Nadia Murat:Allumfassend traurig

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Die Jesidin Nadia Murad erhielt 2018 den Friedensnobelpreis. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Der IS hat der Jesidin ihre Familie genommen. Jetzt kämpft sie für ihr geschundenes Volk.

Von Josef Kelnberger

"Sie haben den Nobelpreis erhalten?", fragte Donald Trump in all seiner bemerkenswerten Ignoranz, "und wofür hat man Ihnen den gegeben?" Nadia Murad rang für einen kurzen Moment um Fassung im Oval Office.

Die Nachricht war eigentlich nicht zu überhören im Herbst 2018. Der Friedensnobelpreis geht an die ehemalige "Sex-Sklavin" des "Islamischen Staats", Überlebende des Genozids an den Jesiden im Norden des Irak, an die unermüdliche Kämpferin für das Volk der Jesiden, vor allem für die verschleppten Frauen, an die Sonderbotschafterin der UN. An Nadia Murad. Aber gut, im Weißen Haus ist man mit anderen Dingen beschäftigt.

Drei Monate ist es her, dass sie zu Gast bei Trump war, Mitglied einer Delegation von Überlebenden religiöser Verfolgung. Sie schilderte mit brüchiger Stimme das Schicksal ihres Volkes, ihrer Familie, sprach von Mutter, Geschwistern. "Wo sind die jetzt?", fragte Trump. "Tot, ermordet, in Massengräbern", antwortete Nadia Murad. Man fragt sich in solchen Momenten: Wie hält die Frau das alles aus?

Politiker, die nicht Trump heißen, schmücken sich gern mit ihrer Aura. Diese Zerbrechlichkeit. Diese allumfassende Traurigkeit. Sie hat in ihrem Kampf nur ihr Schicksal, ihre Geschichte, die sie immer und immer wieder erzählt, seitdem sie 2015 nach Baden-Württemberg kam, eine von tausend jesidischen Frauen und Kindern, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann ins Land holen ließ. Mit der Geschichte erregte sie weltweit Aufsehen. Der Nobelpreis machte sie zum Star. Aber was bringt es? Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, immerhin, konnte sie dazu bewegen, Jesidinnen aufzunehmen. Sie reist noch mehr als zuvor, verbringt viel Zeit in den USA, wo ihr Verlobter lebt, kehrt immer wieder nach Deutschland zurück. Im November wird sie Gast bei der Bambi-Gala sein. Aber ihre Mission ist noch längst nicht erfüllt: dass das jesidische Volk wieder in Frieden leben kann.

Im Oval Office bat sie Trump, er möge helfen, dass die Jesiden zurückkehren können in ihre Heimat, wo Kurden und irakische Zentralregierung um die Macht ringen. Trump sagte: "Ich kenne die Region sehr gut." Diese Woche hat er die Region wieder ins Chaos gestürzt, indem er den Türken freie Hand gab für den Einmarsch in kurdische Gebiete. Nadia Murad protestierte in einem Tweet, warnte, der IS könne wieder erstarken. Donald Trump, davon kann man ausgehen, hat den Tweet nicht gelesen.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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