American Football:Warum die Miami Dolphins auf keinen Fall gewinnen wollen

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Touchdowns wie diesen von DeVante Parker sind bei den Miami Dolphins eher die Ausnahme. (Foto: Sam Navarro/USA TODAY Sports)
  • Nach fünf Spieltagen in der NFL haben die Miami Dolphins bislang jedes Spiel verloren.
  • Jedoch nicht ganz ohne Kalkül: Die schlechteste Mannschaft darf zuerst aus den neuen NFL-Talenten wählen - und dieses Mal ist ein vermeintlicher Weltklasse-Spieler dabei.
  • Das Problem aus Sicht der Miami-Anhänger: Neben den Dolphins haben bislang auch vier weitere Teams noch kein Spiel gewonnen.

Von Max Muth

Vor dem Heimspiel am Sonntag im Hard Rock Stadium sind die Fans der Miami Dolphins nervös - zum ersten Mal in dieser Saison. Die ersten vier Spiele des American-Football-Teams verliefen wie geplant, doch jetzt steht dem Team mit den Washington Redskins ein harter Brocken bevor. Im Fan-Podcast "3 Yards per Carry" sprechen die Moderatoren sich gegenseitig Mut zu: "Ich mache mir keine Sorgen", sagt Chris Kouffman. "Sie haben Adrian Peterson, sie haben Chris Thompson. Sie haben neun Touchdowns, wir nur zwei. Wir sind einfach das schlechtere Team." Und darum geht es: das schlechtere Team zu bleiben.

Die Miami Dolphins sind in dieser Saison in historischer Mission unterwegs. Sie sollen möglichst jedes Spiel der Saison verlieren. Wenn das gelingt, dann winkt ihnen ein begehrter Preis: Der Quarterback Tua Tagovailoa gilt als eines der größten Talente der vergangenen Jahre, aktuell spielt er bei der College-Mannschaft Alabama Crimson Tide, 2020 wird er am Draft teilnehmen und in die NFL wechseln. Bei der jährlichen Talente-Auswahl im American Football wird die Reihenfolge der sogenannten Draftpicks durch das Ergebnis der vorherigen Saison festgelegt: Die schlechteste Mannschaft wählt zuerst. Ist es klar, dass im nächsten Jahr ein Weltklasse-Spieler zur Verfügung steht, kann es sich also lohnen, eine komplette Saison abzuschreiben, nur um das Recht auf den ersten Pick zu ergattern. Erst recht, wenn sich das Team ohnehin keine großen Chancen auf einen Titel ausrechnet.

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"Ich hoffe so sehr, dass die Dolphins verlieren", sagt Simon Clancy, Dolphins-Anhänger seit Jahrzehnten und einer der Gastgeber im Dolphins-Podcast "3 Yards per Carry". Er gehört zu den rund 75 Prozent der Dolphins-Fans, die mit der Strategie des absichtlichen Verlierens einverstanden sind. Er sagt: "Es ist die Möglichkeit, aus diesem Kreislauf der Durchschnittlichkeit auszubrechen. Wir waren zu lange ein Team, das zwischen fünf und neun Siege pro Saison holt (bei 16 Partien pro Saison). Ich bin es leid." Clancys Frust ist nachvollziehbar: In den 70ern gewann Miami zwei Mal den Super Bowl, in den 80ern schafften sie es noch zwei Mal dorthin und verloren. Seitdem warten die Anhänger auf neue goldene Zeiten.

Im Jargon des US-Sports wird die Strategie der Dolphins als "Tanking" bezeichnet, und wer diesen Begriff verstehen will, der kommt an Sam Hinkie nicht vorbei. Hinkie war von 2013 bis 2016 Manager des Basketball-Teams der Philadelphia 76ers. Auch die 76ers waren jahrelang äußerst durchschnittlich - bis Hinkie übernahm: mit ihm wurden sie von durchschnittlich zu abscheulich schlecht. Drei Jahre lang verloren sie kontinuierlich und brachen dabei unter anderem den Rekord der längsten Niederlagen-Serie (28). Doch das zahlte sich aus. Seit 2018 gelten die 76ers als Titelkandidaten in der NBA. Möglich wurde das, indem sie mehrere Jahre in Serie die besten College-Spieler wählen durften.

