Flüchtlinge in Bayern:Wenn ein Kreuz Lebensgefahr bedeutet

Flüchtlinge in Bayern: Dieses Tattoo weist den Träger als gläubigen Christen aus - in Afghanistan womöglich ein Grund, ihn zu töten.

Dieses Tattoo weist den Träger als gläubigen Christen aus - in Afghanistan womöglich ein Grund, ihn zu töten.

(Foto: oh)

Ein abgelehnter Asylbewerber aus Schwaben ist in letzter Minute der Abschiebung nach Afghanistan entgangen. Der Mann gibt an, er sei zum Christentum konvertiert. Flüchtlingshelfer sind erleichtert, die Behörden wollen den Fall neu prüfen.

Von Dietrich Mittler

Farid Qassemi (Name geändert) kann sein Glück noch gar nicht fassen. Vor wenigen Tagen schien alles darauf hinzudeuten, dass auch er am Dienstagabend mit dem Flugzeug in die afghanische Hauptstadt Kabul abgeschoben wird. Andere, die mit ihm in Eichstätt in Abschiebehaft saßen, wurden nicht verschont. Darunter auch ein junger Mann, dessen deutsche Partnerin in wenigen Monaten ein Kind von ihm erwartet. "Es war ein Wettlauf mit der Zeit", sagt Dieter Müller vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst, der die Männer regelmäßig in der Abschiebehaftanstalt besucht hatte.

Qassemi war ihm da aufgefallen: "Ein einfacher Mensch", sagt er, "der mir verhalten mitteilte, dass er getaufter Christ sei, konvertiert vom Islam." Und damit nicht genug: Er zeigte Müller auch noch ein Kreuz, das er sich auf den Arm hatte tätowieren lassen. Darunter ein Buchstaben-Code, der ihn als gläubigen Christen aus Afghanistan ausweist.

In seiner Heimat hätte das womöglich für ihn den Tod bedeutet, zumal die Sicherheitslage dort ohnehin prekär ist: Zwischen Januar und Juni wurden in Qassemis Herkunftsland nach Angaben der Vereinten Nationen 1366 Zivilisten getötet.

Dass der 22-Jährige in Afghanistan mit dem Schlimmsten hätte rechnen müssen, liegt aus Sicht von Stephan Theo Reichel auf der Hand. Der Kurator und Geschäftsführer des Vereins "matteo - Kirche und Asyl" hatte gleichermaßen an Kardinal Reinhard Marx und an den evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm appelliert, sich für Qassemi einzusetzen. In seinen Mails hob er stets hervor: "Er trägt ein Kreuz-Tattoo auf dem Unterarm, was ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan das Leben kosten kann."

Derzeit rätseln Flüchtlingshelfer noch über die Gründe, die Qassemi vor einer Abschiebung bewahrt haben. War es etwa eine politische Entscheidung, um den Eindruck zu vermeiden, Bayern habe einen Christen in Lebensgefahr gebracht? Das Landesamt für Asyl und Rückführungen weist solche Vermutungen zurück: "In diesem speziellen Einzelfall wurden kurzfristig über Eingaben und Petitionen neue, bislang nicht zugelieferte Informationen zur Person des Afghanen übermittelt. Um deren inhaltliche Prüfung zu ermöglichen, wurde der Vollzug der Ausreisepflicht kurzfristig zurückgestellt." Wie viele solcher Fälle es in Bayern gibt, wird laut Landesamt nicht erfasst.

Es gab bereits "konkrete Morddrohungen"

Hat der Mann aus Afghanistan seinen Arm womöglich nur tätowiert, um einer Abschiebung zu entgehen? Martin Straub, der Priester, der Farid Qassemi im schwäbischen Vöhringen "nach einer einjährigen Prüfung und Vorbereitung" getauft hatte, berichtete in einem Brief an Innenminister Joachim Herrmann (CSU) davon, dass es hier bereits "konkrete Morddrohungen" gab, als afghanische Landsleute in der Asylunterkunft von Qassemis Kontakten zur christlichen Gemeinde erfuhren. Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat beschreibt das Problem so: "Zunächst wissen davon nur drei Afghanen, am Tag darauf durch Facebook aber schon 300."

Sowohl im Asylverfahren als auch vor dem Verwaltungsgericht Augsburg wurde es Qassemi jedoch nicht geglaubt, dass er zum Christentum konvertiert sei. "Es wird in solchen Fällen unterstellt, dass dies einfach eine Schutzbehauptung sei, um der drohenden Abschiebung zu entkommen", sagt Dünnwald. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) heißt es dazu: "Die Konversion eines Asylbewerbers wird im Asylverfahren selbstverständlich berücksichtigt." Eine Taufbescheinigung bestätige zwar, dass ein Glaubensübertritt stattgefunden hat. Aber: "Sie sagt nichts darüber aus, wie der Antragsteller seinen neuen Glauben bei Rückkehr in sein Heimatland voraussichtlich leben wird und welche Gefahren sich hieraus ergeben."

Das zu klären sei stets Bestandteil der persönlichen Anhörung. Dabei gehe es letztlich darum, "ob der Glaubenswechsel des Antragsstellers aus asyltaktischen Gründen oder aus echter Überzeugung erfolgt ist". Pfarrer Straub erschüttern solche Worte: "Ich habe als Priester Gewissheit darüber gewonnen, dass er ehrlichen Herzens den christlichen Glauben angenommen hat."

"Es geht mir gut", ließ Qassemi am Mittwoch über Dieter Müller mitteilen. Nach seiner überraschenden Entlassung aus der Abschiebehaft ist er nun voll mit Behördengängen beschäftigt. Bei seinen Unterstützern ist die Erleichterung groß. "Wir freuen uns natürlich sehr", sagte Müller. Auch beim Bayerischen Flüchtlingsrat wurde die Meldung von Qassemis Freilassung mit Genugtuung aufgenommen.

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