Ost und West verwendet, das ist ja dann vielleicht auch eine Interpretation von Yin und Yang. Mal führt ihr Klang das Orchester in die Gefilde, die wir uns als die eines traditionellen chinesischen Klangs vorstellen, der Musiker Wu Wei tritt solistisch hervor, geht weit über die Tradition hinaus, mal ist sie die Idee eines westlichen Blasinstruments. Nur anders. Der Sonnenaufgang bleibt.

Überbordend der Einstieg in diese Ausnahmen, "Raptus. Die Freiheit des Beethoven". Beethoven war Spezialist in Sachen Freiheit, Schneider nimmt sie sich. Erst widmet er idealistischen oder heroischen Stücken wie den Symphonien 3, 5 und 9, die wörtlich, zerstückelt, aufgeraut oder klanglich intensiviert auftauchen - ziemlich wild und aufregend. Dann kommt ein großes Innehalten, das unter anderem mit Material aus dem späten Streichquartett op. 132 in eine klanglich betörend schöne, an eine Heiligkeit wie etwa bei Gustav Mahler gemahnende Transzendenz weitergeführt wird. "Wir irren allesamt, nur jeder irret anderst." Das diktiert Beethoven im Dezember 1826. Schneider zitiert es genüsslich im Booklet. Und endet dieses Stück mit der Wiederkehr eines variierten Kampfes. Um alles.

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