"Bist du ein echter Fan, wenn du dich mit andauernder Mittelmäßigkeit abfindest?"

Hinkie selbst erlebte den Erfolg nicht mehr als Manager des Teams mit, er wurde nach drei Jahren entlassen, von Teilen der Fans wird er heute allerdings als Heiliger verehrt. Für andere dagegen steht Hinkie für alles, was im modernen Sport schiefläuft. Auch die NBA selbst war mit Hinkies Methoden nicht einverstanden, 2017 änderte die Liga die Regeln des Drafts, um Teams davon abzuhalten, absichtlich zu verlieren.

Auch unter Dolphins-Fans gibt es solche, die mit der Taktik nichts zu tun haben wollen. Clancy kennt die Vorwürfe. Er und andere, die hoffen, dass die Dolphins dieses Jahr verlieren, seien keine "echten Fans". Er stellt die Gegenfrage: "Bist du ein echter Fan, wenn du dich mit andauernder Mittelmäßigkeit abfindest?"

Mit den 76ers ist die Situation der Dolphins nicht gänzlich vergleichbar. Beim Basketball stehen nur fünf Spieler auf dem Feld, beim Football sind es je nach Zählweise 22 oder mehr. Das Recht, ein paar Spieler vor anderen Teams zu draften, fällt so deutlich weniger ins Gewicht. Die Ausnahme ist der Quarterback, mit dessen Qualität ein Football-Team steht und fällt. Er dirigiert die Offensive, er verteilt die Bälle, er fällt die Entscheidungen. Tom Brady, Drew Brees, Aaron Rodgers, Russell Wilson und zuletzt Patrick Mahomes sind in der Lage, aus einem schlechten Team ein ordentliches, oder aus einem ordentlichen ein fantastisches Team zu machen.

Das Dolphins-Management glaubt, dass Tua Tagovailoa das Talent hat, dieser Spieler für Miami zu sein, und hat die perfekten Voraussetzungen geschaffen, um ihn zu bekommen. Vor der Saison wurden die verbliebenen Top-Spieler konsequent abgegeben - gegen weitere Draftpicks von anderen Teams. Der Plan: Die übrigen Spieler unter der Führung von Quarterback Josh Rosen sollten so gut spielen dürfen wie sie wollen, und dennoch immer schlechter sein als ihre Gegner.

"Kein Profi-Team verliert absichtlich"

Dass Miamis Spieler und der neue Trainer trotz der Strategie des Managements und der Fans jede Woche ihr Bestes geben, davon ist auch Clancy überzeugt. "Kein Profi-Team verliert absichtlich", sagt er. Und ein Großteil des aktuellen Teams werde in drei Jahren, wenn das Team hoffentlich wieder um Titel spielt, gar nicht mehr in Miami sein. Sie hätten also null Interesse daran, sich Woche für Woche unter Wert zu verkaufen. Doch gegen die meisten Teams haben sie einfach keine Chance.

Nach fünf Spieltagen in der NFL hat Miami jedes seiner Spiele deutlich verloren. Das Problem: Sie sind nicht die einzigen. Ganze vier Teams haben noch kein Spiel gewonnen. Die New York Jets mit Miamis Vorjahrestrainer Adam Gase stehen dabei noch am wenigsten unter Verdacht, ebenfalls "tanken" zu wollen. Gase hatte die Dolphins Berichten zufolge auch deshalb verlassen, weil er mit der Strategie des Managements nicht einverstanden war. Auch die Cincinnati Bengals werden wohl nicht absichtlich verlieren.

Bleiben die Washington Redskins, die nach der Niederlage am vergangenen Wochenende ihren Trainer Jay Gruden entlassen haben, das Team spielte einfach zu schlecht. Und genau das macht Clancy Sorgen. Für Fans wie ihn ist das Spiel am Sonntag das wichtigste des Jahres, ein vorgezogenes Finale um den Quarterback Tagovailoa. Alle anderen erwarten eines der schlechtesten Spiele des Jahres. Das zeigt auch ein Blick auf die Ticketpreise: Aktuell werden Sitzplätze im Hard Rock Stadion für unter 20 Dollar verkauft. Das ist Negativ-Rekord - und weniger als für eine Eintrittskarte für den Zoo in Miami.

© SZ vom 13.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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