Eliud Kipchoge:Marathon-Mondlandung mit Makel

Eliud Kipchoge, the marathon world record holder from Kenya, attempts to run a marathon in under two hours in Vienna

Siegerpose: Eliud Kipchoge beim Zieleinlauf.

(Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Technischer Fortschritt verschmolz im Sport schon immer mit dem menschlichen. Aber bei Eliud Kipchoges Unter-zwei-Stunden-Lauf wurde dieses Konzept auf die Spitze getrieben.

Kommentar von Johannes Knuth

Die Freude, die war zweifellos pur und echt. Als Eliud Kipchoge am Samstag auf der Hauptallee im Wiener Prater über die Ziellinie rauschte, da erlebte man den Kenianer so aufgekratzt, wie man ihn selten erlebt hatte in seiner 18 Jahre währenden Läuferkarriere. Er riss seine Frau und Kinder, die erstmals ein Rennen von ihm vor Ort verfolgt hatten, beinahe um, so schnell und aufgezogen war er noch vor Freude. Er klatschte in jede Zuschauerhand, er jubelte auf den Schultern seiner Mitstreiter, wo er eine kenianische Fahne so feierlich schwenkte, als habe er gerade ein noch nie von einem Menschen erreichtes Territorium erobert. Als solches Unterfangen hatten sie seinen Versuch ja auch ausgeschrieben: als eine Art Mondlandung - sollte er den Marathon, den Ausdauerklassiker über 42,195 Kilometer, tatsächlich als erster Mensch in unter zwei Stunden schaffen.

Was dem 34-Jährigen dann auch gelungen war, in 1:59:40,2. In Nairobi jubelten Tausende Landsleute beim Public Viewing, der Verkehr brach stellenweise zusammen. Wann hatte die Leichtathletik das jemals geschafft: einen Großstadtverkehr in die Knie zu zwingen?

Kein Mensch ist limitiert - das war der Slogan des Versuchs

Am Ende lag trotzdem eine bizarre Stimmung über dieser Mondlandung am Wiener Prater. Freude und Anerkennung vermischten sich mit der Skepsis vieler Beobachter, die zurecht auf die Sterilität des Experiments hinwiesen. Kipchoge und sein Lager hatten ihren Versuch ja nicht gerade unterverkauft: Man würde ein historisches Erbe hinterlassen; den Beweis antreten, dass kein Mensch limitiert sei. Und tatsächlich war ihnen das gelungen, wenn auch wohl nicht ganz so wie beabsichtigt. Sie hatten in den vergangenen Jahren und Monaten ja wahrhaftig kaum eine Möglichkeit ausgelassen, an dem Läufer und seinem Umfeld herumzuschrauben.

Da waren monatelange sportmedizinische Vermessungen, neuartige Energiedrinks, ein glatter, frisch asphaltierter Kurs auf der Hauptallee, eine Steilkurve, die Kipchoge noch ein paar Sekunden schenken sollte. Und da waren 41 Tempomacher, die Kipchoge zwei Stunden lang Windschatten spendeten - das war der gewichtigste Grund, warum seine Zeit nicht als Weltrekord ratifiziert wird. Das Bild war am Ende jedenfalls ein passendes: wie die Pacemaker sich vor Kipchoge auffächerten, so dass man ihn oft gar nicht zu Gesicht bekam. Als verschwinde da ein Athlet hinter einer Wand künstlichen Leistungs-Tunings.

Es stimmt schon: Der Hochleistungssportler war noch nie allein das Maß, der technische Fortschritt verschmolz schon immer mit dem menschlichen. Andererseits wurden in Wien derart viele Spielregeln auf einmal verrückt, dass man schon von einem Laborversuch sprechen konnte, ohne gleich Montagsdemonstrationen zu provozieren.

Und die größte Frage ist ungeklärter denn je: welchen Einfluss die neuen Schuhe haben, die Kipchoge am Samstag trug und deren Absätze so groß wirkten, als könnte man darin die Verpflegung für einen zweistündigen Marathon verstauen. Mehrere Studien haben nahegelegt, dass das Modell die Läufer bei jedem Schritt nach vorne trägt wie ein kleines Katapult. Fünf der besten Marathonzeiten wurden in den vergangenen 13 Monaten in diesem Modell erschaffen, auch Kipchoges offiziell gültiger Weltrekord (2:01:39); etablierte Profiläufer drückten ihre Bestzeiten auf einmal um Minuten in Fabelregionen. Die Triathletin Anne Haug lief ihren Marathon am Samstag bei ihrem Sieg auf Hawaii in einem ähnlichen Modell, Männer-Sieger Jan Frodeno hatte bei seinem Ausrüster offenbar einen verwandten Prototyp in Auftrag gegeben.

Das wird wohl ebenfalls ein historisches Erbe dieses Wochenendes in Wien sein: eine Materialdiskussion, die wie ein zusätzliches Sternchen an Kipchoges Fabelzeit prangt. Und Rekorde mit Sternchen, die hat die dopingbelastete Leichtathletik eigentlich schon zur Genüge.

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