Internationale Diplomatie:Indisch-chinesische Flitterwochen

Internationale Diplomatie: Als Willkommensgruß tragen indische Schulkinder in Chennai die Maske von Chinas Staatschef Xi Jinping. Pekings starker Mann trifft dort Indiens Premierminister Narendra Modi.

Als Willkommensgruß tragen indische Schulkinder in Chennai die Maske von Chinas Staatschef Xi Jinping. Pekings starker Mann trifft dort Indiens Premierminister Narendra Modi.

(Foto: R. Parthibhan/AP)

Die beiden größten Mächte Asiens suchen bei einem Treffen den Ausgleich - trotz zahlreicher Konflikte.

Von Lea Deuber und Arne Perras, Peking/Singapur

Wenn die Wahl des Tagungsorts auch eine Botschaft liefern soll, bietet Mamallapuram eine vielsagende Kulisse für den sogenannten "informellen Gipfel" zwischen Indien und China. Der Tempel im Südosten Indiens erzählt vom versunkenen Tamilenreich Pallava. Dessen Hafen florierte bis ins 9. Jahrhundert, gespeist von maritimen Handelsrouten, die bis nach China führten. Archäologen haben Spuren solch alter Verbindungen gefunden, sie reichen mindestens 2000 Jahre zurück. Umso mehr könnte es ein heilsamer Moment sein, wenn sich zwei Staatsmänner - Indiens Regierungschef Narendra Modi und Chinas Staatschef Xi Jinping - vor dem Hintergrund ihrer reichlich verkrampften Beziehungen daran erinnern können, wie alles einmal angefangen hat?

Das klingt nach indisch-chinesischen Flitterwochen. Für historische Verklärung lässt Mamallapuram jedenfalls Raum. Atmosphärisch könnte die Beschwörung alter Bande daher von Nutzen sein, wo sich aktuell doch einige Irritationen gezeigt haben zwischen Delhi und Peking. Und keine der beiden Seiten hat ein Interesse daran, dass diese in offenen Streit umschlagen.

Der indisch-pakistanische Dauerstreit um Kaschmir belastet die Beziehungen

Reden wollten Modi und Xi vor allem über Handel und Terrorbekämpfung, wie es in Indien hieß. Nervosität in Delhi blieb im Vorfeld des Treffens nicht verborgen, was vor allem an der aktuellen Krise um die geteilte Himalaja-Region Kaschmir lag. Drei asiatische Atommächte - Indien, Pakistan und China - sind dort in einen komplizierten Konflikt um Einfluss und Territorien verstrickt. Alle drei Länder kontrollieren jeweils einen Teil von Kaschmir; Delhi hat den Jahrzehnte alten Status quo aber jüngst heftig erschüttert: Anfang August entzog Indien der strategisch wichtigen Gebirgsregion unerwartet den autonomen Sonderstatus. Der Staat ließ das Internet und den Mobilfunk abschalten, Tausende Kaschmirer wurden verhaftet, zudem Ausgangssperren verhängt, um Unruhen vorzubeugen.

Damit bringt Delhi nicht nur die lokale muslimische Bevölkerung gegen sich auf, sondern verschärft auch die Frontstellung gegenüber dem Rivalen Pakistan. Indien fürchtet nun, dass Islamabad mit der Großmacht China als langjährigem Verbündeten im Rücken stärkeres Gewicht auf der internationalen Bühne entwickelt, um Delhi anzuprangern. Einen Vorgeschmack darauf gab es im August, als es Pakistan mit Hilfe Pekings gelang, Kaschmir erstmals seit vielen Jahren wieder auf die Agenda des UN-Sicherheitsrats zu setzen. Solch einen diplomatischen Triumph will Delhi dem Nachbarn nicht ein weiteres Mal gönnen. Auch der Satz des chinesischen UN-Botschafters Zhang Jun nach dem Treffen dürfte in Delhi nicht vergessen worden sein. "Was betont werden sollte, ist, dass Indiens Handlungen auch Chinas Souveränität in Frage gestellt und ein bilaterales Abkommen verletzt haben."

