"Klangwelt Klassik":Musik, die Spuren hinterlässt

Meistersolisten im Isartal 2019 - La fin du temps

Teilnehmendes Hören auf der Bühne und im Publikum: Sarah Christian (Violine), Herbert Schuch (Klavier), Sebastian Manz (Klarinette) und Julian Steckel (Violoncello) bei ihrem umjubelten Auftritt im Ickinger Gymnaisum.

(Foto: Manfred Neubauer)

Sarah Christian, Herbert Schuch, Sebastian Manz und Julian Steckel brillieren bei "Klangwelt Klassik" in Icking mit Robert Schumann und Olivier Messiaens "Quatuor pour la fin du temps"

Von Paul Schäufele, Icking

Unter allen Künsten ist Musik die diskreteste. Einmal verklungen, hinterlässt sie keine Spuren, sie ist für den Moment gemacht. Man muss sich ihr aussetzen, solange sie da ist. Das tut man umso lieber, wenn diese Musik von einem Ausnahme-Ensemble gemacht wird, wie es im Rahmen der "Meistersolisten im Isartal" am Samstag in Icking gespielt hat.

Mit Robert Schumanns "Des Abends", einem intimen Solo-Stück, lässt der Pianist Herbert Schuch Ruhe einkehren. Seine Klangkultur, die unaufdringliche Gestaltung der Mittelstimmen lassen aufhorchen und stellen die Atmosphäre teilnehmenden Hörens her, die den ganzen Abend bestimmen soll. Und die folgenden Stücke fordern das geradezu ein: Schumanns "Sechs Stücke in canonischer Form", eine Reflexion über das Komponieren polyfoner Musik im Zeitalter der Romantik. Die Stücke werden selten gespielt, wohl weil die Originalbesetzung, der Pedalflügel, sich nicht durchsetzen konnte.

Dabei haben sich Komponisten wie Claude Debussy oder George Bizet mit Arrangements beschäftigt. Und auch der Schumann-Schüler Theodor Kirchner, dessen Bearbeitung für Klaviertrio Sebastian Manz erweitert hat, um mit seiner Klarinette mitmischen zu können. Zum Glück, denn die Stücke sind der reizvolle Versuch, Polyfonie und Poesie zu verbinden. Während der erste Kanon noch die strenge Form ausstellt, werden die Folgestücke zu lyrischen Charakterpiecen. In dunklem a-Moll wiegen sich der weite Cello-Klang von Julian Steckel und der klare Gesang von Sarah Christians Geige. Beim lebendigen Frage-Antwort-Spiel im Satz darauf tupft Manz eine Klarinetten-Begleitung, sekundiert von Klavierakkorden in makellosem Piano-Staccato. Im burlesk tänzerischen Scherzo-Satz spielt das Quartett mit köstlichem Humor, bevor das ruhig schreitende Schlussstück daran erinnert, dass man es ja eigentlich mit einer ernsten Gattung zu tun habe.

Zwei von Schuch klangsensibel interpretierte Klavierstücke bilden den Auftakt zu Schumanns "Drei Fantasiestücken" (Opus 73). In wechselnder Besetzung stellen sich Klarinette, Geige und Cello vor. Manz präsentiert dynamischen Reichtum in melancholischen Phrasen, Christian reagiert mit frühlingshafter Weite, Steckel beschließt mit feuriger Virtuosengeste. Vor der Pause also kann man das Ensemble in sämtlichen Klangkombinationen hören und ihnen beim Hören zusehen, denn auch darum geht es an diesem Abend: Wie nehmen wir Musik wahr, was macht sie mit uns?

Das "Quatuor pour la fin du temps" (Quartett zum Ende der Zeit) von Olivier Messiaen stellt diese Frage. Messiaen begann die Partitur 1940 im Kriegsgefangenenlager in Görlitz, wo das Werk uraufgeführt wurde. Immer wieder entspinnt sich die Diskussion darüber, was die Entstehungssituation mit einer heutigen Aufführung zu tun habe. Schallt das Echo der Geschichte in diesem Quartett? Angesichts der vier Musiker auf der Bühne erscheint die Frage klein, so unmittelbar, präsent, immer aufs Ganze gehend spielt das Ensemble. Das achtsätzige Werk markiert einen der Schlüsselmomente der Kammermusik des 20. Jahrhunderts, nicht nur seiner großartigen Architektur oder des spirituellen Programms wegen oder weil Messiaen sich von griechischen und Hindu-Rhythmen inspirieren ließ und außergewöhnliche Tonleitern verwendete. Das "Quatuor pour la fin du temps" verkündet das Ende der Zeit nicht nur im Sinne der Offenbarung des Johannes, sondern auch, weil hier das Zeitalter der konventionellen Kammermusik ihr Ende findet. Die Unbedingtheit, mit der hier Spieler und Hörer konfrontiert werden, hat Epoche gemacht.

Der erste Satz dient als Einführung in diesen Kosmos - die munter tirilierende Klarinette simuliert zum ersten Mal Vogelgezwitscher, in das die Geige einstimmt, das Cello säuselt im Flageolett zu schimmernden Akkorden im Klavier. Mit dem Erscheinen des apokalyptischen Engels endet die Klang-Idylle. Spannungsgeladene Triller in äußerstem Forte sind sein Ton.

Einen besonderen Platz im Repertoire nimmt das Stück auch deshalb ein, weil es drei große solistische Sätze integriert. Nach den gläsernen Klängen, die den Engel verabschiedet haben, folgt ein Katalog der Vogelstimmen. Wie hypnotisiert folgt man Manz' Spiel zwischen grellem Quengeln und schwermütigem Raunen, entdeckt man die sorgfältige Strukturierung durch Echos und Reprisen. Ihm gegenübergestellt ist - nach dem tänzerischen Intermède - eine sich unendlich ausbreitende Meditation des Cellos zur statischen Klavierbegleitung. Das ist Musik von frappierender Schönheit, woran Julian Steckels sinnlicher Ton nicht unwesentlichen Anteil hat. Der irre "Tanz des Zorns" ist ein energisches Aufbäumen, bevor zum letzten Mal der Engel erscheint. Sarah Christians Solo bildet den Epilog: ein Aushauchen in extremem Pianissimo, das bis zur letzten Sekunde nicht an Intensität einbüßt.

Um die Ausgangsthese zu korrigieren: Musik hinterlässt Spuren in den Menschen, die aus dem voll besetzten Saal einstimmig Bravo rufen, den Geänderten, deren Hörgewohnheiten durch solche Konzerte erschüttert werden.

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