Lateinamerikatag:Freihandel - trotz allem

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Beim Lateinamerikatag betonen Minister Altmaier und Unternehmer, wie wichtig das Mercosur-Abkommen sei.

Von Sebastian Schoepp

Urwald-Rodung, Feuern und Umweltzerstörung in Amazonien zum Trotz: Mit einem klaren Bekenntnis der Bundesregierung zum Freihandelsvertrag der EU mit der südamerikanischen Wirtschaftsvereinigung Mercosur ist der diesjährige Lateinamerikatag in Frankfurt zu Ende gegangen. Es ist das wichtigste Treffen deutscher Unternehmer, die in Lateinamerika aktiv sind. Da können Umweltgruppen noch so lange behaupten, die Aussicht auf steigende Absätze durch mehr Freihandel habe viele brasilianische Farmer im August und September erst ermuntert, Brände zu legen: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ließ sich nicht beirren und verlieh in Frankfurt der Überzeugung Ausdruck, dass der Freihandelsvertrag zwischen Europäern und Südamerikanern "die Probleme eher reduzieren" wird, weil er "zu mehr Austausch" führt. Deshalb "werde ich mich sehr für dieses Abkommen einsetzen".

In der Bundesregierung hat es schon Differenzen zur Südamerikapolitik gegeben

Darüber hat es innerhalb der Bundesregierung allerdings auch schon Differenzen gegeben. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) etwa hat im August gesagt, ohne Garantien für den Regenwald sei das Abkommen mit Brasilien nicht verantwortbar. Und EU-Partner wie Frankreich, Österreich und Irland wollen es als Druckmittel einsetzen, um Brasilien zu mehr Umweltschutz zu zwingen. Mehrere Wirtschaftsexperten machten jedoch beim Lateinamerikatag deutlich, dass sie dies für einen Fehler halten würden: So auch Bodo Liesenfeld, Vorsitzender des Lateinamerikavereins (LAV), der seit Jahrzehnten die Aktivitäten deutscher Unternehmer in Lateinamerika begleitet. Nun hat der LAV bereits den 70. Lateinamerikatag organisiert. Liesenfeld parierte alle Fragen nach der Verlässlichkeit eines Präsidenten Jair Bolsonaro: Manchmal stelle die Demokratie eben Herausforderungen, aber man habe es in Brasilien nicht nur mit einem Präsidenten zu tun, sondern mit einem ganzen Land, das man lange kennen müsse, um es zu beurteilen. Liesenfeld kennt Brasilien offenbar lange genug, um sich nicht mehr wahnsinnig aufzuregen über Bolsonaros lässlichen Umgang mit Feuern in Amazonien. Das geplante Freihandelsabkommen solle man keinesfalls als Druckmittel einsetzen wegen dieses "speziellen Zwischenfalls". Es gebe eh schon genug Druck.

Waldbrände in Brasilien: Viele der Feuer sollen vorsätzlich gelegt worden sein. (Foto: Nelson Almeida/AFP)

Am klarsten fasste Luc Grillet von der International Finance Corporation aus Panama die Stimmung vieler Unternehmer bezüglich Brasilien zusammen: Man solle sich nicht so auf die Rhetorik eines Jair Bolsonaro kaprizieren, sondern sich lieber die Reformen im Hintergrund ansehen, die umso konsequenter angegangen würden, solange der Präsident alle Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Gemeint waren die Reformen des greisen Wirtschaftsministers Paulo Guedes, eines alten Fahrensmanns der Chicago-Boys aus der Ära der Pinochet-Diktatur in Chile, den Bolsonaro angeheuert hat, um Brasilien eine marktliberale Radikalkur zu verpassen. Dies bedeutet vor allem: zu demontieren, was die linke Vorgängerregierung hinter sich gelassen hat. Dazu zählen Subventionskürzungen, eine Rentenreform und Bürokratieabbau.

An subventionierten Treibstoff haben sich die Ecuadorianer gewöhnt

Vor allem Letzteres begrüßt die deutsche Wirtschaft, die in Brasilien noch immer mit protektionistischen Schranken zu kämpfen habe, wie an den Konferenztagen häufig zu hören war. Ein Mann wie Guedes gebe Vertrauen, sagte Luc Grillet. Am unteren sozialen Rand kommen Reformen dieser Art jedoch oft eher schlecht an, das mussten auch die Organisatoren des Lateinamerikatages feststellen. Sie hatten einen anderen Reformer als Ehrengast eingeladen: Lenín Moreno, Präsident von Ecuador, der sich binnen zwei Jahren vom Linken zum Liberalen gewandelt hat und als Gegenleistung für einen IWF-Milliardenkredit den Arbeitsmarkt liberalisiert und Subventionen abbaut. An subventionierten Treibstoff aber haben sich die Ecuadorianer gewöhnt, weshalb sie nun auf die Straße gehen, um gegen die Verdoppelung des Dieselpreises zu demonstrieren. Die Unruhen zwangen Moreno, seine Reise nach Deutschland abzusagen.

Dabei tritt das Kernproblem zutage, dass in Lateinamerika immer noch ein ressourcenabhängiger Rentenkapitalismus vorherrscht. Die Konzentration auf den Rohstoffexport bei gleichzeitigem stetigem Rückgang der Produktivität aber sei negativ, sagte Michael Spiegel von der Deutschen Bank. Große Teile der arbeitenden Bevölkerung hätten nicht mal ein Bankkonto. Luc Grillet fügte weitere Risikofaktoren für eine wirtschaftliche Erholung hinzu: öffentliche Unsicherheit, hohe Inflation, Schulden. Das Wachstum soll in diesem Jahr in Lateinamerika und der Karibik kaum 0,6 Prozent betragen. Verantwortlich sind die Preisschwankungen bei Rohstoffen. Man war sich einig, dass Lateinamerika sein Potenzial nicht nutze.

Allgemein wurde das Problem fehlender Wertschöpfungsketten moniert. Andererseits bringt genau das Chancen für die deutsche Wirtschaft, die liefert, was Lateinamerika selbst nicht herstellen kann: Maschinen, Infrastruktur, technisches Know-how. Alle fürchten deshalb nun neue Handelsschranken, wie sie etwa Argentinien aufbauen könnte, wenn die Linke Ende Oktober die Wahl gewinnt.

Den Einwand, dass Protektionismus letztlich eine Voraussetzung sei, um eigene Industrien aufzubauen, wollten die Fachleute bei der Pressekonferenz nicht stehenlassen. Wertschöpfungsketten können heute allenfalls grenzüberschreitend entstehen, sagte Javier Guzmán, stellvertretender Chef der Bank von Mexiko. Er nannte die Automobilindustrie seines Landes als Beispiel, die nur in enger Verzahnung mit der gleichen Industrie in den USA funktioniere. Es handele sich in Wahrheit um eine einzige Industrie, diesseits und jenseits der Grenze. Ohne Freihandel wäre dieses Modell nicht profitabel, so Guzmán. Doch das geht nur gut, solange niemand die Grenze schließt - wie US-Präsident Donald Trump es wiederholt angedroht hat. Der schwächere Teil in diesem Spiel bleibt stets das ärmere Land - in diesem Fall Mexiko.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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