Essen:Reifeprüfung im Restaurant

Ernst

Im Sternerestaurant "Ernst" im Berliner Wedding kennt man keine Nachwuchssorgen beim Publikum, viele der Gäste sind unter 40. Der kanadische Küchenchef ist selbst erst 27, es gibt nur zwölf Plätze, und der Tresen hier gilt vielen als hipster Tisch der Hauptstadt.

(Foto: Anders Husa)

Viele Gourmetrestaurants haben ein Problem: Ihre Gäste altern, doch neue kommen nicht mehr nach. Wie bekommt man junge Menschen an die feinen Tische?

Von Franz Kotteder

Baiersbronn ist nicht nur ein kleiner Ort im Schwarzwald, sondern auch seit Jahrzehnten so etwas wie die deutsche Gourmethauptstadt. Restaurants der Gemeinde halten insgesamt acht Michelin-Sterne, so viele wie sonst nur gut aufgestellte Millionenstädte. Für einen Tisch hier nehmen Gourmets längere Anreisen auf sich. Die Münchner Foodbloggerin Dorothée Beil war also erfreut, als sie einen Platz im bekannten Drei-Sterne-Restaurant "Bareiss" bekam. Als sie dann eintraf, wurde sie nachdenklich. "Als Erstes kam mir eine Frau mit Rollator entgegen", sagt Beil. So in etwa ging es weiter. "Die Gäste waren hochbetagt oder Touristen aus dem asiatischen Raum", schrieb sie auf ihrem Blog Bushcook.de. Das klingt alarmierend.

Nun könnte man sarkastisch witzeln: Die klassischen Gourmetrestaurants sind perfekt vorbereitet auf eine überalterte Gesellschaft. Doch in Wirklichkeit ist es natürlich genau anders herum. Die Kundschaft wird immer älter, der Nachwuchs an Gästen bleibt vielerorts aus - den meisten jungen Menschen sind Menüs mit sechs oder sieben Gängen schlicht zu viel und Preise zwischen 150 und 200 Euro pro Person zu teuer. Natürlich war es immer schon so, dass Gourmetrestaurants eher von Menschen besucht werden, die sich das auch leisten können, und nicht wenige gehen sogar dort essen, weil es ein Statussymbol ist. Doch auch die althergebrachten Statussymbole werden immer unwichtiger. Gastronomen, die nicht darauf warten wollen, bis ihnen die letzten Gäste sozusagen an den Tischen wegsterben, haben deshalb auch schon begonnen, umzudenken.

Tatsächlich gibt es ja auch Ermutigendes zu berichten. Seit Essen zum Lifestylethema geworden ist, hat sich die Gastroszene zugleich stark verjüngt; mancher Koch kommt heute mit 25 in der Weltspitze an, was natürlich Strahlkraft auf das Publikum hat. Im Trend liegt auch die sogenannte Foodie-Bewegung, die Menschen unter 30 erfunden haben, und die so stark wächst, dass der Verlag des betagten Gourmetmagazins Feinschmecker einen eigenen Ableger dafür gegründet hat - den Foodie. Anhängern der Bewegung geht es nicht nur um gesunde Ernährung oder Tierschutz, sondern um hochwertige Lebensmittel und um Genuss, um faire, regionale und saubere Herstellung. Auch stehen komplexe Produkte wie Kaffee, Schokolade oder Öl, aber auch Wein heute im Fokus von eher jugendlichen Genießern. Da ist man dann nicht mehr weit weg von dem, was auch viele Spitzenköche vorleben.

Es ist also noch lange nicht zu spät. In der Hipster-Szene junger urbaner Milieus ist man anspruchsvoll geworden, was das Essen angeht. In Neukölln und im Wedding gibt es längst Sternelokale, die zwar nur zwölf Plätze haben, aber dafür oft Gäste unter 40. Der Spitzenpatissier René Frank hat in Kreuzberg das Dessertrestaurant "Coda" eröffnet, wo man Menüs aus gemüsebasierten Nachspeisen bestellen kann oder Cocktails mit kleinen Gerichten an der Bar. Casual Fine Dining lautet das Stichwort, und dabei geht es nicht ums Weglassen der Tischdecken, sondern um Spaß, neue Konzepte und Flexibilität für die Gäste. Es gibt weiter Restaurants mit (unausgesprochenem) Dresscode, aber auch solche, in denen man nach 22 Uhr nicht mehr weiß, ob man sich im Gourmetlokal oder im Club befindet.

