Reaktionen in Europa:Das kleine Wunder von Luxemburg

Heiko Maas

Außenminister Heiko Maas findet es wichtig, „mit der Türkei im Dialog zu bleiben“. Der SPD-Politiker ist gegen Wirtschaftssanktionen.

(Foto: Virginia Mayo/AP)

Zunächst zögern die EU-Staaten, dann aber einigen sie sich darauf, keine Waffenlieferungen an die Türkei mehr zu genehmigen - auch auf Drängen der Bundesregierung.

Von Daniel Brössler, Matthias Kolb

Von Wut will sich Josep Borrell nicht leiten lassen. Noch ist der 72-Jährige Spaniens Außenminister, doch bald wird er als Außenbeauftragter die EU auf globaler Bühne vertreten. Deshalb fand sein Auftritt beim Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg besondere Beachtung. Er sei nicht sauer auf Donald Trump, sagt Borrell, auch wenn der türkische Einmarsch in Nordsyrien "ohne den Rückzug der Amerikaner nicht möglich gewesen" wäre. Die EU werde "so viel Druck wie möglich" ausüben auf die Türkei. Wenn möglichst viele EU-Staaten aufhören würden, Rüstungsgüter zu liefern, wäre dies ein wichtiger Schritt, sagt Borrell am Morgen. Deutschland, Schweden, Frankreich, Finnland und die Niederlande hatten dies gefordert. Der Spanier macht klar, dass ihm bewusst ist, wie schwer sein Job als EU-Chefdiplomat werden wird: "Wir haben keine Zauberkräfte."

Viele EU-Länder beobachten die Lage mit einer Mischung aus Ohnmacht und auch Wut

Was dann passiert, kommentiert der dienstälteste EU-Außenminister, Jean Asselborn aus Luxemburg, so: "Auch in der Europäischen Union geschieht manchmal ein Wunder." Man habe "eine politische Einigung" erzielt, keine Waffen mehr an die Türkei zu liefern, so Asselborn. Ganz so schnell geht es jedoch nicht. Wegen des nötigen technischen und formalen Vorlaufs ist dies zwar kein EU-Waffenembargo, aber Außenminister Heiko Maas sagt: "Entscheidend ist, dass wir diese militärische Invasion nicht unterstützen durch die Zulieferung weiterer Waffen." Daher seien in der Resolution entsprechende Schritte von Staaten wie Frankreich und Deutschland hervorgehoben worden, die keine neuen Exportgenehmigungen erteilen, so Maas: "Wir sind handlungsfähig." Zudem wird der "einseitige Militäreinsatz verurteilt" und dessen sofortiges Ende gefordert.

Für EU-Verhältnisse ist dies eine schnelle Reaktion, denn jeder Mitgliedstaat hat ein Vetorecht. Vergangene Woche blockierte Ungarn eine scharfe Verurteilung der türkischen Angriffspläne, am Montag verzögert sich EU-Diplomaten zufolge eine noch schnellere Einigung, weil Großbritannien noch Klärungsbedarf hatte. Die scheidende Außenbeauftragte Federica Mogherini betont, dass sie bei der Anreise nicht sicher gewesen sei, dass man Erklärungen würde verabschieden können: "Alle haben hart gearbeitet, und nun haben wir eine gemeinsame, einheitliche Position der EU."

Wirtschaftssanktionen wird es vorerst nicht geben, hier hatte auch Maas bei seiner Ankunft für Zurückhaltung plädiert. Es sei "wichtig, mit der Türkei im Dialog zu bleiben, um auf sie einwirken zu können". Sollten alle Appelle erfolglos bleiben, behalte man sich aber weitere Maßnahmen vor. In der Region bahne sich eine "humanitäre Katastrophe" an, mehr als 100 000 Menschen seien auf der Flucht, sagt Maas.

Seit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch den Befehl zum Einmarsch gab, beobachteten viele EU-Staaten die Lage mit einer Mischung aus Ohnmacht und Wut. Allerdings plädieren EU-Diplomaten dafür, "die Zusammenschau" nicht zu vergessen. Die Türkei sei auch Nato-Mitglied und Partner in der Migrationspolitik, auch wenn Brüssel die türkischen Erdgasbohrungen vor der Küste Zyperns als widerrechtlich einstufe. Diese Position wurde in Luxemburg verschärft. Die Außenminister einigten sich auf einen Rahmen, um an diesen Aktionen beteiligte Firmen und Personen zu bestrafen. Beide Themen mit Türkei-Bezug - die Militäroffensive und die Bohrungen - werden diese Woche auch die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel beschäftigen.

Der Außenminister sei "wie so oft zu spät und halbherzig", sagt der Grüne Nouripour

Am Sonntag hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Abendessen schon mal die Linie dafür abgesteckt. Merkel hatte davor eine Stunde, also ziemlich lang, mit dem türkischen Staatschef Erdoğan telefoniert und versucht, ihn zu einem Stopp der Militäroperation zu bewegen. "Ja, die Türkei hat berechtigte Sicherheitsinteressen in der Region, aber diese Operation droht ganz offensichtlich, größere Teile der lokalen Bevölkerung zu vertreiben. Sie droht, diese zerbrechliche Region zunehmend zu destabilisieren und kann sogar zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates führen", klagt ihr Sprecher Steffen Seibert am Montag. Er verweist erneut auf die von Maas verkündete Entscheidung, keine Waffenlieferungen mehr an Ankara zu genehmigen, die in Syrien eingesetzt werden könnten.

Zufrieden ist die Opposition in Berlin mit alledem nicht. "Der Außenminister ist wie so oft zu spät und halbherzig. Als es darum ging, Erdoğan ein Stopp-Schild aufzustellen, war Maas nicht da", sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er kritisiert: "Wieder einmal eine 'restriktive Rüstungsexportpolitik' anzukündigen, nachdem die Türkei sich ausreichend mit Waffen aus Deutschland eingedeckt hat, ist weniger als heiße Luft." Einig sind sich die Oppositionsparteien, dass die EU über einen Waffenexportstopp hinaus Strafmaßnahmen verhängen müsste. "Wir brauchen EU-weite Sanktionen gegen verantwortliche türkische Politiker. Mögliche Vermögen des Personenkreises sollten eingefroren und Visabestimmungen deutlich erschwert werden", fordert der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai. Durch die "Einstellung aller Finanztransfers und die Beendigung des EU-Beitrittsprozesses" müsse man die Regierung Erdoğan "spürbar treffen", verlangt Petr Bystron, Obmann der AfD im Auswärtigen Ausschuss.

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