Derzeit ist Pakistans Premier Imran Khan in Peking zu Besuch, zum dritten Mal in diesem Jahr. China ist inzwischen der wichtigste Verbündete der Pakistaner, was Indien beunruhigt. Und so reagierte Delhi dünnhäutig auf eine gemeinsame Erklärung Pekings und Islamabads, in der auf diverse UN-Resolutionen zur Beilegung des Kaschmirkonflikts verwiesen wird. Die Kritik an Indien war darin kaum versteckt: "China ist gegen alle unilateralen Aktionen, die die Lage komplizieren", hieß es. Delhi sah sich umgehend zu einer Reaktion gezwungen: "Es steht anderen Ländern nicht an, die inneren Angelegenheiten Indiens zu kommentieren."

Delhi betrachtet die Allianz zwischen Islamabad und Peking als strategische Bedrohung. Dazu trägt auch Chinas Vorstoß bis zur Küste der arabischen See bei, für den Pakistan im Zuge des chinesischen Projekts einer "Neuen Seidenstraße" den Weg freigemacht hat. Xi lässt quer durch Pakistan einen ökonomischen Korridor bauen, der den Südwesten der Volksrepublik mit dem Indischen Ozean verbindet und als einer der wichtigsten Stränge der "Neuen Seidenstraße" gilt, die als globale Expansionsstrategie Chinas gilt.

Indien hat diese Politik immer wieder als Angriff auf seine Souveränität bezeichnet und eine Zusammenarbeit verweigert. In Indien schürt Pekings aggressives Vorgehen Einkreisungsängste, die durch chinesische Aktivitäten in der Nachbarschaft - in Sri Lanka, den Malediven, Bangladesch und Myanmar - zusätzlich verstärkt werden. Peking baut Flughäfen, Zugstrecken und Pipelines quer durch Asien. Häfen am Indischen Ozean könnten später auch für die Marine ausgebaut und von China genutzt werden. Indien hätte strategisch das Nachsehen: Der Indische Ozean ist von überragender Bedeutung, fast zwei Drittel des weltweit gehandelten Öls werden über diese Gewässer verschifft, 20 Millionen Container passieren sie pro Jahr.

Trotz des Streits um Kaschmir erweckt China aber nicht den Eindruck, als suche es die offene Konfrontation. Peking steht selbst unter Druck. Die andauernden Proteste in der südchinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong, die sich abkühlende Konjunktur und der Handelsstreit mit den USA zwingen die Regierung, sich nach Verbündeten umzuschauen. Eine Eskalation mit Indien, wegen Kaschmirs oder wegen des umstrittenen Grenzverlaufs im Himalaja, käme mehr als ungelegen.

Darum bemüht sich China, die indischen Sorgen über seine Investitionen in Pakistan zu zerstreuen. Mehr als 60 Milliarden Dollar will Peking langfristig für den Bau des Wirtschaftskorridors in dem Land bereitstellen. Eine militärische Eskalation zwischen Indien und Pakistan, die das Projekt gefährden würde, liegt daher nicht in Chinas Interesse. Und so war zuletzt zu beobachten, dass Peking trotz aller Irritationen versucht, sowohl auf Delhi als auch auf Islamabad mäßigend einzuwirken.

Jenseits der vielen Reibungspunkte erkennen Premier Modi und Präsident Xi, die sich nun zum "informellen Gipfel" treffen, den Nutzen einer breiten Kooperation. US-Präsident Donald Trump mit seiner oft erratischen Politik dürfte sie in dieser Überzeugung bestärken. Allerdings sorgt man sich in Indien auch, dass die chinesische Umarmung nicht nur strategisch, sondern auch ökonomisch erdrückend sein könnte. Immerhin aber war Indiens Handelsdefizit mit China zuletzt deutlich geschrumpft. Es lag im vergangenen Fiskaljahr aber immer noch bei 53 Milliarden US-Dollar.

Von der einstigen Euphorie der regierenden Hindu-Nationalisten, Indien könne ökonomisch rasch zu China aufschließen und den Rivalen schließlich überholen, ist angesichts der Tristesse am indischen Arbeitsmarkt und der lahmenden Wirtschaft nicht viel geblieben. Stattdessen zerpflücken Kolumnisten in Delhi nun jeden ökonomischen Indikator, der zeigt, wie sehr Indien hinterherhinkt. Was umso schmerzlicher wirkt, als auch China deutlich langsamer wächst als in seinen Boomjahren.

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