"Parasite" im Kino:Klassenkampf im Bambusgarten

Film

Noch haben die Reichen Seouls gut lachen, aber das wird ihnen vergehen.

(Foto: Koch Films)

Der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho hetzt in seinem großartigen Film "Parasite" zwei Familien aufeinander.

Von Tobias Kniebe

Der Mann hat Freude an drastischen Bildern, und auch diesmal enttäuscht er nicht. Da ist zum Beispiel die Souterrainwohnung im schäbigsten Viertel von Seoul, in die er seine Helden einquartiert hat. Sie ist eng und dunkel und voller Ungeziefer. Die Fensterfront geht auf eine vermüllte Gasse hinaus, in der Betrunkene gern ihre Blase entleeren, das ergibt jedes Mal eine Art Liveshow in Untersicht. Dann wieder sammeln sich sintflutartige Regenfälle in der Wohnung, das Wasser steht meterhoch, und die Toilette wird zum Geysir, der schwarze Gülle spuckt.

Ja, Armut ist auch in Südkorea kein Spaß, mit dieser Erkenntnis beginnt Bong Joon-Ho seinen Film "Parasite". Todernst meint er das alles aber auch nicht - es fehlt der Modus der Anklage, das blutende Herz der Sozialkritik, das große Händeringen über die Ungerechtigkeit der Welt. Die Familie Kim jedenfalls, die in diesen Verhältnissen haust, ist auch nicht vollkommen wehrlos. Vater, Mutter, Sohn und Tochter können beachtliche Kräfte mobilisieren, manchmal sind sie schlau und gerissen, manchmal aber einfach nur cool. Als etwa die Toilette verrückt spielt, klappt die Tochter einfach nur den Deckel zu, setzt sich ungerührt darauf und raucht erst einmal eine Zigarette.

Und natürlich lauern alle auf ihre Chance, diesem Souterrain der Gesellschaft zu entkommen. Die erste davon eröffnet sich Ki-woo (Choi Woo Shik), dem Sohn der Familie. Zwar ist er durch die Collegeprüfung gefallen, ein Freund empfiehlt ihn aber als Englisch-Tutor für die Tochter einer reichen Familie. Seine Schwester, sie ist gut in Photoshop, fälscht ihm ein paar Zeugnisse, dann zieht er seinen Anzug an und macht sich auf in die Hügel, zu den Villen hoch über der Stadt.

Familie Park wohnt ganz oben, von außen ist das Anwesen nur eine hohe Betonmauer mit Garagentor und schmaler Eingangstür. Einmal eingelassen, geht es noch höher in einen großen Bambusgarten, der Blick weitet sich, und dann kommt das Haus: Ein modernistischer Traum mit Glasfronten und endlosen Fluchten im Innenraum, man möchte sie mit ausgreifenden Schritten erkunden, und genauso macht es auch der Regisseur mit seiner Kamera. Mutter Park fasst Vertrauen zu Ki-woo, die Tochter verliebt sich in ihn, und eine neue Gelegenheit tut sich auf. Denn der Sohn des Hauses, noch im Grundschulalter, ist wild und unkonzentriert, aber seine Mutter glaubt an eine hohe kreative Begabung. Wenn es nur einen Kunstlehrer gäbe, der es mit ihm aushalten würde!

Gemeinsam mit dem "Joker" bildet dieser Film eine Art Double Feature der Gegenwart

Ich glaube, ich kenne da jemanden, sagt daraufhin Ki-woo - und alsbald hat er auch seine Schwester Ki-jung (Park So Dam) in das Traumhaus eingeschleust. Ohne allerdings die Familienverhältnisse zu offenbaren - hier oben zählt nur Leistung, der Vater ist Millionär aus eigener Kraft, Vetternwirtschaft wäre streng verpönt. Ki-jungs Leistung als neue Kunstlehrerin ist es dann vor allem, in den Krakeleien ihres Schützlings tiefe Verstörung zu analysieren. Er bräuchte viermal die Woche Kunsttherapie, und zwar zu den höchsten Stundensätzen. Seine Mutter glaubt das nur allzu gern.

So ist die Ungleichheit zwischen Arm und Reich nun in starken Bildern manifestiert - die Verstrickung dieser beiden spiegelbildlichen Familien, die sich in der Realität kaum je begegnen würden, kann beginnen. Aber auch diese Gegensätze funktionieren nicht ganz wie erwartet. Die reichen Parks wirken leichtgläubig und eher weltfremd, richtige Raffgier traut man ihnen gar nicht zu - vielleicht leben sie eines dieser Dotcom-Märchen, in denen jemand einfach zur richtigen Zeit die richtige Idee hatte. Die Kims wiederum sind nicht nur typische Opfer des Kapitalismus: Sie nehmen ihre neue Geldquelle richtig ins Visier, getrieben von der alten Ausbeuter-Idee, einfach noch mehr herauszuholen.

An diesem Punkt bittet der Regisseur Bong Joon-Ho nun in einem flammenden Plädoyer, weitere Wendungen in der Presse nicht zu verraten - und tatsächlich lebt "Parasite" davon, dass diese immer wieder überraschend sind, voller Suspense und manchmal beinah zum Haareraufen. Man kann noch andeuten, dass in der Villa auch die Haushälterin Moon-gwang (Lee Jung Eun) lebt, die nicht so leichtgläubig ist wie ihre Arbeitgeber - und dass die Intrigen, Kämpfe und Betrügereien sich dann nicht nur zwischen Herren und Knechten abspielen. Auch die Knechte können brutal werden, wenn sie mit anderen Knechten um die Futtertröge ringen.

"Parasite" schließt an aktuelle gesellschaftliche Debatten an, das trug sicher mit dazu bei, dass der Film im Mai die Goldene Palme gewonnen hat, den Hauptpreis von Cannes. Genauso entscheidend war aber sicherlich, dass Bong Joon-Ho dabei unberechenbar bleibt - nie hat man das Gefühl, dass der Motor dieses Films allzu simpel ist, wie etwa das blutige Revolutionsmotiv im fahrenden Zug, das noch sein Dystopie-Gemetzel "Snowpiercer" antrieb, oder das Mitleid mit dem grausamen Schicksal futuristischer Zuchtschweine, das sein Vegetarismus-Plädoyer "Okja" durchzog.

Sehr interessant ist, dass "Parasite" jetzt kurz nach Todd Philipps' "Joker" in die Kinos kommt, dem Gewinner von Venedig. So unterschiedlich sie sind - es lohnt sich, diese beiden Hauptpreisträger des Weltkinojahrs 2019 (die Oscars sind ja doch eher ein nachgereichter Beliebtheitswettbewerb) als eine Art Double Feature der globalisierten Gegenwart zu betrachten.

Seite an Seite zeigen sie ein neuerwachtes Bewusstsein des Kinos für die Klassengesellschaft, und eine abnehmende Scheu davor, für den marxistischen Begriff der Verelendung wieder Bilder zu finden, auch wenn dabei Gewalt in der Luft liegt. Wer das gefährlich findet, braucht nicht gleich zu hyperventilieren - die feinen blauen Pillen, die ungestörtes Weiterschlafen erlauben, gibt es ja weiterhin überall, im Kino und auch sonst.

Gisaengchung, Südkorea 2019 - Regie: Bong Joon-ho. Buch: Bong Joon-ho, Han Jin-won. Kamera: Hong Kyung-pyo. Mit Song Kang-ho, Lee Sun-kyun, Cho Yeo-jeong, Choi Woo-shik, Park So-dam. Verleih: Koch Films, 132 Minuten.

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