Altersvorsorge:Merkels Renten-Sünde

Chancellor Angela Merkel addresses the German parliament on the upcoming EU summit

Jens Spahn und Angela Merkel

(Foto: REUTERS)

Jens Spahn wollte vom 1. Januar an Millionen Menschen bei der Altersvorsorge entlasten. Doch er ist kläglich gescheitert - an der Kanzlerin.

Kommentar von Hendrik Munsberg

Jens Spahn ist ein Mann mit Geltungsdrang, oft mit ziemlich großem. Immer wieder aber erweist er sich als Politiker mit Gespür für Belange, die Menschen bewegen. Mal stößt er eine Debatte über das kriselnde Organspendewesen an, mal wirbt er im Ausland um Pflegekräfte für deutsche Kliniken und Heime.

Mit einem wichtigen Anliegen ist Spahn unlängst kläglich gescheitert - an Kanzlerin Angela Merkel. Man muss hinzufügen: leider. Der CDU-Gesundheitsminister wollte eine Missetat der deutschen Rentenpolitik korrigieren. Er hatte angekündigt, was überfällig ist: Vom 1. Januar kommenden Jahres an sollten Millionen Menschen bei der betrieblichen Altersvorsorge endlich entlastet werden.

Profitiert hätten nicht nur heutige Rentner, sondern alle, die derzeit und künftig im Zuge ihres Berufslebens etwas für den Ruhestand zurücklegen - bei Versorgungswerken, Direktversicherungen, Pensionsfonds und -kassen. Sie alle müssen fast 20 Prozent ihres Ersparten wieder abgeben, als Beiträge an Kranken- und Pflegekassen. Tückisch daran: Den meisten wird diese Belastung erst klar, wenn sie in Ruhestand gehen. Dann erst tritt ihre Krankenkasse mit der Rechnung an sie heran. Vielen ist das ein Ärgernis, auch weil sie darauf nicht vorbereitet wurden. Eine Ausnahme gibt es: Nicht ärgern müssen sich Menschen, die privat krankenversichert sind, betroffen sind nur normale Kassenpatienten.

Spahn hatte vor, deren Beiträge wieder zu halbieren, so wie es bis 2004 gewesen war. Sein Gesetzentwurf stand. Der Minister konnte sich in seinem Vorhaben durch einen CDU-Parteitag ermuntert fühlen - der hatte fast einhellig dafür votiert, die Beitragslast zu mindern. Angela Merkel aber wischte die Sache vom Tisch. Zu teuer, keine Priorität.

Längst geht die AfD bei den Älteren auf Stimmenfang

Dabei ist die Geschichte, wie es zu dieser "Doppelverbeitragung" kam, eine unrühmliche: Man schrieb das Jahr 2003, die gesetzlichen Krankenkassen waren marode. SPD-Kanzler Gerhard Schröder und die mitregierenden Grünen beschlossen ein Gesetz mit dem fast spöttisch anmutenden Titel "Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung". Brillen wurden aus dem Leistungskatalog der Kassen gestrichen, ein Festbetrag für Zahnersatz wurde eingeführt, aber das reichte nicht, zwei Milliarden Euro fehlten. Man beschloss, bei gesetzlich Versicherten den vollen Beitrag für Kranken- und Pflegekasse zu erheben. Die Union trug das mit. Nur Privatversicherte wurden verschont, wohl weil sie im Alter oft ohnehin eine hohe Beitragslast trifft.

Längst vergessene Zeiten? Mitnichten! Was damals passierte, zählt zu den ernsten Sünden deutscher Rentenpolitik. Offenbar unterschätzt Angela Merkel die Wirkmacht der Causa. Millionen Rentner sind verärgert, auch weil immer mehr von ihnen zusätzlich mit einer neuen, "nachgelagerten" Einkommensbesteuerung konfrontiert sind. Längst geht die AfD damit bei Älteren auf Stimmenfang.

Es geht aber nicht nur um heutige Ruheständler, sondern um alle, die im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge sparen. Jeder gesetzlich Versicherte ist betroffen, wenn die Politik nichts unternimmt. Schon jetzt ist der Vertrauensschaden immens. Wie oft hört man Politiker sagen, die gesetzliche Rente werde für immer mehr Menschen nicht reichen? Deswegen bekam die Alterssicherung zwei weitere "Säulen", darum wurde die Riester-Rente ersonnen. Aber was ist von solchen Projekten und Reden zu halten, wenn man den Menschen im Ruhestand einen beträchtlichen Teil ihres Geldes wieder nimmt?

In den vergangenen zehn Jahren schwamm die Politik im Geld, das wäre die Zeit gewesen, die Folgen der Schröder'schen Notoperation zu korrigieren. Die Chance dazu hat Merkel verpasst.

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