Terror in Halle:Braune Pest

Demonstration von rechtsextremen Gruppen

Eine Demonstration von rechtsextremen Gruppen.

(Foto: dpa)

Deutschland hat ein massives Problem mit dem Rechtsextremismus. Der Kampf gegen diese wachsende Gefahr müsste auf der politischen Agenda eigentlich ganz oben stehen - tut er aber nicht.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Nein, was Terror wie der von Halle nach sich zieht, überrascht nicht. Es ist ritualisiert. Und doch muss es sein. Der Bundespräsident, der Innenminister, der Ministerpräsident, die, neben anderen, an den Ort des Geschehens reisen und dort ihre Bestürzung über den antisemitischen Anschlag, ihre Trauer um die Opfer und ihre Solidarität mit den Juden ausdrücken; ungezählte Bekundungen von Trauer und Entsetzen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie man sie so oder so ähnlich zwar schon oft gehört hat, was aber in so einem Moment keine Rolle spielen sollte. Mahnwachen und andere Veranstaltungen, die nicht originell sein mögen, aber unerlässlich sind, um zu demonstrieren: Wir fühlen mit denen, die diese Tat getroffen hat, und mit denen, die sie treffen sollte; wir stellen uns denen entgegen, die im Namen einer verbrecherischen Ideologie Menschen angreifen - in diesem Fall wegen ihrer Religion, in anderen Fällen wegen ihrer Herkunft oder sexuellen Orientierung; und: Wir sind viele.

Der Kampf gegen die Gefahr von rechts muss ganz oben auf die Agenda

Allerdings, so richtig und wichtig das alles ist: Es kann nicht vergessen machen, dass es Umstände gibt, die die Schande von Halle begünstigt haben. Umstände, die nicht schicksalhaft sind, sondern die Menschen verantworten - darunter auch solche, deren Aufgabe es gewesen wäre, diesen Umständen entgegenzuwirken. Da ist zunächst eine Synagoge, vor der ausgerechnet an Jom Kippur kein einziger Polizist steht. Schlimm genug, dass der Attentäter die Besucher des Gottesdienstes in Todesangst versetzen konnte. Nicht auszumalen, was geschehen wäre, wenn Stephan B. es geschafft hätte, in die Synagoge einzudringen und den Sprengstoff, den er dabeihatte, zur Explosion zu bringen.

Da ist aber auch der jahrzehntelange sträflich lasche Umgang von Behörden und Politik mit dem Rechtsextremismus, mit Antisemitismus und Rassismus. So aufmerksam einzelne Verfassungsschützer, Polizisten, Staatsanwälte, Abgeordnete oder Minister auch waren: Im Schnitt wollten die zuständigen Institutionen und Personen nicht wahrhaben, wie massiv das Problem dieses Landes mit der braunen Pest ist.

Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden schauten nur selten nach Rechts

Wenn Einwanderer aus dem Nahen Osten Kippa tragende Männer angegriffen, jüdische Einrichtungen geschändet oder antisemitische Parolen gebrüllt haben, so rief das viele Politiker auf den Plan, die das, völlig zu Recht, scharf verurteilten. Die judenfeindlichen Umtriebe von Deutschen in Springerstiefeln oder feinem Tuch lösten zu Unrecht kein auch nur annähernd vergleichbares Echo aus.

Aus gutem Grund nahmen Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden militante Linksextremisten oder gewaltbereite Islamisten ins Visier. Und ohne jede Rechtfertigung schauten sie nur selten und wenn, dann flüchtig nach rechts. Das erlaubte es dem NSU über Jahre, ungehindert zu morden. Das wiegte Rassisten in Sicherheit, die Menschen mit ausländischen Wurzeln oder Juden drangsalierten. Das ermutigte wahrscheinlich auch den Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den Attentäter von Halle.

Schon richtig, seit einiger Zeit steuern dieser Staat und seine Institutionen etwas um. Der Verfassungsschutz beispielsweise stockt das Personal für die Beobachtung der rechtsextremistischen Szene auf. Die Politik arbeitet an Maßnahmen gegen den Unrat, der aus dem Netz quillt.

Der Kampf gegen rechts müsste auf der politischen Agenda ganz oben stehen

Aber diese und andere Schritte in die richtige Richtung kommen spät und langsam. Und sie kontrastieren mit Phänomenen, die den Eindruck erwecken: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus hat noch immer nicht die Bedeutung, die er haben müsste. Verhielte es sich anders, dann hätte etwa das Gericht im NSU-Prozess die Spießgesellen der Mörder nicht so leicht davonkommen lassen; dann wäre ein Hans-Georg Maaßen, der braune Umtriebe in Chemnitz verharmloste, nicht bis vor einem Jahr Verfassungsschutzpräsident gewesen; und dann würden nicht so viele Protagonisten in den Sicherheitsbehörden und in der Politik so oft betonen, dass es sich bei Mördern wie Stephan B. um Einzeltäter handelt.

Auch wenn nur er es war, der geschossen hat: Der Attentäter von Halle kann sich eingesponnen fühlen in ein internationales Netz von Rechtsextremisten, die anonyme Foren für ihre antisemitische, rassistische, frauenverachtende Propaganda nutzen. Der Kampf gegen diese wachsende Gefahr müsste auf der politischen Agenda eigentlich ganz oben stehen - tut er aber leider nicht. Bestätigt, ja angefeuert gefühlt hat sich Stephan B. allerdings sicher nicht nur von anderen zum Terror bereiten, verdeckt agierenden Faschisten rund um den Globus. Bestätigt haben ihn wohl auch die Angst und Hass schürenden Worte mancher Politiker vor allem in der Flüchtlingsdebatte. Angefeuert hat ihn gewiss ebenso die Hetze gegen Juden und Migranten, die ungezählte ansonsten unauffällige Bürger Tag für Tag ins Netz kippen. Ob der Terror von Halle zumindest einem Teil von ihnen einen heilsamen Schrecken einjagt? Sicher ist das leider nicht.

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