Immer mehr Köche konkurrieren um Gäste

Für Gastronomen ist diese Entwicklung auch anstrengend. Noch nie war es so wichtig, sich zu positionieren. Zumal immer mehr Köche um Gäste konkurrieren, weil die Zahl deutscher Sternelokale in den vergangenen zehn Jahren von 216 auf 309 gestiegen ist. Besonders eher klassische, auf wohlhabende Gäste ausgerichtete Restaurants mit abseitiger Lage müssen sich also dringender denn je die Frage stellen: Wie kriegt man junge Leute an die Tische?

Ideen gibt es viele. Und die gängige Vorgehensweise, man kann es so krass sagen, funktioniert ähnlich wie beim Drogenhandel. Erst verlangt man etwas weniger Geld für die Ware, und wenn die Kunden anbeißen, geht man zum normalen Preis über. Dieses Modell greift um sich. Immer mehr Gourmetlokale verkaufen heute günstige Menüs mit etwas weniger Gängen als üblich und - mit Altersbeschränkung.

Vorreiter waren die Franzosen. Im Elsass, einer Genussregion mit vielen Sternelokalen, bieten die "Étoiles d'Alsace", ein Zusammenschluss von Gourmetlokalen, die "Formule Jeune" an, ihr Angebot für die "Jugend" bis zu 35 Jahren. Mit dabei sind neun Lokale, darunter auch das weltberühmte Sternerestaurant "L'Auberge de l'Ill" von Marc Haeberlin in Illhaeusern. Die "Formule Jeune" ist allerdings etwas kompliziert in der Anwendung, es existieren verschiedene Varianten, von "Prestige" oder "Exzellenz" bis "Weinstube". Dazu kommen diverse Beschränkungen, so gibt es die Schnäppchenmenüs nur im Winterhalbjahr und nicht an Feiertagen. Am Ende sollte der Gast mit einem Viergangmenü, Aperitif, Amuse-Bouche sowie korrespondierenden Weinen, Wasser und Kaffee rechnen dürfen. Hat man sich einmal durch das komplizierte Regelwerk gearbeitet, wird man mit einem Menü für 115 Euro in der Exzellenz-Klasse belohnt, alles inklusive. Da kann man als Gourmet in Ausbildung eigentlich nicht meckern.

Deutsche Gourmetrestaurants tun sich schwer mit günstigen Angeboten

Die französische "Formule jeune" hat inzwischen auch eine deutsche Gastronomenvereinigung übernommen, die das Attribut "jung" schon im Namen trägt. Die "Jeunes Restaurateurs", ein 1974 gegründeter Zusammenschluss junger und mittlerweile wohl auch jung gebliebener Köche, Gastronomen und Hoteliers aus ganz Europa, haben in Deutschland etwa das "Twenü" im Angebot. Für 75 Euro bekommen an bestimmten Tagen alle Gäste unter 30 Jahren drei Gänge mit Aperitif, Amuse, zwei Gläsern Wein, Wasser und Kaffee.

Die deutsche Oberliga aber tut sich noch schwer mit den verbilligten Angeboten. Das liegt sicher auch daran, dass viele Häuser heute ohnehin schon sehr knapp kalkulieren müssen, selbst wenn sie einen Sponsor haben, der das Restaurant im Haus zum Prestigegewinn benötigt. Andere, wie der Münchner Feinkost-Großunternehmer Michael Käfer, haben eher grundsätzliche Bedenken, in ihren Gourmetrestaurants mit Sonderpreisen zu arbeiten. Käfer hat nicht nur die in jeder Hinsicht gehobene "Käfer-Schänke" im Stammhaus im Portfolio, sondern auch das "Esszimmer" in der BMW-Welt, wo der Zwei-Sterne-Koch Bobby Bräuer am Herd steht. "Die Margen sind in der Spitzenküche ohnehin schon gering", sagt Michael Käfer, "und wir wollen den Leuten ja auch nicht vorgaukeln, dass es viel billiger geht." Junges Publikum hat Käfer aber natürlich auch gerne, und er sieht in seinem Feinkosthaus auch, dass es sich verstärkt für Delikatessen interessiert: "Das ist für viele fast schon so etwas wie ein Statussymbol. Früher definierte man sich durch sein Auto, heute zunehmend durch das, was man isst." Doch Michael Käfer geht andere Wege, um sein Publikum zu finden, bietet etwa Food-Start-ups in seinen Feinkostläden eine Bühne, beteiligt sich an Stadtführungen für junge Foodies ("Taste Tours"), oder er lädt Foodbloggerinnen ein, die im schicken Stammhaus an der Prinzregentenstraße "Supperclubs" abhalten dürfen.

