Autonomie der Kunst:Was, wenn Handke Massaker an Schweden relativiert hätte?

SERBIA MILOSEVIC FUNERAL

18. März 2006: Peter Handke nimmt an der Beerdigung von Slobodan Milošević teil.

(Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRES)

Autor und Werk müssen getrennt betrachtet werden. Diese Ambition stößt im Fall Peter Handke an ihre Grenzen - spätestens bei den Opfern der von ihm in Schutz genommenen Kriegsverbrecher.

Von Felix Stephan

Nachdem die Schwedische Akademie im vergangenen Jahr an einer Affäre zerbrochen war, die unter anderem Vergewaltigung, Korruption und Nepotismus zum Gegenstand hatte, gab es gewisse Hoffnungen, dass sie in erneuerter Form wieder auferstehen würde. Der britische Guardian zum Beispiel äußerte die Hoffnung, dass die Akademie nach ihrer einjährigen Pause aufhören würde, "kontroverse Haltungen mit intellektueller Strenge" zu verwechseln, und stattdessen Autoren auszuwählen, "die sowohl für ihre Arbeit als auch für ihre Politik Lob verdient haben."

Diese Erwartung musste natürlich enttäuscht werden. Sobald die politische Haltung nominierter Künstler bei der Preisvergabe zum Kriterium wird, riskiert die Kunst ihre Daseinsgrundlage: ihre Autonomie. Ohne die Möglichkeit, Kunstwerke rein ästhetisch und damit zwangsläufig amoralisch zu betrachten, stünde die Tür für jede Art von moralischem Rigorismus weit offen. Die Trennung zwischen Autor und Werk ist ein bürgerliches Instrument, das Künstler vor politischer Verfolgung schützt und einen Raum herstellt, in dem Dinge gesagt werden können, die eine Gesellschaft vielleicht nicht hören will, die sie aber möglicherweise hören sollte, ohne dass der Autor unmittelbar haftbar gemacht werden kann.

In diesem Sinne ließe sich Entscheidung der Schwedischen Akademie als Verteidigung dieser Trennung lesen. Die nationalistische Regierung in Polen hätte Olga Tokarczuk nicht ausgezeichnet, schließlich ist sie eine beharrliche Kritikern eines homogenen Polen-Bildes. Und die westliche, liberale Internationale hätte Peter Handke nicht ausgezeichnet, schließlich hat er sich im jugoslawischen Bürgerkrieg auf die Seite der Serben geschlagen. Die schwedische Akademie zeichnet trotzdem demonstrativ beide aus: für ihr Werk.

Keine Nebensache, wenn man selbst betroffen ist

Allein: Die Grenze zwischen Autor und Werk ist natürlich nur eine Ambition. Es wäre zum Beispiel kaum vorstellbar, dass etwa eine Jury, die zur Hälfte aus Juden besteht, Louis Ferdinand Céline für sein Meisterwerk "Reise ans Ende der Nacht" auch dann noch ausgezeichnet hätte, als er sich in späteren Jahren längst zu einem beinharten Antisemiten und Vichy-Kollaborateur entwickelt hatte, der den Abtransport französischer Juden nach Auschwitz mindestens billigte. Wenn Künstler außerhalb ihres Werkes Kriegsverbrechen relativieren, tolerieren, moderieren, dann tut sich das sehr viel schlechter als außerliterarische Nebensache ab, wenn man selbst betroffen ist.

Wie sollen die Bosniaken, deren Nachbarn und Verwandte in Srebrenica oder Višegrad den serbischen Genoziden zu Tausenden zum Opfer gefallen sind, die Entscheidung der Schwedischen Akademie anders verstehen, als: Eure tausend Tode, eure Vertreibung, euer Leben im Exil ist uns letztlich nicht ganz so wichtig wie die Autonomie der Prosa Peter Handkes? Man darf nicht vergessen: In Handkes Fall geht es für viele nicht zuerst um abstrakte Größen wie Meinungsfreiheit oder Kunstautonomie. Sondern erst einmal um Kinder, Frauen, Männer, die erschossen in Hauseingängen liegen, und einen Schriftsteller, der diese Verbrechen erst jahrelang bemäntelt, bevor er später in mehreren Zeitungen Abbitte leistet.

Hätte Handke den Preis auch bekommen, wenn der Genozid an den Schweden begangen worden wäre? Und wenn nicht: Was würde das bedeuten? Laut dem Testament seines Stifters soll der Nobelpreis "das Herausragende in idealistischer Richtung" auszeichnen. Aus der Sicht der Bosniaken dürfte Handkes Werk dieses zentrale Kriterium kaum erfüllen. Viele von ihnen leben heute in Deutschland, Frankreich, auch Schweden, und ihre Erfahrungen könnten eine verfahrene Debatte beleben, die sich seit einiger Zeit um sich selbst dreht.

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