Nachruf auf Wolf-Dieter Narr:Herrschaftskritik

Berlin - Wolf Dieter Narr

Wolf-Dieter Narr (1937–2019) war seit 1971 Professor für empirische Theorie an der Freien Universität Berlin.

(Foto: Britta Pedersen/DPA)

Der Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr war voller Zorn über die Verhältnisse, in denen Bürger- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Im Alter von 82 Jahren ist er jetzt nach langer Krankheit in Berlin gestorben.

Von Claus Leggewie

Wolf-Dieter Narr verstarb am vergangenen Samstag im Alter von 82 Jahren nach langer Krankheit, die ihm zuletzt die Bewegung und das Sprechen schwer gemacht hatte. Aber nicht das Denken, und so blieb sein Zorn erhalten über die Verhältnisse, in denen Bürger- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Das "Komitee für Grundrechte und Demokratie", das er 1980 mit anderen gründete, war sein Kind. Narr war als Kind noch Zeitzeuge der Nazi-Diktatur, politisch sozialisiert im Studentenkongress gegen Atomrüstung sowie im Sozialistischen Büro. Das "SB" war ein kampagnenstarkes Sammelbecken undogmatischer Linker. Die Anti-Parteien-Partei, in der neben ihm Gleichaltrige wie Oskar Negt, Ursula Schmiederer, Andreas Buro, Elmar Altvater und Klaus Vack den Ton angaben, war eine Art linkes Akademikerparlament, offen für die Vielzahl der in den 1960er Jahren entstandenen sozialen Bewegungen.

An der Hochschule und der etablierten Politikwissenschaft störte ihn vieles. Besonders in Erinnerung geblieben ist, wie Narr mit seinem Kollegen Peter Grottian 1985 auf ein Drittel ihres Gehalts verzichtete, um eine Professur für Frauenforschung zu finanzieren - und die Ausreden der Hochschulverwaltungen und der Kollegen, als wir anregten, es ihnen andernorts gleichzutun. Narr, der von 1971 bis 2002 am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin lehrte, war Studierenden und Genossen sehr zugetan, doch wenn er etwas für falsch hielt, bekam man seinen Dissens wortmächtig zu spüren. So war es eine Lust, den Disput mit ihm auszutragen. Einig waren wir uns in der Bewunderung für Albert Camus und bei aller Herrschaftskritik in der Notwendigkeit der Stärkung des institutionellen Rückgrats der Demokratie, der Grundrechte, namentlich der Versammlungsfreiheit.

Ebenso ärgerten ihn Zustände in psychiatrischen Anstalten und in Unterkünften von Geflüchteten. Die Liste der Interventionen in den öffentlichen Diskurs ist lang und das Meiste im Internet zugänglich; der Titel seines letzten, 2012 erschienenen Buchs "Trotzdem: Menschenrechte! Versuch, uns und anderen nach nationalsozialistischer Herrschaft Menschenrechte zu erklären" könnte das Lebensmotto dieses radikalen politischen Unternehmers gewesen sein.

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