Konkurrent "Dallmayr" geht in seinem Münchner Zwei-Sterne-Restaurant "Alois" exakt den anderen Weg. Seit dort vor einem guten Jahr der damals 33-jährige Christoph Kunz die Küche übernommen hat, gibt es das Programm "Young Gourmet", ein Viergangmenü mit allem Drum und Dran zum Festpreis von 85 Euro für Gäste unter 30 Jahren. "Ich will mehr jüngere Leute im Restaurant haben", sagt Kunz, "für viele meines Alters ist das ja wirklich eine Preisfrage." Ziel sei es, so heißt es bei Dallmayr, jüngeren Gästen die Möglichkeit zu geben, "einen Einstieg in die Spitzengastronomie zu ermöglichen". Es geht auch um den Abbau von Schwellenängsten, für das "Young Gourmet"-Angebot ist jeden Abend ein Tisch geblockt, der angeblich über Wochen ausgebucht ist.

In anderen Großstädten servieren Gourmetlokale vereinzelt ein günstiges Mittagsmenü, wie es auch oft in Frankreich, Italien oder Spanien üblich ist. Doch der bisher einzige deutsche Drei-Sterne-Koch, der Menüs für junge Gäste anbietet, ist Christian Jürgens vom Seehotel "Überfahrt" am Tegernsee. "Ich weiß selbst aus meiner Anfangszeit, wie es ist, wenn man jeden Pfennig umdrehen muss", erzählt Jürgens, "als ich jung war, musste ich auf so etwas auch sehr, sehr lange sparen." Klar, seine Gerichte könnten sich normalerweise nur Menschen leisten, die viel Geld haben, sagt er, aber eigentlich wünsche er sich, dass viel mehr daran teilhaben können.

Mancher Sternekoch veranstaltet inzwischen Clubnächte mit DJ

Gäste bis 31 Jahre können bei Jürgens immerhin die "True Food Lover Experience" buchen: Fünf Gänge, darunter die Jürgens-Klassiker Kartoffelkiste, gefüllt mit Périgord-Trüffelmousseline, sowie Rehpfeffer mit Rouennaiser Sauce. 189 Euro zahlt der Food-Lover dafür, 30 Euro weniger, wenn er auf die Weinbegleitung verzichtet. Das klingt zwar nicht direkt nach einem Arme-Leute-Essen, aber wenn man weiß, dass das Fünfgangmenü in der Überfahrt normal 249 Euro kostet und mit Weinbegleitung 353 Euro, dann möchte man doch vor Dankbarkeit beinahe auf die Knie fallen.

Wenn Jürgens betont, wie wichtig es ihm sei, durch sein Angebot mit jungen Leuten "die Leidenschaft für Essen zu teilen", dann ist das tatsächlich mehr als eine Phrase. "Geld ist gar nicht so wichtig", pflichtet ihm zumindest die Beraterin Antje de Vries bei, die für Gastronomen international Konzepte entwickelt. Die Leidenschaft fürs Genießen zu wecken, stünde an erster Stelle, sagt de Vries, das beginne schon bei den Eltern und im Kindergarten. Und später, im Restaurant, funktioniere es am besten, "wenn die Köche Hemmschwellen senken und auch auf ihr Publikum zugehen, ihre Begeisterung rüberbringen, mit der sie an ihre Aufgabe rangehen".

Dazu müsse man aber flexibler und unkomplizierter werden, rät de Vries. Etwa wie im Leipziger Zwei-Sterne-Restaurant Falco. Dort gibt es nicht nur vergünstigte Menüs für Leute bis 35 Jahre und Essen an einem Gemeinschaftstisch, sondern auch einmal im Monat eine Clubnacht mit DJ.

Es gibt also Mittel und Wege. So richtig mag man sich den Drei-Sterne-Koch Claus-Peter Lumpp zwar nicht vorstellen, wie er im altehrwürdigen Bareiss in Baiersbronn zusammen mit einem DJ Begeisterung versprüht und die Leidenschaft bei seinen Gästen weckt. Aber so ist das nun mal mit den Gästen: Die alten muss man halten, aber neue kommen selten von ganz allein.

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